Evangelium
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
Matthäus 5,1–12a
„Selig sind, die arm im Geiste“, war früher eines meiner Lieblingslieder. Als Schülerin spielte ich die Orgel in unserer Kirche, und noch heute erinnere ich mich gut daran, wie die Gottesdienstbesucher den Refrain aus vollem Herzen sangen: „Christi Jünger freuet euch, euer ist das Himmelreich.“
Damals fand ich das schön. Später las ich Gedanken zur Bergpredigt von Dorothee Sölle und Jörg Zink, spürte, welch politische Aussage und Anfrage an uns Christen darin steckt. Ich erkannte: Die Seligpreisungen der Bergpredigt standen damals und stehen auch heute noch der Wirklichkeit entgegen. standen damals und stehen auch heute noch der Wirklichkeit entgegen. Waren die Worte Jesu also eine Motivationsrede eines charismatischen Visionärs für seine Anhänger? In einer Jugendgruppe diskutierten wir darüber. Das Kirchenlied allerdings hatte seinen Zauber verloren. Später erlernte ich den Beruf der Erzieherin und arbeitete in Einrichtungen für geistig und körperlich Behinderte. Auch hier begleitete mich die Frage: Was meinte Jesus mit diesen Seligpreisungen und wie kann ich mich einsetzen für jene, die in unserer Gesellschaft als „arm im Geiste“ zählen?
Später, nach meiner Ausbildung zur Gemeindereferentin, stellte ich mir die Frage: Wie kann ich Schülern die Bergpredigt im Religionsunterricht vermitteln? Können pubertierende Schüler gewaltfreie Kommunikation als ein Element der Umsetzung praktizieren, um zu erkennen, dass der Satz „Selig, die keine Gewalt anwenden ...“ auch für sie Bedeutung bekommt? Ist es möglich, durch Engagement für eine Partnerdiözese wie zum Beispiel Mbinga oder durch die Konfrontation mit der Lebenssituation der Menschen in Bolivien ein Gespür für gerechten Welthandel zu wecken?
Die Bergpredigt mit ihren Seligpreisungen ist eine Herausforderung. Ich reibe mich an ihr, ich hinterfrage sie, sie lässt mich nie mit einem „Happy End“ nach dem Lesen oder Hören zurück. Vielleicht haben das die Verantwortlichen des neuen Gotteslobes auch erkannt, denn das alte Kirchenlied ist dort nicht mehr zu finden. Ich denke, wir werden der Sprengkraft, die in dieser Botschaft Jesu steckt, nicht gerecht, wenn wir sie nur in ein wohlklingendes Kirchenlied packen. Wir müssen uns als Christen packen lassen vom Inhalt, damit er uns nicht mehr in Ruhe lässt, sondern uns begleitet durch unser Leben.
Natürlich kenne ich auch die anderen Stimmen, die ironisch fragen: „Und du glaubst wirklich, die Welt zu verbessern mit deiner Eine-Welt-Ideologie und deinem Einsatz für jeden, der auf der Schattenseite des Lebens steht?“ Nein, ich glaube, ich werde nicht verantwortlich sein für ein Happy End hier auf Erden. Ich glaube auch nicht, dass dies das Ziel Jesu war. Ich glaube, er wollte die Menschen damals und uns heute wachrütteln.
Er will, dass wir bewusst in allen Bereichen hinterfragen: Muss das Leben so sein, wie es ist? Kannst du es dir auch anders vorstellen, so dass es für alle Beteiligten gerecht und lebenswert zugeht?
Ich habe übrigens für mich persönlich ein neues Lieblingslied gefunden. Es steht im Gotteslob unter der Nummer 457: „Suchen und fragen, hoffen und sehn, miteinander glauben und sich verstehn. Lachen, sich öffnen, tanzen, befrein, so spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.“
Probieren Sie es doch einmal aus – mir tut es gut, die Botschaft der Bergpredigt in aktueller Sprache zu singen.
Gabriela Amon