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      Auf dem spanischen Jakobsweg gibt es einige skurrile Dinge zu entdecken

      Zehn kuriose Stationen

      Auf Spaniens Jakobsweg von den Pyrenäen bis zum Sehnsuchtsziel Santiago de Compostela reihen sich die Höhepunkte wie an einer 750 Kilometer langen Perlenschnur auf. Das Salz in der Pilgersuppe sind kuriose Stationen. Wo sonst findet man einen kostenlosen Weinbrunnen oder einen Hühnerstall in einer Kathedrale? Eine Entdeckungsreise in zehn Stopps von Ost nach West.

      Pilgerreste im Untergrund

      Den Auftakt macht das einstige Augustinerkloster von Roncesvalles, kurz hinter dem Pyrenäenpass Ibañeta. Als Teleskopstöcke und Markenwanderschuhe noch nicht erfunden waren, und es an Infrastruktur und ärztlicher Versorgung mangelte, überstanden viele Pilger die Beschwernis der Bergüberquerung nicht. In den Tiefen der Klosterkapelle Sancti Spiritus begrub man die Verstorbenen anonym. Eine Luke gibt den Blick auf Knochenreste frei.

      Über Pamplona führt der Weg in den Ort Puente la Reina, der mit der Kreuzkirche empfängt. Der Gekreuzigte im Innern – hat man ihn nicht so oder ähnlich schon oft gesehen? Mag sein, aber nicht mit dem Hintergrund dieser Geschichte. Das Holzschnitzwerk stammte aus dem Rheinland und gelangte im 14. Jahrhundert auf den Schultern einer Pilgergruppe nach Puente la Reina: auf einem rund 1500 Kilometer langen Gewaltmarsch. Die Strapazen waren unvorstellbar. Überall dürfte der Zug Aufsehen erregt haben. Vermutlich waren die Träger in Puente la Reina zu erschöpft, um mit dem Bildnis weiterzuziehen. Der rheinische Christus, gerichtet auf einem natürlich wirkenden Baumstamm in Y-Form, blieb hier. Seinen Ehrenplatz vor einer blau ausgemalten Apsis bekam er in der ursprünglich romanischen Marienkirche, die man dem Gekreuzigten zu Ehren um ein gleichartiges Schiff im Stil der Gotik erweiterte. Zudem änderte man den Namen der Kirche.  

      Rotwein zum Nulltarif

      Kann das sein? Oder lässt der Jakobsweg halluzinieren? Man dreht einen Hahn auf, und heraus kommt Rotwein – zum Nulltarif. Das erlebt man hinter Estella, kurz vor dem alten Benediktinerkloster Irache. Das Weinwunder ist kein biblisches Mirakel, sondern ein geschickter Werbeschachzug der Weinkellerei Irache, die in Nachbarschaft an den Jakobsweg stößt. In einem Außenbereich riefen die Macher 1991 den Fuente del Vino (Weinbrunnen) ins Leben. Seither ist der Tropfen in aller Munde und hat den Bekanntheitsgrad der Kellerei weltweit gesteigert. Pro Tag stehen etwa hundert Liter zur Verfügung. Steht der Hahn länger offen, weil jemand größere Mengen abzapfen will, greift ein Schließmechanismus. Sollte das Tagesdepot leer sein, bleibt ein Trost. Aus dem Hahn daneben schießt Wasser – der eigentliche Treibstoff der Pilger, die weiterziehen in die Weinregion La Rioja, nach Santo Domingo de la Calzada.

      Kathedrale mit Hühnerstall

      In Santo Domingo de la Calzada ist dieser Anblick in der Kathedrale unglaublich: ein verglaster Hühnerstall mit lebendigem Federvieh. Die Erklärung liefert eine ebenso unglaubliche Legende aus dem Mittelalter. Damals war eine deutsche ­Pilgerfamilie unterwegs: die Mutter, der Vater und ihr halbwüchsiger Sohn. In Santo Domingo de la Calzada nahmen sie Unterkunft in einem Gasthof. Die Magd machte dem Jungen ein fleischliches Angebot. Doch er blieb standhaft und schlug es aus. Aus Rache versteckte die Magd einen Silberbecher in seinem Gepäck. Er wurde vom Landrichter des Diebstahls angeklagt und erhängt. Die Eltern wollten am Henkerspfahl Abschied nehmen und stellten fest, dass ihr Sohn noch lebte. Sie stürzten zum Haus des Richters, der an einer opulenten Tafel Platz genommen hatte. Vor ihm dampften ein gebratener Hahn und eine gebratene Henne. „Euer nichtsnutziger Spross ist so lebendig wie das Federvieh“, spottete er. Da wuchsen den Tieren Flügel. Der Hahn krähte. Das Huhn gackerte. Sie flogen davon. Die Unschuld des Jungen war bewiesen. Ein weißer Hahn und eine weiße Henne bewahren die Erinnerung an das Mirakel.

      Der oder die Fligenschnapper?

      Durch die nächste Region Kastilien-León zieht sich der Jakobsweg bis nach Galicien. Kuriose Stationen sind Burgos, die Klosterruinen San Antón und León. Nicht alles ist groß und pompös in der gotischen Kathedrale von Burgos, von der Unesco als Weltkulturerbe geadelt. Das kleine Wahrzeichen prangt im Innern hinter der Doppelturmfassade in einer solchen Höhe, dass man sich beim Blick hinauf fast die Nackenstarre holt: der „Fliegenschnapper“, spanisch: „Papamoscas“, eine Männerbüste mit schurkischem Ausdruck über einer Uhr. Zu den Glockenschlägen der vollen Stunde öffnet und schließt er den Mund. Allerdings behaupten die Einheimischen, die eigentlichen Fliegenschnapper stünden unten: nämlich die Betrachter des Schauspiels mit ihren weit geöffneten Kinnladen.

      Sündhafte Symbolik

      Beim Unterwegssein ab Burgos durch die Hochebene reißt dieser Anblick aus der Versunkenheit. Die Pilgerstrecke, die hier über ein Stück Landstraße führt, läuft durch die Ruinen des Klosters San Antón. Über dem Asphalt steigen die gotischen Bögen als Ruinen­skelette auf – und man geht tatsächlich mitten hindurch und teilt sich den Weg mit dem spärlichen Fahrzeugverkehr. Früher war hier der Antoniter-Orden ansässig, der zu den christlichen Hospitalorden zählte.

      Für sündhafte Symbolik in heiligen Hallen steht das spätgotische Chorgestühl der Kathedrale von León. Solche Holzreliefs hätte man hier nicht erwartet! Ein Mann stochert in einem Nasenloch. Ein Betrunkener hängt mit glasigem Blick über einem Weinfass. Ein Fantasietier leckt genüsslich am eigenen Allerwertesten. Guillermo Alonso Ares, Organist im Dom und Musikwissenschaftler an der Universität von León, klärt auf: „Um das Gute herauszustellen, wollte man zum Vergleich Allegorien schaffen, um auch das Böse und Sündhafte abzubilden.“

      Apropos Abbildung: Was kam heraus, wenn man einen Künstler vor einem knappen Jahrtausend mit der Mission „Christi Himmelfahrt auf einem Relief in einem Bogenfeld“ beauftragte? Das sieht man in León auf dem Gnaden­portal der romanischen Stiftskirche San Isidoro. Und zwar in seiner plastischsten Form: Zwei pausbäckige Männer in Engelsform stützen Christus, der je einen nackten Fuß auf deren Knie gesetzt hat. Nun ist er bereit, um sich abzustoßen zum Flug durch die Lüfte. In der Region Galicien, knapp 150 Kilometer vor Santiago de Compostela, reibt man sich im kleineren der beiden Kreuzgänge des Benediktinerklosters von Samos die Augen. Dort steigen steinerne Damen „oben ohne“ aus einem Brunnenbecken. Gefertigt wurde das Werk, als Debatten über Sexismus in weiter Ferne lagen, nämlich zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Etikettiert sind sie als mythologische Nereiden, Nymphen des Meeres mit schuppigen Unterkörpern.

      Weihrauchfass mit 70 „Sachen“

      Am Ziel in Santiago de Compostela gehört ein bisschen Glück dazu, um dieses Spektakel in der Kathedrale am Ende einer Messe zu erleben: wenn der Weihrauchwerfer „Botafumeiro“ von einem Team aus erfahrenen Seilziehern über eine Aufhängung in Schwung gebracht wird. Dann schießt das dampfende Silbergefäß mit bis zu 70 Stundenkilometer über die Köpfe der Gläubigen hinweg bis fast an die Gewölbe des Querschiffs. Weihrauch gilt als Zeichen von Verehrung und Reinigung. Offiziell kommt der „Botafumeiro“ nur an hohen Fest- und Ehrentagen zum Einsatz – doch gegen eine Spende an den Klerus von Santiago ist er auch käuflich.

      Andreas Drouve