Schwer zu fassen
Als gelernte Krankenschwester wusste Daniela Engert, was das bedeutet, als Mutter konnte und wollte sie die im Raum stehende Diagnose nicht begreifen. Der Kinderarzt wies Anton sofort in die Missio-Kinderklinik in Würzburg ein: „Am Anfang habe ich noch gehofft. Aber als Anton dann an den Infusionen hing, habe ich es realisiert.“ In der Klinik wurden Anton und seine Eltern von der Kinderärztin und Diabetologin Dr. Nicole Nellen-Hellmuth empfangen. Gemeinsam mit den beiden Kinderkrankenschwestern und Diabetesberaterinnen Barbara Schmitt und Doreen Schulze-Otto sowie einem engagierten Team kümmert sie sich dort jährlich um etwa 15 kleine Diabetespatienten.In Antons Fall lautete die Diagnose „Diabetes Typ 1“. Dabei handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der sich das körpereigene Immunsystem, das krankmachende Keime abwehrt, gegen die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse wendet und sie zerstört.
Zellen ohne Zucker
Die Folge: Der Körper produziert dauerhaft kein eigenes Insulin mehr, der Zucker wird nicht mehr in die Zellen geschleust, sondern reichert sich im Blut an. Ohne Insulinzufuhr von außen kommt es innerhalb kürzester Zeit zu einer Stoffwechselentgleisung, die auf Dauer schwere Schäden an Blutgefäßen, Nerven, Gehirn und Organen verursachen und sogar tödlich enden kann. Die Gründe für die Erkrankung liegen im Dunkeln; vermutlich spielen virale Auslöser, Ernährung sowie Umwelt- und Erbfaktoren eine Rolle. Laut dem „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes“ ist heute bereits eines von 670 Kindern betroffen. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Neuerkrankungen verdoppelt, so dass Diabetes heute die häufigste Stoffwechselkrankheit im Kindesalter ist.Ist die Krankheit erst ausgebrochen, hilft nur eines: Die Patienten müssen ihrem Körper Insulin zuführen – durch Spritzen oder eine Insulinpumpe. Für Dr. Nellen-Hellmuth war es keine Frage, Anton sofort mit der Insulinpumpe auszustatten. Der Patient trägt dabei einen kleinen Computer bei sich, der dem Körper über eine Kanüle im Unterhautfettgewebe Insulin zuführt. Für den Grundbedarf gibt die Pumpe rund um die Uhr kleine Mengen Insulin ab, zu den Mahlzeiten wird der Insulinbedarf per Knopfdruck eingegeben. „Die Insulinmenge lässt sich so genau dosieren, was zu mehr Lebensqualität und Freiheit im Alltag beiträgt“, begründet Nellen-Hellmuth.
In den nächsten zehn Tagen durchliefen Antons Eltern, die sich in der Klinik „bestens beraten und liebevoll aufgefangen“ fühlten, im Schnelldurchlauf eine Ausbildung zu Diabetes-Spezialisten. „Antons größte Sorge war, dass er wegen der Erkrankung im Sommer nicht am Hindernislauf Rock the Race teilnehmen kann“, berichten sie. Doch genau das – ein Leben mit Einschränkungen – wollten Daniela Engert und ihr Mann nicht für Anton. Zurück zu Hause setzten sie alles daran, ihrem Sohn ein möglichst normales Leben zu ermöglichen.
Was im familiären Umfeld gut gelang, war im Kindergarten problematischer: „Die Erzieherinnen waren anfangs unsicher und ängstlich in Bezug auf die Insulinverabreichung“, berichtet Engert. Also fuhr sie zunächst zu jeder Brotzeit in den Kindergarten, um das Mahlzeiteninsulin zu verabreichen. Da das auf Dauer keine Lösung war, ergriff Daniela Engert kurzerhand die Initiative: Unter dem Markennamen „Dantoni‘s“ entwickelte sie verschiedene Sets aus folienbeschichteten Kärtchen.
Auf ihnen sind Lebensmittel – Backwaren, Obst, Süßigkeiten, Milchprodukte – abgebildet, die jeweils mit Mengen- und Kohlehydrateinheiten (KE) versehen sind: sieben Salzstangen 0,5 KE, hundert Gramm Joghurt 1,5 KE, ein Apfel 1 KE. Mit Hilfe der Karten kann Anton die jeweiligen Kohlehydrateinheiten für seine Brotzeit selbst eingeben, die Erzieherinnen müssen nur noch kurz kontrollieren.
Auf Zuraten von Dr. Nellen-Hellmuth hat Engert mittlerweile eine kleine Firma gegründet und vertreibt ihr Produkt – das übrigens eine Marktlücke füllt – in ganz Deutschland. „Diabetes-Patienten können so weitgehend selbstständig mit ihrer Erkrankung umgehen und erhalten ein Stück Unabhängigkeit zurück“, freut sich Engert. Und der Kindergarten? „Das klappt wunderbar!“, strahlt Daniela Engert. Sogar Kindergeburtstag, Ausflüge und Übernachten bei den Großeltern sind wieder möglich.
„Bei Anton ist im Grunde alles optimal gelaufen“, lobt das Diabetes-Team der Missio-Klinik. Dank der Aufmerksamkeit des Kinderarztes sei Anton noch vor Eintritt eines kritischen Zustandes in Behandlung gekommen.
Zupackend
Hinzu komme Daniela Engerts unverkrampfter und zupackender Umgang mit der Krankheit. Was für andere ein Weltuntergang ist, war für sie eine Herausforderung: „Es ist nur Diabetes, kein Todesurteil. Und wenn man die Erkrankung ordentlich behandelt, kann man gut damit leben“, sagt sie. Sein großes Ziel – den Hindernislauf Rock the Race – hat Anton übrigens erreicht. „Am Zieleinlauf hat er sich voller Stolz gleich zwei Urkunden ausstellen lassen – eine für sich daheim und die andere für die Missio-Kinderklinik, um anderen Kindern mit der Diagnose Diabetes Mut zu machen.“ Anja LeggeJeder kann sich vor Diabetes schützen
Knapp acht Prozent der Erwachsenen leiden in Deutschland am weitaus häufigeren Typ-2-Diabetes. Von der lange als Alterszucker bezeichneten Erkrankung sind mittlerweile auch zwei von 100 000 Jugendlichen betroffen. Laut WHO hat sich die Zahl der Erkrankungen in den letzten 30 Jahren vervierfacht. Patienten mit Typ-2-Diabtes leiden unter einer verringerten Insulinempfindlichkeit der Körperzellen. Das heißt: Insulin ist zwar vorhanden, allerdings ist der Körper dagegen resistent, der Zucker staut sich in den Blutgefäßen an. Meist verläuft die Erkrankung zunächst acht bis zehn Jahre im Dunkeln. Hauptursachen sind neben erblicher Veranlagung vor allem Übergewicht und Bewegungsmangel. Das bedeutet im Umkehrschluss: Mit präventiven Maßnahmen kann jeder selbst zur Gesunderhaltung seines Körpers beitragen und verhindern, dass die Körperzellen Insulin-resistent werden. Studien zufolge bewirkt eine Veränderung des Lebensstils sogar mehr als die Verabreichung von Diabetes-Tabletten. Folgende Tipps geben Dr. Nicole Nellen-Hellmuth, Barbara Schmitt und Doreen Schulze-Otto: • Kein Übergewicht – Nahrungspausen statt ständig essen; – keine Fertigprodukte, sondern selbst kochen und auf eine ausgewogene, kohlenhydrat- und fettreduzierte sowie ballaststoffreiche Ernährung achten; – viel Gemüse, Obst und Rohkost, wenig fettreiches Fleisch; – keine zuckerhaltigen Getränke, stattdessen Wasser; – laut neueren Studien wirkt sich ein kohlenhydratreiches Frühstück positiv auf den Zuckerstoffwechsel aus. • Bewegung – Alltagsbewegung wie Treppensteigen, Gang zur übernächsten Bushaltestelle, Einkauf zu Fuß; – am Wochenende auf Ausgleich achten. • Rituale beim Essen– in Ruhe, gemeinsam und langsam essen; – ausreichend kauen. Kontakt:
Missio-Kinderklinik: Klinikum Würzburg Mitte gGmbH, Salvatorstraße 7, 97074 Würzburg, Telefon 0931/791-0, Internet „www.kwm-klinikum.de“. Dantoni‘s: Daniela Engert, Bacchusstraße 4, 97334 Sommerach, Telefon 09381/7170177, Internet „www.dantonis.de“.
DDG Deutsche Diabetes Gesellschaft: Internet „https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de“. Stiftung Dianino. Kind sein. Trotz Diabetes: Internet „www.stiftung-dianino.de“.