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Zu Gast an Euphrat und Tigris
Wer sich mit der Vergangenheit befasst, stößt oftmals auf die Gegenwart. So ist es auch bei dieser Reise vom ostanatolischen Kars nach Antakya am Mittelmeer. 18 Pilger aus der Diözeses Würzburg sind der Einladung von Dekan Klaus Oehrlein gefolgt und bereisen zwei Wochen lang den Südosten der Türkei. Es ist eine Pilgerfahrt, die vor allem der Begegnung mit den in dieser Region beheimateten katholischen und orthodoxen Christen gewidmet ist. Sie sind es, die die Erinnerung daran wach halten, dass ihr Land vor langer Zeit zum Missionsgebiet der Apostel Petrus und Paulus gehörte. Unter welchen Bedingungen Christen in der Türkei heute leben und wie sie mit ihren muslimischen Nachbarn auskommen, soll diese Fahrt zeigen.
Vor den ersten Begegnungen mit der Gegenwart steht jedoch die Vergangenheit auf dem Programm, als deren Schaufenster man Ostanatolien bezeichnen kann. Zwischen der Stadt Kars und dem Berg Ararat, an dem nach biblischer Überlieferung die Arche Noah gelandet sein soll, finden sich Ruinen zahlreicher Kirchen und Klöster aus (vor-)byzantinischer Zeit. Teilweise gut erhaltene Steinrelief-Figuren und Fresken lassen die einstige Würde und Pracht dieser Sakralgebäude erahnen, die heute allerdings verwaist sind oder als Lager- und Wohnräume genutzt werden. Viele Dörfer in der Umgebung sind restlos zerstört. Die Überreste sind stumme Zeugen des Völkermordes an den christlichen Armeniern, dem während des Ersten Weltkrieges weit mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen. Mit liturgischen Gesängen des Ostens würdigt die Pilgergruppe aus Deutschland in den verfallenen Kirchenruinen die Opfer von damals.
Dass das Zusammenleben von Christen und Muslimen auch in der Gegenwart nicht immer spannungsfrei aussieht, erfahren die Reiseteilnehmer im Turabdin. Der Turabdin ist ein südlich des Flusses Tigris in unmittelbarer Nähe zur syrischen Grenze gelegenes Hochland, das seit dem vierten Jahrhundert einer Vielzahl von Klostergemeinschaften zur Heimat wurde. Bis zum heutigen Tag werden die Höhen des Turabdin von syrisch-orthodoxen Mönchen besiedelt, die in ihren etwa 80 Klöstern größten Wert auf die Pflege der Tradition legen. Aramäisch, die Sprache Jesu, ist seit uralter Zeit Alltagssprache unter den syrisch-orthodoxen Christen der Gegend, den „Syriani“.
Die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität kann durchaus zu Konfrontationen mit der muslimischen Bevölkerungsmehrheit führen. Wer offen ein Kreuz mit sich trägt, muss damit rechnen, in den kleinen Dörfern im Umfeld der Klöster angespuckt zu werden – so erzählt ein deutscher Syriani aus Berlin, der im Kloster Mor Abraham gerade seine Ferien verbringt. Der junge Mann aus Deutschland studiert hier die liturgischen Gesänge und die aramäische Sprache, um das Erlernte in den Gottesdienst seiner Berliner Heimatgemeinde einbringen zu können.
Neben Schlaglichtern religiöser Intoleranz wissen die Bewohner von Mor Abraham aber auch Erfreuliches zu berichten. Einer der Mönche genießt unter den Moslems des Nachbardorfes höchstes Ansehen, weil er mit technischem Sachverstand und handwerklichem Geschick bei anfallenden Reparaturarbeiten hilft. Ob es um Traktoren oder elektrische Leitungen geht, die Fähigkeiten des Mönchs auf diesem Gebiet sind allemal gefragt. Somit sind es die Widrigkeiten des Alltags, die die trennende Kluft zwischen Islam und Christentum aufheben.
Dass darüber hinaus auch die türkische Regierung zu einer Politik der Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen finden wird, hofft der syrisch-orthodoxe Erzbischof Timotheus Samuel Aktas, der die kleine Pilgergruppe kurz darauf im Klosterzentrum Mor Gabriel nahe der Stadt Midyat empfängt. Der Geistliche berichtet davon, dass es den Christen verboten sei, Priester auszubilden, Kinder zu unterrichten oder die aramäische Sprache zu lehren. Daher richte man alle Hoffnungen auf einen EU-Beitritt der Türkei, durch den sich am ehesten die Lage der christlichen Minderheit verbessern ließe. Die Freude des Erzbischofs über den Besuch aus dem Westen ist trotz der mit ernster Miene vorgetragenen Ausführungen zu spüren. Ein herzhaftes Lachen entspannt die Züge des Mannes, als er seine Besucher mit warmen Worten und Segenswünschen verabschiedet.
Gerade weil viele Christen im letzten Jahrhundert bei gewalttätigen Auseinandersetzungen starben oder in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa auswanderten, sind die wenigen Verbliebenen umso dankbarer für jede Form von Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird. Immer wieder bekommen die Pilger daher von Priestern, Mönchen und Laien zu hören, wie wichtig ihr Besuch sei und welch große Freude er hervorrufe.
Tatsächlich führen die winzigen christlichen Gemeinden des Turabdin ein wahres Nischendasein. In der Stadt Nisibis, wo der Kirchenlehrer Ephräm der Syrer geboren wurde, gibt es noch eine einzige christliche Familie. Bedingt durch diese Notsituation praktizieren die Christen dieser Gegend eine geradezu visionäre Form von Ökumene: Katholiken und Orthodoxe feiern zusammen in den Kirchen die Sonntagsmesse, praktizieren die Gemeinschaftskommunion und lassen ihre Kinder von Priestern der jeweils anderen Konfession taufen. Nicht anders ist die Situation in der Mittelmeerregion westlich des Turabdin. In Tarsus, der Geburtsstadt des heiligen Paulus, treffen die Reiseteilnehmer zwei italienische Ordensschwestern. Sie und eine Mitschwester sind offiziell die einzigen Christinnen in der 200000-Einwohner-Stadt. Beim Besuch der Pauluskirche müssen sie Eintritt zahlen, weil diese als Museum gilt. Tarsus gehört zum Apostolischen Vikariat Anatolien, dessen katholischer Bischof in Iskenderun residiert. Iskenderun, das frühere Alexandretta, ist eine Großstadt am Ufer des Mittelmeers und einer von drei römisch-katholischen Bischofssitzen im ganzen Land. Bischof Luigi Padovese, ein italienischer Kapuziner, der unter anderem in Würzburg studiert hat, betreut gemeinsam mit drei Schwestern von hier aus ein riesiges Gebiet. Nachdenklich erzählt er den Besuchern aus Deutschland von den Problemen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche, die sich auch auf die Kleinigkeiten des Alltags auswirken. Wolle er im Meer baden, müsse er sein Vorhaben einen Tag vorher den Behörden melden und bekomme dann „Schutzpersonen“ an die Seite gestellt. Bei der Konfiszierung kirchlicher Grundstücke sei die Stadt „großzügig“, meint der Bischof mit leiser Ironie.
Wie die Pilger erfahren, ist auch die seelsorgliche Betreuung der wenigen Christen in Iskenderun höchst problematisch. Die armenisch-orthodoxe Gemeinde hat nicht einmal einen Leiter. Nur einmal im Jahr kommt ein Pfarrer aus dem über 500 Kilometer entfernten Istanbul angereist, um in der kleinen armenischen Kirche der Stadt Gottesdienst zu feiern.
Trotz aller Probleme mit dem türkischen Staat und ihrer andersgläubigen Umgebung wirken die Vertreter der traditionsreichen Christengemeinden im türkischen Südosten in der Regel fröhlich und hoffnungsvoll. Entmutigung und Resignation sind nicht zu spüren, auch in Antakya nicht, dem alten Antiochien. Nach der Überlieferung der Apostelgeschichte wirkten hier nicht nur Petrus, Paulus und Barnabas, sondern hier wurden die Jünger Jesu erstmals auch „Christen“ genannt. So wie damals die neue Religion von Fremden in die Stadt getragen wurde, wird sie heute von einem Fremden am Leben erhalten, denn Leiter der Christengemeinde von Antakya ist momentan ein italienischer Kapuzinerpater.
In Antakya findet die vierzehntägige Reise der Pilger auch ein versöhnliches Ende. Seit drei Jahrzehnten bemüht sich eine Deutsche hier um den interreligiösen Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen, der beispielhaft demonstriert, was die Christen zwischen Kars und Antakya dringend brauchen: die Solidarität ihrer Schwestern und Brüder im Westen genauso wie den Austausch und den Dialog mit ihren muslimischen Nachbarn.
Vor den ersten Begegnungen mit der Gegenwart steht jedoch die Vergangenheit auf dem Programm, als deren Schaufenster man Ostanatolien bezeichnen kann. Zwischen der Stadt Kars und dem Berg Ararat, an dem nach biblischer Überlieferung die Arche Noah gelandet sein soll, finden sich Ruinen zahlreicher Kirchen und Klöster aus (vor-)byzantinischer Zeit. Teilweise gut erhaltene Steinrelief-Figuren und Fresken lassen die einstige Würde und Pracht dieser Sakralgebäude erahnen, die heute allerdings verwaist sind oder als Lager- und Wohnräume genutzt werden. Viele Dörfer in der Umgebung sind restlos zerstört. Die Überreste sind stumme Zeugen des Völkermordes an den christlichen Armeniern, dem während des Ersten Weltkrieges weit mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen. Mit liturgischen Gesängen des Ostens würdigt die Pilgergruppe aus Deutschland in den verfallenen Kirchenruinen die Opfer von damals.
Dass das Zusammenleben von Christen und Muslimen auch in der Gegenwart nicht immer spannungsfrei aussieht, erfahren die Reiseteilnehmer im Turabdin. Der Turabdin ist ein südlich des Flusses Tigris in unmittelbarer Nähe zur syrischen Grenze gelegenes Hochland, das seit dem vierten Jahrhundert einer Vielzahl von Klostergemeinschaften zur Heimat wurde. Bis zum heutigen Tag werden die Höhen des Turabdin von syrisch-orthodoxen Mönchen besiedelt, die in ihren etwa 80 Klöstern größten Wert auf die Pflege der Tradition legen. Aramäisch, die Sprache Jesu, ist seit uralter Zeit Alltagssprache unter den syrisch-orthodoxen Christen der Gegend, den „Syriani“.
Die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität kann durchaus zu Konfrontationen mit der muslimischen Bevölkerungsmehrheit führen. Wer offen ein Kreuz mit sich trägt, muss damit rechnen, in den kleinen Dörfern im Umfeld der Klöster angespuckt zu werden – so erzählt ein deutscher Syriani aus Berlin, der im Kloster Mor Abraham gerade seine Ferien verbringt. Der junge Mann aus Deutschland studiert hier die liturgischen Gesänge und die aramäische Sprache, um das Erlernte in den Gottesdienst seiner Berliner Heimatgemeinde einbringen zu können.
Neben Schlaglichtern religiöser Intoleranz wissen die Bewohner von Mor Abraham aber auch Erfreuliches zu berichten. Einer der Mönche genießt unter den Moslems des Nachbardorfes höchstes Ansehen, weil er mit technischem Sachverstand und handwerklichem Geschick bei anfallenden Reparaturarbeiten hilft. Ob es um Traktoren oder elektrische Leitungen geht, die Fähigkeiten des Mönchs auf diesem Gebiet sind allemal gefragt. Somit sind es die Widrigkeiten des Alltags, die die trennende Kluft zwischen Islam und Christentum aufheben.
Dass darüber hinaus auch die türkische Regierung zu einer Politik der Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen finden wird, hofft der syrisch-orthodoxe Erzbischof Timotheus Samuel Aktas, der die kleine Pilgergruppe kurz darauf im Klosterzentrum Mor Gabriel nahe der Stadt Midyat empfängt. Der Geistliche berichtet davon, dass es den Christen verboten sei, Priester auszubilden, Kinder zu unterrichten oder die aramäische Sprache zu lehren. Daher richte man alle Hoffnungen auf einen EU-Beitritt der Türkei, durch den sich am ehesten die Lage der christlichen Minderheit verbessern ließe. Die Freude des Erzbischofs über den Besuch aus dem Westen ist trotz der mit ernster Miene vorgetragenen Ausführungen zu spüren. Ein herzhaftes Lachen entspannt die Züge des Mannes, als er seine Besucher mit warmen Worten und Segenswünschen verabschiedet.
Gerade weil viele Christen im letzten Jahrhundert bei gewalttätigen Auseinandersetzungen starben oder in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa auswanderten, sind die wenigen Verbliebenen umso dankbarer für jede Form von Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird. Immer wieder bekommen die Pilger daher von Priestern, Mönchen und Laien zu hören, wie wichtig ihr Besuch sei und welch große Freude er hervorrufe.
Tatsächlich führen die winzigen christlichen Gemeinden des Turabdin ein wahres Nischendasein. In der Stadt Nisibis, wo der Kirchenlehrer Ephräm der Syrer geboren wurde, gibt es noch eine einzige christliche Familie. Bedingt durch diese Notsituation praktizieren die Christen dieser Gegend eine geradezu visionäre Form von Ökumene: Katholiken und Orthodoxe feiern zusammen in den Kirchen die Sonntagsmesse, praktizieren die Gemeinschaftskommunion und lassen ihre Kinder von Priestern der jeweils anderen Konfession taufen. Nicht anders ist die Situation in der Mittelmeerregion westlich des Turabdin. In Tarsus, der Geburtsstadt des heiligen Paulus, treffen die Reiseteilnehmer zwei italienische Ordensschwestern. Sie und eine Mitschwester sind offiziell die einzigen Christinnen in der 200000-Einwohner-Stadt. Beim Besuch der Pauluskirche müssen sie Eintritt zahlen, weil diese als Museum gilt. Tarsus gehört zum Apostolischen Vikariat Anatolien, dessen katholischer Bischof in Iskenderun residiert. Iskenderun, das frühere Alexandretta, ist eine Großstadt am Ufer des Mittelmeers und einer von drei römisch-katholischen Bischofssitzen im ganzen Land. Bischof Luigi Padovese, ein italienischer Kapuziner, der unter anderem in Würzburg studiert hat, betreut gemeinsam mit drei Schwestern von hier aus ein riesiges Gebiet. Nachdenklich erzählt er den Besuchern aus Deutschland von den Problemen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche, die sich auch auf die Kleinigkeiten des Alltags auswirken. Wolle er im Meer baden, müsse er sein Vorhaben einen Tag vorher den Behörden melden und bekomme dann „Schutzpersonen“ an die Seite gestellt. Bei der Konfiszierung kirchlicher Grundstücke sei die Stadt „großzügig“, meint der Bischof mit leiser Ironie.
Wie die Pilger erfahren, ist auch die seelsorgliche Betreuung der wenigen Christen in Iskenderun höchst problematisch. Die armenisch-orthodoxe Gemeinde hat nicht einmal einen Leiter. Nur einmal im Jahr kommt ein Pfarrer aus dem über 500 Kilometer entfernten Istanbul angereist, um in der kleinen armenischen Kirche der Stadt Gottesdienst zu feiern.
Trotz aller Probleme mit dem türkischen Staat und ihrer andersgläubigen Umgebung wirken die Vertreter der traditionsreichen Christengemeinden im türkischen Südosten in der Regel fröhlich und hoffnungsvoll. Entmutigung und Resignation sind nicht zu spüren, auch in Antakya nicht, dem alten Antiochien. Nach der Überlieferung der Apostelgeschichte wirkten hier nicht nur Petrus, Paulus und Barnabas, sondern hier wurden die Jünger Jesu erstmals auch „Christen“ genannt. So wie damals die neue Religion von Fremden in die Stadt getragen wurde, wird sie heute von einem Fremden am Leben erhalten, denn Leiter der Christengemeinde von Antakya ist momentan ein italienischer Kapuzinerpater.
In Antakya findet die vierzehntägige Reise der Pilger auch ein versöhnliches Ende. Seit drei Jahrzehnten bemüht sich eine Deutsche hier um den interreligiösen Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen, der beispielhaft demonstriert, was die Christen zwischen Kars und Antakya dringend brauchen: die Solidarität ihrer Schwestern und Brüder im Westen genauso wie den Austausch und den Dialog mit ihren muslimischen Nachbarn.