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Im Sudan ist nach über 20 Jahren Kampf und Zerstörung der Frieden zum Greifen
„Wenn der Frieden kommt …“
Am meisten leiden die Kinder. Denn die „Säuberungen“ beginnen immer in der kalten Jahreszeit, wenn das Quecksilber nachts bis zum Gefrierpunkt sinkt. Kilometerweit zieht sich das Trümmerfeld. „Säuberung“ nennt die muslimische Regierung diese Zerstörung. In Wad El-Baschir haben die Bulldozer 8209 Häuser platt gemacht. Über 40000 Menschen wurden obdachlos. „Für die Kleinen graben viele Mütter Mulden wie Kindergräber“, sagt ein älterer Mann. „Nachts streift dann der kalte Wind über die Höhlen, und die Kleinen haben eine bessere Chance zu überleben.“ Kleider und Decken haben die wenigsten. Und Hilfsorganisationen können hier kaum helfen. Denn, so die Propaganda der Regierung: „Es gibt keine Flüchtlinge im Sudan.“ Und für die Menschen, die es offiziell nicht gibt, kann auch keine Hilfe genehmigt werden.
Die Bulldozer haben ganze Arbeit geleistet. Ein Elendsviertel in Steinhaufen zerlegt. Umgedrückt, weg geschoben, platt gewalzt. Kein Schlafplatz blieb erhalten und keine Feuerstelle. Kilometerweit das gleiche Bild. Steinhaufen. Schuttberge. Menschen, die zu retten versuchen. Sinnlos. Heimatlos. Schutzlos. Ausgesetzt werden die Vertriebenen – schwarzafrikanische Christen – weiter draußen in der Wüste. Wohl in der stillen Hoffnung, dass viele von ihnen sterben. Und mit klaren Geschäftsabsichten: Die „gesäuberten“ Regionen werden Parzelle um Parzelle an wohlhabende hellhäutige Araber verkauft. Die Bulldozer rollen im Auftrag der Regierung. Ihr Einsatz ist Teil eines Krieges, der nun schon über 20 Jahre währt. Im Sudan kämpft Nord gegen Süd, kämpfen arabische Muslime gegen schwarzafrikanische Christen. Der Krieg geht ums Öl. Im Süden sprudeln die schwarzen Quellen verheißungsvoll, und der Norden hat immer versucht, Herr zu werden über das flüssige Gold. Dem brutalen Zugriff auf den Reichtum des Südens aber und der radikalen Islamisierung haben sich Befreiungsbewegungen in den Weg gestellt. Der Preis war hoch. Zwei Millionen Tote. Ein verwüstetes Land. Und über fünf Millionen Heimatlose.
Die Menschen in Wad El-Baschir gehören zum Heer der Flüchtlinge. Zwei Millionen aus dem Süden haben sich am Stadtrand der Hauptstadt Khartoum in Slums angesiedelt. Auch hier, 1000 Kilometer von der Front, kämpft die Regierung gegen sie. Mit einer raffinierten Tötungsmaschinerie. „Die Christen sterben hier langsam“, so ein Priester, „an Hunger, an Kälte oder an Verzweiflung. Fast jeden Tag müssen wir Tote beerdigen.“
Vor Jahren gab es Widerstand gegen die Zerstörungen, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholen. Menschen stellten sich gegen die Bulldozer. Doch sie wurden überrollt, zermalmt. Heute sind die Opfer in Ohnmacht erstarrt. Skorpione fühlen sich wohl in dem Trümmerfeld, und auch sie töten Menschen. Die Spinnentiere sitzen in Spalten und Nischen und stechen zu mit ihrem Gift, wenn Kinder spielen oder wenn Erwachsene versuchen, einen Teil der Ziegel für einen Neubau zu retten. 35 Kilometer ist es bis zum nächsten Arzt. Viel zu weit.
Bis vor wenigen Wochen noch wäre es für Fremde unmöglich gewesen, nach Wad El-Baschir zu kommen. Doch die Zeiten ändern sich. Im Sudan wird, unter dem Druck der Weltöffentlichkeit, die Fassade poliert. Man gibt sich weltoffen, weniger fundamentalistisch, und gewährt Reisefreiheit. Seit über einem Jahr gibt es Friedensverhandlungen zwischen Nord und Süd. Die Kriegsgegner sind kampfesmüde, und die Vereinigten Staaten sind an einem schnellen Friedensschluss interessiert: Sie wollen den Zugriff auf das sudanesische Öl, und Präsident George Bush würde sich in Wahlkampfzeiten gerne mit einem außenpolitischen Erfolg brüsten. Auch in Wad El-Baschir ist die veränderte politische Großwetterlage zu spüren: Nachdem ein Fotograf für wenige Minuten seine Kamera gezückt hat, ist ein Staatsspitzel zur Stelle, eskortiert ihn und seinen Begleiter zu einem Steinhaus, das Handy am Ohr, um den Geheimdienstchef zu verständigen. Verhöre. Durchsuchung. Aufnahme der Personalien. Alles auf Arabisch. Zum Glück gibt es neue Gesetze, die neuen Freiheiten. Der Fotograf muss einen Film abliefern, doch dann lässt man ihn laufen, strengstens verwarnt ... Vor Wochen noch hätte das Foto-Wagnis Gefängnis gebracht.
Was es bedeutet, abgeholt und eingesperrt zu sein, weiß hier jedermann: Hinter den verschlossenen Türen hat sich nichts geändert. Unverändert wird gefoltert, ausgepeitscht und vergewaltigt. Dennoch weht äußerlich ein ganz neuer Wind im Sudan. Wo fanatische Turabis und Mullahs gestern noch das Sagen hatten, wo Nachrichtensprecher einen Turban tragen und Frauen unter das Kopftuch gezwungen sind, ist Wendezeit angesagt. Es herrscht Hoffnung auf Frieden. „Wenn der Frieden kommt …“ wäre wohl der „Satz des Jahres“ im Land am Nil. Neu ist die Reisefreiheit: Besucher können in Randbezirke von Khartoum fahren, sie können ein Ticket buchen und in die nächste Stadt fliegen. – Eine Freiheit, die 15 Jahre lang selbst Priestern und Bischöfen verwehrt war. Wenn ein Missionar zu Außenstationen wollte, brauchte er ein Visum. Und wenn der Bischof Reisepläne hatte, wartete er oft monatelang auf die Genehmigung. Heute möchte der Sudan weltpolitischer Musterknabe und nicht mehr Schurkenstaat sein.
John Cornelio, 48, sitzt auf der Kante seines Stuhls, als sei er auf dem Sprung. Und das, obwohl er zu den Bessergestellten gehört. Er, ein Schwarzafrikaner aus dem Süden, wohnt im Norden, in einem Slumgebiet am Rande der sudanesischen Metropole. Hier hat er es zu einem adretten Lehmhaus gebracht. „Wenn der Friedensvertrag unterzeichnet ist, gehen wir sofort“, erregt er sich. „Auch wenn das Leben im Süden noch härter wird. Wir wollen nach Hause. Hier gibt es nur Erniedrigung und Leid: Unsere Kinder haben keine Chance. Und satt essen können wir uns nur an den Tagen, wenn ich auf dem Markt einen Job als Träger erwische.“ Lasers Lado ist erst 20 und stammt aus Juba, 1600 Kilometer südwärts. „Wenn der Frieden kommt, sind wir am gleichen Tag weg, unterwegs nach Hause.“ Lado ist dem Krieg im Süden entkommen. Bomben. Verwüstete Felder. Hunger im Dorf. Angst, als Kindersoldat töten zu müssen. – Im Sudan sitzen mindestens vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene auf gepackten Koffern. Sie alle wollen nach Hause, sobald der Friedensvertrag unterzeichnet ist.
Wenn der Frieden kommt, wird eine gewaltige Völkerwanderung beginnen im Sudan. Niemand kann abschätzen, ob sich sofort Hunderttausende auf den Weg machen, per Schiff Nil aufwärts oder mit der Bahn oder zu Fuß. Im Schnitt rund 1500 Kilometer weit Richtung Süden. Durch unwirtliche Trockenregionen und Sumpfgebiete. Oder werden es auf einen Schlag Millionen sein, die ihre Elendsviertel im Norden verlassen, ihre arabischen Herren, von denen sie sich jahrelang wie Sklaven missbraucht fühlten? Niemand weiß, wann wie viele den großen Treck beginnen. Doch im Süden, zum Beispiel in der Erzdiözese Juba, läuft die Vorbereitung auf Hochtouren. Soma Francis, ein Kirchenmanager, umreißt, was die Diözese zu leisten hat: „Hunderttausende werden zu uns kommen. Mit nichts. Sie brauchen Werkzeuge, Saatgut, Baumaterial. Waisen suchen ein Zuhause. Schulen. Lebensmittel bis die erste Ernte reif ist. Und wir müssen Ausbildung anbieten, die Frieden sichert. Ohne eine Anleitung zur Versöhnung werden die Täter und Opfer von gestern nicht friedlich zusammen leben können.“ Doch das friedliche Zusammenleben im Süden wird ein Problem sein. Auch nach dem Friedensschluss: Hatten früher im Südsudan die verschiedenen Völker ihre Heimatregionen, ihre Traditionen, Riten und Kulturen, so gibt es heute nur noch ein Völkergemisch von Vertriebenen. Im Südsudan, so schätzen Fachleute, mussten 85 Prozent der Menschen ihre Heimat verlassen. Fast niemand lebt mehr dort, wo er geboren ist. Flüchtlinge im eigenen Land.
In Juba, an der Kathedrale, ist Jugendtag. Die älteren Teenager spielen Theater: „Wenn der Frieden kommt ...“, heißt ihr Stück. Wenn der Frieden kommt – so eine Szene –, erreicht ein Heimkehrer endlich sein Zuhause und findet seine Frau mit einem anderen … Dann, so der nächste Akt, treffen Heimkehrer auf Misstrauen: „Ihr seid abgehauen und hattet es gut im Norden, als wir hier hungerten und ausgebombt wurden. Jetzt kommt ihr daher und wollt Hilfe?“ Im nächsten Auftritt treffen sich die Folterer von gestern mit ihren Opfern – „Kriegsfolgen sind nicht nur zerstörte Häuser. Zum Wiederaufbau brauchen wir mehr als nur Lehm und Zement“, so die Botschaft der Jugendlichen.
Der Neuanfang wird schwer. Pfarrer Alphonse Muras aus El Obeid erklärt die Herausforderung auf der politischen Ebene: „Wenn der Frieden kommt, werden wir eine sechsjährige Übergangszeit haben, bevor alle Sudanesen über die Zukunft ihres Landes abstimmen können. Sie werden entscheiden, ob der Süden unabhängig wird.“ Damit nach über 20 Kriegsjahren ein solcher demokratischer Prozess gelingen könne, „müssen die Menschen dann wissen, was ihre Rechte sind.“ Ausbildung ist das Schlüsselwort. Und die Kirche legt sich ins Zeug: Katechistenausbildung, damit in den Dörfern gute Gemeindeleiter zur Verfügung stehen. Ausbildung von Frauen. Schulprogramme. Alleine in der Diözese Juba drücken über 9000 Kinder die Bänke in kirchlichen Schulen. An diesem Frühlingssonntag ist die Kathedrale der südlichen Metropole bis auf den letzten Platz gefüllt. Fünf junge Männer haben gerade ihre Ausbildung im Priesterseminar beendet und werden zu Diakonen geweiht. Männer, deren Lebensgeschichten eng mit dem Krieg verwoben sind.
Kasimiro Migga, 29, erzählt: „Vor Jahren ordnete die Regierung an, dass alle Schulen in Juba nur noch in Arabisch unterrichten sollten, und die Scharia wurde eingeführt. Da haben wir einen Streik begonnen, der mit Brutalität niedergeschlagen wurde. Ich floh mit Freunden nach Uganda. Unterwegs wurden einige von uns getötet. Ich kam für drei Monate ins Gefängnis.“ Atemlos klingt die Erinnerung von Kasimiro. „Wir wurden verhört, gefoltert, mit Stöcken geschlagen. Einmal gab es fünf Tage lang nichts zu essen. Im Gefängnis besuchte uns regelmäßig ein Priester.“ Kasimiro lehnt sich zurück und spricht dann ruhiger weiter: „Diese Begegnungen haben mich nicht mehr losgelassen. Durch ihn habe ich gespürt, dass trotz allem Gott mit mir ist. 1992 bewarb ich mich im Priesterseminar.“ Sein Kollege Clement Tombe Masimino erlebt bei der Weihe ein Wunder: Seit 15 Jahren hat er seine Mutter nicht gesehen. Ob sie noch lebte, wusste er nicht. Heute ist sie nach Hause gekommen. In der Kathedrale, als der neue Diakon zum ersten Mal das Messgewand angezogen hat, können sich Sohn und Mutter in die Arme schließen.
Die Bulldozer haben ganze Arbeit geleistet. Ein Elendsviertel in Steinhaufen zerlegt. Umgedrückt, weg geschoben, platt gewalzt. Kein Schlafplatz blieb erhalten und keine Feuerstelle. Kilometerweit das gleiche Bild. Steinhaufen. Schuttberge. Menschen, die zu retten versuchen. Sinnlos. Heimatlos. Schutzlos. Ausgesetzt werden die Vertriebenen – schwarzafrikanische Christen – weiter draußen in der Wüste. Wohl in der stillen Hoffnung, dass viele von ihnen sterben. Und mit klaren Geschäftsabsichten: Die „gesäuberten“ Regionen werden Parzelle um Parzelle an wohlhabende hellhäutige Araber verkauft. Die Bulldozer rollen im Auftrag der Regierung. Ihr Einsatz ist Teil eines Krieges, der nun schon über 20 Jahre währt. Im Sudan kämpft Nord gegen Süd, kämpfen arabische Muslime gegen schwarzafrikanische Christen. Der Krieg geht ums Öl. Im Süden sprudeln die schwarzen Quellen verheißungsvoll, und der Norden hat immer versucht, Herr zu werden über das flüssige Gold. Dem brutalen Zugriff auf den Reichtum des Südens aber und der radikalen Islamisierung haben sich Befreiungsbewegungen in den Weg gestellt. Der Preis war hoch. Zwei Millionen Tote. Ein verwüstetes Land. Und über fünf Millionen Heimatlose.
Die Menschen in Wad El-Baschir gehören zum Heer der Flüchtlinge. Zwei Millionen aus dem Süden haben sich am Stadtrand der Hauptstadt Khartoum in Slums angesiedelt. Auch hier, 1000 Kilometer von der Front, kämpft die Regierung gegen sie. Mit einer raffinierten Tötungsmaschinerie. „Die Christen sterben hier langsam“, so ein Priester, „an Hunger, an Kälte oder an Verzweiflung. Fast jeden Tag müssen wir Tote beerdigen.“
Vor Jahren gab es Widerstand gegen die Zerstörungen, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholen. Menschen stellten sich gegen die Bulldozer. Doch sie wurden überrollt, zermalmt. Heute sind die Opfer in Ohnmacht erstarrt. Skorpione fühlen sich wohl in dem Trümmerfeld, und auch sie töten Menschen. Die Spinnentiere sitzen in Spalten und Nischen und stechen zu mit ihrem Gift, wenn Kinder spielen oder wenn Erwachsene versuchen, einen Teil der Ziegel für einen Neubau zu retten. 35 Kilometer ist es bis zum nächsten Arzt. Viel zu weit.
Bis vor wenigen Wochen noch wäre es für Fremde unmöglich gewesen, nach Wad El-Baschir zu kommen. Doch die Zeiten ändern sich. Im Sudan wird, unter dem Druck der Weltöffentlichkeit, die Fassade poliert. Man gibt sich weltoffen, weniger fundamentalistisch, und gewährt Reisefreiheit. Seit über einem Jahr gibt es Friedensverhandlungen zwischen Nord und Süd. Die Kriegsgegner sind kampfesmüde, und die Vereinigten Staaten sind an einem schnellen Friedensschluss interessiert: Sie wollen den Zugriff auf das sudanesische Öl, und Präsident George Bush würde sich in Wahlkampfzeiten gerne mit einem außenpolitischen Erfolg brüsten. Auch in Wad El-Baschir ist die veränderte politische Großwetterlage zu spüren: Nachdem ein Fotograf für wenige Minuten seine Kamera gezückt hat, ist ein Staatsspitzel zur Stelle, eskortiert ihn und seinen Begleiter zu einem Steinhaus, das Handy am Ohr, um den Geheimdienstchef zu verständigen. Verhöre. Durchsuchung. Aufnahme der Personalien. Alles auf Arabisch. Zum Glück gibt es neue Gesetze, die neuen Freiheiten. Der Fotograf muss einen Film abliefern, doch dann lässt man ihn laufen, strengstens verwarnt ... Vor Wochen noch hätte das Foto-Wagnis Gefängnis gebracht.
Was es bedeutet, abgeholt und eingesperrt zu sein, weiß hier jedermann: Hinter den verschlossenen Türen hat sich nichts geändert. Unverändert wird gefoltert, ausgepeitscht und vergewaltigt. Dennoch weht äußerlich ein ganz neuer Wind im Sudan. Wo fanatische Turabis und Mullahs gestern noch das Sagen hatten, wo Nachrichtensprecher einen Turban tragen und Frauen unter das Kopftuch gezwungen sind, ist Wendezeit angesagt. Es herrscht Hoffnung auf Frieden. „Wenn der Frieden kommt …“ wäre wohl der „Satz des Jahres“ im Land am Nil. Neu ist die Reisefreiheit: Besucher können in Randbezirke von Khartoum fahren, sie können ein Ticket buchen und in die nächste Stadt fliegen. – Eine Freiheit, die 15 Jahre lang selbst Priestern und Bischöfen verwehrt war. Wenn ein Missionar zu Außenstationen wollte, brauchte er ein Visum. Und wenn der Bischof Reisepläne hatte, wartete er oft monatelang auf die Genehmigung. Heute möchte der Sudan weltpolitischer Musterknabe und nicht mehr Schurkenstaat sein.
John Cornelio, 48, sitzt auf der Kante seines Stuhls, als sei er auf dem Sprung. Und das, obwohl er zu den Bessergestellten gehört. Er, ein Schwarzafrikaner aus dem Süden, wohnt im Norden, in einem Slumgebiet am Rande der sudanesischen Metropole. Hier hat er es zu einem adretten Lehmhaus gebracht. „Wenn der Friedensvertrag unterzeichnet ist, gehen wir sofort“, erregt er sich. „Auch wenn das Leben im Süden noch härter wird. Wir wollen nach Hause. Hier gibt es nur Erniedrigung und Leid: Unsere Kinder haben keine Chance. Und satt essen können wir uns nur an den Tagen, wenn ich auf dem Markt einen Job als Träger erwische.“ Lasers Lado ist erst 20 und stammt aus Juba, 1600 Kilometer südwärts. „Wenn der Frieden kommt, sind wir am gleichen Tag weg, unterwegs nach Hause.“ Lado ist dem Krieg im Süden entkommen. Bomben. Verwüstete Felder. Hunger im Dorf. Angst, als Kindersoldat töten zu müssen. – Im Sudan sitzen mindestens vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene auf gepackten Koffern. Sie alle wollen nach Hause, sobald der Friedensvertrag unterzeichnet ist.
Wenn der Frieden kommt, wird eine gewaltige Völkerwanderung beginnen im Sudan. Niemand kann abschätzen, ob sich sofort Hunderttausende auf den Weg machen, per Schiff Nil aufwärts oder mit der Bahn oder zu Fuß. Im Schnitt rund 1500 Kilometer weit Richtung Süden. Durch unwirtliche Trockenregionen und Sumpfgebiete. Oder werden es auf einen Schlag Millionen sein, die ihre Elendsviertel im Norden verlassen, ihre arabischen Herren, von denen sie sich jahrelang wie Sklaven missbraucht fühlten? Niemand weiß, wann wie viele den großen Treck beginnen. Doch im Süden, zum Beispiel in der Erzdiözese Juba, läuft die Vorbereitung auf Hochtouren. Soma Francis, ein Kirchenmanager, umreißt, was die Diözese zu leisten hat: „Hunderttausende werden zu uns kommen. Mit nichts. Sie brauchen Werkzeuge, Saatgut, Baumaterial. Waisen suchen ein Zuhause. Schulen. Lebensmittel bis die erste Ernte reif ist. Und wir müssen Ausbildung anbieten, die Frieden sichert. Ohne eine Anleitung zur Versöhnung werden die Täter und Opfer von gestern nicht friedlich zusammen leben können.“ Doch das friedliche Zusammenleben im Süden wird ein Problem sein. Auch nach dem Friedensschluss: Hatten früher im Südsudan die verschiedenen Völker ihre Heimatregionen, ihre Traditionen, Riten und Kulturen, so gibt es heute nur noch ein Völkergemisch von Vertriebenen. Im Südsudan, so schätzen Fachleute, mussten 85 Prozent der Menschen ihre Heimat verlassen. Fast niemand lebt mehr dort, wo er geboren ist. Flüchtlinge im eigenen Land.
In Juba, an der Kathedrale, ist Jugendtag. Die älteren Teenager spielen Theater: „Wenn der Frieden kommt ...“, heißt ihr Stück. Wenn der Frieden kommt – so eine Szene –, erreicht ein Heimkehrer endlich sein Zuhause und findet seine Frau mit einem anderen … Dann, so der nächste Akt, treffen Heimkehrer auf Misstrauen: „Ihr seid abgehauen und hattet es gut im Norden, als wir hier hungerten und ausgebombt wurden. Jetzt kommt ihr daher und wollt Hilfe?“ Im nächsten Auftritt treffen sich die Folterer von gestern mit ihren Opfern – „Kriegsfolgen sind nicht nur zerstörte Häuser. Zum Wiederaufbau brauchen wir mehr als nur Lehm und Zement“, so die Botschaft der Jugendlichen.
Der Neuanfang wird schwer. Pfarrer Alphonse Muras aus El Obeid erklärt die Herausforderung auf der politischen Ebene: „Wenn der Frieden kommt, werden wir eine sechsjährige Übergangszeit haben, bevor alle Sudanesen über die Zukunft ihres Landes abstimmen können. Sie werden entscheiden, ob der Süden unabhängig wird.“ Damit nach über 20 Kriegsjahren ein solcher demokratischer Prozess gelingen könne, „müssen die Menschen dann wissen, was ihre Rechte sind.“ Ausbildung ist das Schlüsselwort. Und die Kirche legt sich ins Zeug: Katechistenausbildung, damit in den Dörfern gute Gemeindeleiter zur Verfügung stehen. Ausbildung von Frauen. Schulprogramme. Alleine in der Diözese Juba drücken über 9000 Kinder die Bänke in kirchlichen Schulen. An diesem Frühlingssonntag ist die Kathedrale der südlichen Metropole bis auf den letzten Platz gefüllt. Fünf junge Männer haben gerade ihre Ausbildung im Priesterseminar beendet und werden zu Diakonen geweiht. Männer, deren Lebensgeschichten eng mit dem Krieg verwoben sind.
Kasimiro Migga, 29, erzählt: „Vor Jahren ordnete die Regierung an, dass alle Schulen in Juba nur noch in Arabisch unterrichten sollten, und die Scharia wurde eingeführt. Da haben wir einen Streik begonnen, der mit Brutalität niedergeschlagen wurde. Ich floh mit Freunden nach Uganda. Unterwegs wurden einige von uns getötet. Ich kam für drei Monate ins Gefängnis.“ Atemlos klingt die Erinnerung von Kasimiro. „Wir wurden verhört, gefoltert, mit Stöcken geschlagen. Einmal gab es fünf Tage lang nichts zu essen. Im Gefängnis besuchte uns regelmäßig ein Priester.“ Kasimiro lehnt sich zurück und spricht dann ruhiger weiter: „Diese Begegnungen haben mich nicht mehr losgelassen. Durch ihn habe ich gespürt, dass trotz allem Gott mit mir ist. 1992 bewarb ich mich im Priesterseminar.“ Sein Kollege Clement Tombe Masimino erlebt bei der Weihe ein Wunder: Seit 15 Jahren hat er seine Mutter nicht gesehen. Ob sie noch lebte, wusste er nicht. Heute ist sie nach Hause gekommen. In der Kathedrale, als der neue Diakon zum ersten Mal das Messgewand angezogen hat, können sich Sohn und Mutter in die Arme schließen.