Ein fränkischer Garten Eden – das ist die vom Weinbau geprägte Landschaft um die Vogelsburg. Seit mehr als elf Jahrhunderten reiht sich an den steilen Hängen über der Mainschleife Weinstock an Weinstock.
Und seit dieser Zeit wird dort geistliches Leben gepflegt. Zuerst von den Fuldaer Benediktinern, dann von den Würzburger Karmeliten. Und schließlich, nach einer längeren Pause, ab 1957 von den Augustinusschwestern. Dieser spirituelle Ort bei Volkach war unlängst ein Höhepunkt der erstmals vom Exerzitienhaus Himmelspforten der Diözese Würzburg veranstalteten Weinbergs-Exerzitien.
Insgesamt sechs Personen haben sich nach einer abendlichen Einstimmung und einer Messe am frühen Morgen in Himmelspforten auf den Weg gemacht, um Einkehr in den erntereifen Weinbergen zu halten. Dr. Burkhard Rosenzweig, der Rektor des Exerzitienhauses, und Geschäftsführerin Gudrun Dittmann-Nath, eine ehemalige Weinprinzessin, begleiten die vier Teilnehmerinnen. „Wandern, Schweigen, Reden, Gottesdienst feiern, Gemeinschaft in den Weinbergen erfahren“ steht auf dem Programm, 15, weitgehend schattenlose Kilometer an einem sehr warmen Spätsommertag – die Gruppe ist auch körperlich gut gefordert. Während etliche E-Biker entspannt durch die Weinberge radeln, führt der Weg die Gruppe von der Wallfahrtskirche Maria im Weingarten mit der bekannten Madonna im Rosenkranz Tilman Riemenschneiders aus den 1520er Jahren nach Fahr und von dort nach einer Mittagspause auf einem ehemaligen Zehnthof des Zisterzienserklosters Ebrach zur Vogelsburg.
Rektor Rosenzweig ist von der üppigen Natur begeistert: „Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß“, zitiert der Domvikar ein Gedicht von Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1902. Und tatsächlich scheinen die üppigen Trauben auf den Beginn der Lese zu warten – in manchen Zeilen liegen sie schon auf dem graubraunen Boden der Weinlage „Escherndorfer Lump“, einer der heißesten Deutschlands.
Glück und ZUfriedenheit
Aber das ist die Ausnahme. Ansonsten kann man auf dem Panoramaweg, der am „terroir f“-Aussichtspunkt zum Thema Klima und Klimawandel vorbei zur Vogelsburg führt, sehr gut nachvollziehen, was Rosenzweig in der Ausschreibung der Exerzitien so formuliert hatte: „Das Sitzen unter dem Weinstock ist ein Bild für eine von Gott geschenkte Zeit des Glücks und der Zufriedenheit.“ Die große Bedeutung des Weins im Alten und Neuen Testament haben schon auf dem Weg zur Vogelsburg mehrere Schriftlesungen verdeutlicht. Da preist Jesus Sirach den Wein als Lebenswasser – allerdings nur bei mäßigem Genuss zur rechten Zeit. „Zu viel Wein ist eine Falle für den Toren, er schwächt die Kraft und schlägt viele Wunden“, lautet seine drastische Warnung. Und ganz praktisch rät er: „Beim Weingelage nörgle nicht am Nachbarn herum, verspotte ihn nicht, wenn er heiter ist.“ Wie tief verwurzelt der Wein in der jüdischen Kultur ist, belegt die Überlieferung, Noah sei der erste Weinbauer gewesen.
„Zu einem Bild der Fruchtbarkeit, des Segens und der göttlichen Verheißung wurden dann große fruchtbare Reben“, sagt Rosenzweig. Die Kundschafter mit der ins Lager der Israeliten gebrachten Riesentraube stellten die ersten Christen gerne auf Sarkophagen dar – als Symbol für die Verheißung des ewigen Lebens. Den Zusammenhang zwischen Wein und Liebe findet man im Hohelied, einem sinnlichen Liebeslied. Der Exerzitienleiter erläutert: „Weintrinken ist identisch mit der Erfahrung von Liebe, und umgekehrt wird auch die Liebe wieder mit dem Wein verglichen, wenn der Bräutigam seine Freunde auffordert: ,Freunde esst und trinkt, berauscht euch an der Liebe.’“ Wie erotisch das Alte Testament sein kann, verdeutlichen die Worte des Bräutigams an seine Braut: „Trauben am Weinstock seien nur deine Brüste, Apfelduft sei der Duft deines Atems, dein Mund köstlicher Wein, der glatt in mich eingeht, der Lippen und Zähne mir netzt.“
„Ich bin der Weinstock ...“
Im Neuen Testament hingegen spielt die erotische Komponente des Weins keine Rolle, wohl aber der Wein bei Festen wie der Hochzeit von Kana und der Weinberg als Schauplatz der Gleichnisse Jesu von den Arbeitern im Weinberg, den bösen Winzern und dem Feigenbaum im Weinberg. „Ich bin der Weinstock, Ihr seid die Reben“, sagt Jesus im Johannesevangelium. „Die wichtigste Bedeutung, die der Wein im Leben Jesu und dann für die Christen aller Zeiten erhält, wird beim letzten Abendmahl sichtbar“, sagt Rosenzweig, als die Vogelsburg nicht mehr weit entfernt ist und die Mittagssonne immer heißer im Nacken zu sitzen scheint. „Die frühe Kirche hat noch ein anderes starkes Bild für das Geheimnis von Jesu Passion und Auferstehung und für das Geheimnis der Eucharistie. Es ist das Bild des Keltertreters“, erklärt der Exerzitienleiter, während die Teilnehmerinnen schweigend ihren Blick über die Mainschleife wandern lassen. „In seinem Leiden wurde Jesus wie eine Traube für uns zertreten. Daraus strömte sein ,Traubenblut’ in den Kelch, der auf mittelalterlichen Darstellungen oft von Engeln gehalten wird, die darin das Blut Jesu auffangen.“ In der Zeit der Verfolgung sei das Zertreten der Trauben auch ein Bild für die Märtyrer der frühen Kirche geworden.
Weinpionierin blickt zurück
Als die Gruppe endlich die Vogelsburg erreicht, erwartet sie dort eine Pionierin des ökologischen Weinanbaus in Franken: Schwester Hedwig Mayer lebt seit 1973 auf der Vogelsburg und leitet als Priorin die Gemeinschaft der Augustinusschwestern. Auch wenn das Juliusspital bereits 2011 die Vogelsburg und die dazu gehörenden zwei Hektar Weinberge von den Augustinusschwestern erworben hat, ist die Winzermeisterin ihrem Lebenswerk immer noch eng verbunden. Diese Begeisterung merkt man ihr trotz aller Nüchternheit an. Genauso wie den bescheidenen und zugleich selbstbewussten Stolz auf den erfolgreichen ökologischen Weinbau um die Vogelsburg.
Die Anfänge seien schwierig gewesen, erinnert sich Schwester Hedwig nachdenklich: „1964 spritzte Schwester Christa in einem Weinberg Unkraut ab. Spritzbrühe gelangte in ihre Gummistiefel und sie erkrankte. Aufgrund dieser Erkrankung verwendete sie danach keine Herbizide mehr, und sie verzichtete auch auf Insektizide. Das erregte Ärgernis bei den Winzern.“ Ärgernis erregten auch die „verunkrauteten Weinberge“, da Schwester Christa mit den Hackarbeiten nicht nachgekommen war. Als die Schwestern dann 1973 auch auf Fungizide verzichteten und Pflanzenpflegemittel verwendeten, sei dies wieder ein Aufbruch in neues Land gewesen, betont die Priorin. „Manche Nacht habe ich nicht geschlafen, ob es mit dieser Spritzart geht. War doch der Weinbau ein wesentliches finanzielles Standbein der Gemeinschaft.“ Bei diesem Gang ins Neuland, wie sie ihre Arbeit im Weinberg nennt, ließen sich die Augustinusschwestern vom zweiten Schöpfungsbericht des Buches Genesis leiten, der die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung betont – „zu bebauen und zu behüten“, sagt die Priorin.
Schöpfung als Lehrmeisterin
In den vier Jahrzehnten der Arbeit im Weinberg sei ihr die Schöpfung zur Lehrmeisterin geworden, denn sie habe versucht, alle Arbeitsschritte während des Jahres auf sich selbst zu übersetzen. Als Beispiel nennt sie den alljährlichen Rebschnitt: „Der Weinstock kann sich nicht wehren, er wird beschnitten. Und ich habe mich gefragt: Darf mich jemand beschneiden?“ Die Antwort: „Wenn der Rebstock nicht beschnitten wird, dann degenerieren die Früchte mit der Zeit. Übertragen auf mich, wenn ich meine, mit all meinen Talenten wuchern zu können, dann wird sich keines davon gut entwickeln und vermehren.“
Während die Gruppe im Schatten sitzt und den Ausblick von der Vogelsburg Richtung Volkach genießt, wo der Tag nach einer Station in Astheim einige Stunden später mit einer Weinprobe ausklingen wird, zieht Schwester Hedwig die Bilanz ihrer Tätigkeit: „Weinbau an der Vogelsburg habe ich immer als Auftrag gesehen, die Schöpfung zu bebauen und zu hüten, um so Mitarbeiterin Gottes zu sein. Und ich denke, dass dieses ganzheitliche Verhalten mehr war, als ökologischen Weinbau zu betreiben.“
Wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ lehnt die Priorin das rückwärts orientierte „technokratische Paradigma“, den seelenlosen Umgang mit der Schöpfung, ab. Ihr Blick richtet sich zurück – und nach vorne: „Wir haben schon vor 50 Jahren den Weg zu den Quellen gesucht und mussten gegen den Strom schwimmen, gegen den Zeitgeist. Aber dieser Weg führte in die Zukunft, nicht nur für uns, sondern auch für den fränkischen Weinbau.“