Vor einigen Jahren war ich zu Weihnachten in Israel und Palästina. Im Land Jesu habe ich ein sehr eindrückliches Fest erwartet, aber es waren nicht die feierlichen Gottesdienste oder der Besuch der Geburtsgrotte in Betlehem in der Weihnachtsnacht, die mich diese Tiefe haben spüren lassen. Weihnachten wurde es für mich auf dem Fußweg von Jerusalem nach Betlehem mitten in der Nacht am Checkpoint. Vorbei an den Menschen, die frierend auf einem Stück Pappe saßen und hofften, am nächsten Tag Lohnarbeit zu finden – von Besinnlichkeit keine Spur. Vorbei an den Soldaten mit ihren Waffen in den Händen – kein friedliches Weihnachten. Und vorbei an der Grenzmauer, die überzogen ist mit Graffiti.
Bilder, die von der tiefen Hoffnungslosigkeit und dem großen Leid der Palästinenser und Palästinenserinnen sprechen. Bilder, die den gewaltvollen Nahost-Konflikt deutlich vor Augen führen – keine fröhliche Weihnachtsstimmung. Doch gerade hier habe ich gemerkt: DAS ist Weihnachten. An dieser Mauer – in all dem Elend – in all der Hoffnungslosigkeit. Hier wird Gott Mensch. Hier kommt der Friedensfürst zur Welt – umgeben von Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen. Hier wird Weihnachten. Da, wo es ungemütlich ist – nass, kalt, arm, hoffnungslos. Nicht unter unseren Weihnachtsbäumen, nicht an unseren gedeckten Tischen und auch nicht in unseren Kirchen.
All das darf auch sein – erst recht in Zeiten wie diesen. Das Gemütliche, das Beisammensein, das Essen. Weihnachten darf und soll gefeiert werden. Aber vergessen wir dabei nicht die andere Seite. Gott kommt zu den Menschen in Not. Leid darf niemals verklärt werden, aber Gott hat allen Menschen zugesagt, bei ihnen zu sein. Gott ist Mensch geworden, weil er uns Menschen liebt. Und das darf gefeiert werden. Gesegnete Weihnachten.
Alexandra Thätner