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Zu Gast in Bethlehem
Der Name Bethlehem entstand hier wohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermuten Heimatkundler. Damals stand nicht viel mehr als eine Handvoll Häuser nahe dem Örtchen Lengenwang. Sie alle waren Selbstversorger mit ein wenig Landwirtschaft und Milchvieh. „Man sagte: Die da draußen, die Bettelheimer, die haben ja nix. Hier im Ort lebten reichere Bauern mit größerem Hof. Draußen, die wirkten ärmlich – waren sie aber gar nicht. Und aus dem Wort ´Bettelheimer` wurde Bethlehem“, erklärt Georg Strauß, Jahrgang 1942. Er ist Mitautor des Büchleins „Bilder erzählen Geschichte“. Das handelt von seinem Heimatort und dessen Ortsteile. 14 Weiler gehören zu der rund 1400 Einwohner zählenden Gemeinde Lengenwang am Fuße der Albkette. Gerade an diesem Tag zieht Nebel in der einer der sonst sonnenreichsten Regionen Deutschlands auf und verdeckt die grandiose Sicht auf die Berge. Der Schnee, den der Romantiker hier vielleicht Anfang Dezember vermuten würde, lässt wie die Sonne ebenfalls auf sich warten. Schön wäre es gewesen, die weißveschneiten Gipfel im Hintergrund, im Vordergrund das kurios angmutende Ortschild „Bethlehem“ abzulichten.
Für ziemlich viele war es wohl in den vergangenen Jahrzehnten Fotomotiv und Urlaubsmitbringsel zugleich, denn einige Male fehlte plötzlich das Ortschild von Bethlehem. Inzwischen hat man eines mit anderer Aufschrift moniert. Bürgermeister Josef Keller konnte irgendwann nicht mehr darüber lachen. „Schade, denn das alte war schöner. Aber ständig wurde uns das Schild geklaut. Die Leute fanden es wohl so witzig und ungewöhnlich, dass sie es mitnehmen mussten.“ Um den Dieben den Spaß ein wenig zu vermiesen, fügte sich die Gemeinde den allgemeinden Vorgaben, wie ein Ortschild auszusehen hat – und der Hauptort Lengenwang steht nun auf dem Schild ganz oben. Nun wird nur noch fotografiert und nicht mehr so oft geklaut. Interessenten gebe es aber immer noch, wird gemunkelt.
Einer, der dem alten Schild ebenfalls mit einem lachenden und einem weinenden Auge nachtrauert, ist Drechsler- und Schreinermeister Martin Adomat. Er lebt und arbeitet seit 27 Jahren direkt an der Staatsstraße; das Ortsschild stand früher fast direkt vor seiner Haustüre. Bei ihm hatte vor Jahren auch der Besucher aus Nordeutschland geklingelt und wollte es schriftlich bestätigt haben, in Bethlehem gewesen zu sein. Adomat lacht bei dem Gedanken und macht ein kleines Geständnis. „Ich kokettiere schon ganz gern damit, aus Bethlehem zu kommen. So kann man Werbung für seinen Ort machen. Das sorgt auswärts immer für netten Gesprächsstoff und verwunderte Blicke.“ Und dann verrät er, dass auch er selbst einmal irritiert war. Denn als er mit Frau und Kindern in Norddeutschland den Urlaub verbrachte, wurde er auf seinen Dialekt angesprochen. Als er mit schelmischem Unterton verriet, woher er kommt, verzog sein Gegenüber keine Miene, sondern ließ Grüße an die Nachbarin der Familie Adomat ausrichten. Der Kieler Senior hatte in seiner Jugend Käser im Allgäu gelernt und kannte daher Maria Lutz.
Die Seniorin mit ihren stolzen 92 Jahren sitzt Händchen haltend mit ihrem zwei Jahre jüngeren Ehemann Ludwig auf dem Sofa. Vor ihnen auf dem Tisch liegt eine kleine Sammlung von Zeitungsartikeln über ihren Heimatort. Seit 1972 ist Bethlehem eingetragener Name des Ortteils, vorher existierte er nur im Volksmund. Ludwig Lutz weiß viel zu erzählen, lang ist sein Leben in dem kleinen Ort, vielfältig seine Erlebnisse, gerade auch um die örtlichen Vereine und Verbände. Schon oft war das Ehepaar Lutz in der Presse – Print, Radio, Fernsehen – all kamen her und wollten berichten. „Dabei sage ich immer allen: Solange man zufrieden lebt, ist es egal, wo man lebt“, Maria Lutz lächelt bescheiden. „Wir sind zufrieden, denn wir haben hier das Paradies vor der Haustüre. – Von der Staatsstraße mal abgesehen, aber die hören wir nicht mehr.“
Lengenwang mit seinen Ortsteilen hat in der Tat Einiges zu bieten. Ein Paradies für Urlauber ist es allemal, Sommer wie Winter. Familienfreundliche Radstrecken, blaue Badeseen ebenso wie kilometerlange Loipen und tief verschneite Gipfel. Besonders für Familien sei es hier schön, erklärt Georg Strauß. „Kinder brauchen ja eigentlich gar nicht viel Programm – wenn die a Henn´ oder an Haas´ in den Händen halten, sind sie glücklich.“ Etwa 40 Vermieter hat der kleine Ort, darunter einige, die Ferien auf dem Bauernhof in Lengenwang anbieten. Urlaub in Bethlehem – eine erhellende Vorstellung trotz des nasskalten, diesig-grauen Nebeldunstes an diesem Tag. „Bei uns ists halt noch recht ursprünglich, nicht überlaufen, gut erreichbar, Trubel haben wir hier nicht und wollen ihn auch ganz bewusst fernhalten“, sagt Josef Keller.
So hatte es der Ort auch bei der dritten Bethlehemer Dorfweihnacht am zweiten Adventswochenende gehalten: Klein sollte der Weihnachtsmarkt sein, wohl mehr ein Märktle – wer eine Verkaufsbude aufstellen wollte, musste durch eine Jury. Auf den zehntausendsten Besucher hätte man hier nicht warten wollen, erklärt der Bürgermeister mit Nachdruck. „Wir möchten nur heimische Produkte verkaufen lassen, möglichst regional produziert und Kunsthandwerk, darauf achten wir ganz besonders. Kitsch und Massenware finden hier keinen Platz.“ Auch sollten einige religiöse Aspekte nicht fehlen; darum war es Josef Keller wichtig, eine „lebende Krippe“ mit Tieren und den großen Figuren von Drechslermeister Adomat aufzustellen. Ebenso wie die Tatsache, dass die Geistlichen des Ortes die Eröffnung gesprochen haben, und nicht der Bürgermeister.
Wer nach Bethlehem kommt, wird herzlich begüßt. Dem wird an Ort und Stelle gezeigt, was man im Ort gemeinsam auf die Beine stellen kann, was Zusammenhalt stemmt: denn den noch vor Monaten herunter gekommenen kleinen Bahnhof von Lengenwang haben die Bürger in Eigenregie umfassend saniert. Der Deutschen Bahn kauften sie das Gebäude ab und richteten im Warteraum ein Mini-Museum ein, das die regionale Geschichte der Bahn abbildet. Bei der Internetplattform ebay haben sie die alten roten Zugabteilsitze mit Gepäckfach ersteigert, schmunzelt Josef Keller sichtlich stolz.
Und wer nach Bethlehem kommt, dem wird verkündet, dass die Menschen hier ihr kleines Paradies gefunden haben – warum sonst gibt es inzwischen das Neubaugebiet „Bethlehem-West“? „Da ziehen jüngere Einheimische und auch Zugezogene raus“, erzählt Ludwig Lutz. Umtriebig ist der 90-jährige Bethlehemer und somit einer der ältesten Bewohner des Ortes. „Warum sonst sollte ich wohl so alt geworden sein?“ Seine zahlreichen Ehrungen und Urkunden, Sammelordner der Reservisten, Pokale vom Kegeln zeugen von einem erlebnisreichen Leben. Das Ehepaar Lutz rastet und rostet aber auch im hohen Alter noch nicht. „Wer im Paradies lebt, wird alt“, sagt Maria Lutz augenzwinkernd. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass die zwei seit 47 Jahren jeden Mittwoch abend kegeln gehen. Oder weil sie in diesem Ort mit dem besonderen Namen alt werden dürfen.