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      Immer wieder große Aufbrüche in der 800-jährigen Geschichte

      Werneck – mehrfach neugeboren

      Werneck erinnert heuer an die 800. Wiederkehr seiner Ersterwähnung. Der Historische Verein Markt Werneck e. V. hat hierzu eine sechsbändige Chronik zu je 100 Seiten aufgelegt. Mit dem Vorsitzenden Bernd Göbel durch den Ort und den Schlosspark zu spazieren, gleicht einer Zeitreise mit lauter traumhaften Etappen und manchem Superlativ.

      Bernd Göbel erzählt von „dreieinhalb bis vier Kliniken“ bei nur knapp 10000 Einwohnern. Der pensionierte Lehrer schließt das Ärztehaus auf dem Balthasar-Neumann-Platz, das sich mit seinem modernen Baustil baulich abhebt, mit ein. Eine psychiatrische Klinik, die der junge Nervenarzt Bernhard von Gudden im beziehungsweise am ehemals fürstbischöflichen Schloss als Kreisirrenanstalt Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte, habe hingegen traurige Berühmtheit erlangt. Denn sowohl Gudden als auch sein bekanntester Patient, Bayerns Märchenkönig Ludwig II., starben im Starnberger See unter nie geklärten Umständen.

      Promi-Geburtsort

      Zusätzlich zur Psychiatrie betreibt der Bezirk Unterfranken eine hoch spezialisierte Orthopädie. Und schließlich besteht noch ein Allgemeines Gemeindekrankenhaus. Dieses verfügt – am Ende des Zweiten Weltkriegs als Geburtsstation gegründet  – allerdings über genau jenen Bereich nicht mehr. Somit ist es eine nostalgische Schau, wenn im Rathausfoyer derzeit unter dem Titel „Geboren in Werneck“ Persönlichkeiten aus Sport, Politik und Wirtschaft präsentiert werden, die im hiesigen Spital das Licht der Welt erblickten. Zu diesen gehört auch die bayerische Kultusministerin Anna Stolz aus Arnstein.

      Durch die Eingemeindungen während der Verwaltungsgebietsreform im Freistaat vor 50 Jahren ist der Markt Werneck um zwölf Gemeindeteile kräftig gewachsen. Ein Viertel der Einwohner leben im Kern- oder Hauptort, der seinen Namen der Wern verdankt. Dieser Nebenfluss entspringt bei Pfersdorf nordwestlich von Schweinfurt und mündet nach gut 70 Kilometern in Wernfeld nahe Gemünden in den Main. „In Werneck wurde sie 1750 in ihr heutiges Bett vor dem Eingang zum Schloss verlegt“, weiß der Heimatforscher Göbel.

      Bluttat gesühnt

      Ursprünglich plätscherte die Wern, wo sich jetzt der Schlosspark erstreckt. Sie speiste den Burggraben. Mit der Burg hängt das Jubiläum zusammen. Auch wenn uralte Siedlungsspuren bei Werneck existieren, stammt das früheste schriftliche Zeugnis erst von 1223. Papst Honorius III. bestätigte, dass Bodo von Ravensburg seine Burg Werneck dem Deutschen Orden geschenkt und damit eine Bluttat seiner Familie gesühnt hat. Vielleicht schon eine Vorahnung auf die spätere Bedeutung des Standorts? Die Ordensritter hatten sich der Pflege von Kranken beziehungsweise Verletzten verschrieben. Der Wernecker Besitz fiel jedoch ans Hochstift Würzburg. Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn ließ 1576 ab Schnackenwerth einen zweiten etwa sechs Kilometer langen Flussarm graben – die sogenannte Mühlenwern. Diese sollte Mühlräder in Ettleben und Werneck antreiben.

      Von 1920 bis 1935 war gar eine mächtige Wasserstraße auf Wernecker Gemarkung in Planung. Bernd Göbel erzählt, er ernte nur ungläubiges Kopfschütteln, wenn er davon berichte. Der Main-Donau-Kanal sollte eine Abkürzung durchs Werntal nehmen. Die großen Städte der Region wären abgehängt gewesen. Das durfte nicht sein.

      Auf dem Trockenen

      1936 buddelte der Reicharbeitsdienst und begradigte die Wern. Außerdem legte er die Mühlenwern still und verfüllte sie. Immerhin konnte in der Mühle weiterhin Korn gemahlen werden, weil ihr der Fortschritt die elektrische Energie bescherte. 150 Jahre vorher war die mit Wasserkraft arbeitende Mühle erneuert worden, denn die erste von 1592 war „bis auf den letzten Stumpf“ abgebrannt. Feuer besiegelte 1723 auch das Schicksal der Wernecker Burg. Sie zu renovieren, zog sich hin, bis sich nach zehn Jahren Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborn für einen neuen Fasanengarten entschied. 1740 musste Baumeister Balthasar Neumann den Plan zugunsten einer Vierflügelanlage mit Pentagramm ändern. Die wenigsten der rund 140 Räume des Jagd- und sommerlichen Lustschlosses nutzte der Landesherr selbst. Aus Symmetriegründen ließ der Architekt einen zweiten Turm als Gegenstück zu dem der Schlosskirche aufmauern. Die Kirche selbst – nicht mehr im reinen Stil des Barock, sondern mit Elementen des Rokoko – hat zwar einen rechteckigen Grundriss; durch vorgezogene Säulen wirkt der Raum aber wie eine Rotunde. Baulich tat sich nun 100 Jahre lang wenig. Chronist Göbel verwendet gar das Wort „Dornröschenschlaf“. Lediglich der Amtskeller gönnte sich 1774 ein stattliches Bauwerk. Darin war auch das Centgericht untergebracht. Nach der Säkularisation war das Gebäude erst der Sitz eines Landgerichts und bis 1933 eines Amtsgerichts. 1969 wurde das ehemalige Amtskellerhaus abgerissen.

      Mehrere Kirchen

      Im riesigen Fruchtspeicher von 1628, dem nach Göbels jüngsten Recherchen derselbe Plan wie dem in Stadtlauringen zugrunde lag, befand sich ein kleiner Raum, um Gemeindegottesdienste zu feiern. Ein neuer Trakt für Guddens florierende Reformpsychiatrie, in der die Betreuten nicht angebunden, sondern mit vielerlei Aufgaben beschäftigt wurden, entstand aus Steinen genau jenem Speichers. Was vom Speicher stehen blieb, wurde zur katholischen Dorfkirche umgerüstet.

      Anstaltsdirektor Gudden erwirkte für seine evangelische Frau und ihre Glaubensgeschwister, dass sie in der Schlosskirche zusammenkommen konnten. Aber sie durften die Glocken nicht läuten. „So geschah es, dass sie sich um den Jahrhundertwechsel einige Meter die Wern aufwärts einen eigenen freistehenden Glockenturm bauten“, erklärt Göbel. Nach dem Zweiten Weltkrieg strömten aus den verlorenen Ostgebieten vor allem Katholiken in die Marktgemeinde. Ein größeres Gotteshaus mit Pfarrheim wurde an anderer Stelle errichtet und das nicht mehr benötigte 1968 abgebrochen.

      Historische Aufnahmen

      Infotafeln, die im Hinblick auf die 800-Jahr-Feierlichkeiten aufgestellt wurden, öffnen dank zahlreicher dort abgebildeter historischer Fotos und Karten Türen zur Vergangenheit: Gegenüber des Schlosses waren insbesondere Handwerker ansässig, sie sicherten die Grundversorgung der Menschen. Im Haus Nummer 1 direkt an der Ecke war eine Schlachterei, ab 1800 auch eine Garküche. 1849 kaufte ein Unterpleichfelder das Anwesen und machte daraus eine Poststation mit Gaststätte und Übernachtungsbetrieb − heute Gasthof und Hotel „Krone-Post“.

      Ins Reich der Fantasie verbannt Bernd Göbel die Annahme, der Wernecker Posthalter habe aus Angst um seine Einnahmen verhindert, dass die Bahnstrecke Würzburg-Schweinfurt den Marktflecken streift. Der Geschichtsschreiber ist sich sicher, dass die Steigung des Geländes der Grund ist, weshalb der Zug im nahen Waigolshausen hält. Wem als Reisenden mit öffentlichen Verkehrsmitteln der halbstündige Fußmarsch nach Werneck gerade zum Warmlaufen taugt, kann sich auf rund 15 Kilometer Wegstrecke im Schlosspark freuen.

      Im Ort lohnt sich auch ein Bummel durch den Hahnenhof, dem Arbeiterviertel. Etliche jüdische Familien wohnten seit 1677 beim seinerzeitigen Markttor. Ihre israelitische Schule umfasste einst zwei Gebäude: die Synagoge sowie ein Mikwe-Haus, ein Ritualbad. 1904 wanderten die letzten Wernecker Juden nach Würzburg und Schweinfurt ab. Trotzdem kam es während der Herrschaft der Nationalsozialisten zu Deportationen in Werneck. Betroffen waren psychisch Kranke. Dieses dunkle Kapitel gehört ebenso zum Rückblick auf die vergangenen 800 Jahre.    

      Bernhard Schneider