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Was zum Heilsein fehlt
EvangeliumIn jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen, und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes. Johannes 1,29–34 Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt.“ Im heutigen Evangelium findet sich der biblische Ursprung für dieses Bekenntnis. Diesen Satz hören und beten wir in jeder Eucharistiefeier – ein Satz der uns vertraut, aber schwer zu verstehen ist. Vielen Menschen stößt auf, dass sie als „Sünder“ vor Jesus stehen, die starke Betonung und Reduzierung unseres menschlichen Daseins auf die „Sünde der Welt“. Immer geht es nur um Opfer und Sühne. Wie können wir heute noch diesen Satz mitbeten: „Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt.“Mir ist da die Krankenkommunionfeier am Patientenbett ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis geworden: Der Schwerpunkt meiner Arbeit sind die Besuche bei den Kranken, ihnen das Gespräch anzubieten und ihnen die Möglichkeit zu geben, über das zu reden, was sie bewegt. Ich höre viel menschliche Not: Wenn mit der Rente auch die chronischen Krankheiten beginnen, viel Zeit im Krankenhaus, beim Arzt, bei Therapien verbracht werden muss, obwohl man eigentlich geplant hat, mit der Rente endlich das Leben mit dem Partner zu genießen und noch mal zusammen wegfahren zu können. Wenn älteren Menschen schmerzlich bewusst wird, dass sie durch ihre Erkrankung nicht mehr selbstständig weiterleben können, sondern auf Hilfe, Pflege oder gar das Pflegeheim angewiesen sind. Wenn die Krebserkrankung so weit fortgeschritten ist, dass klar ist, es geht nur noch um Wochen und Tage, die zum Leben bleiben. Und so vieles noch offen ist, geklärt werden muss, wie geht es weiter mit den Kindern, dem Partner ... Wenn es nach wochenlangem künstlichem Koma langsam wieder aufwärts geht, das Atmen, das Sprechen, das Schlucken, die Bewegungen wiederkommen ... Im Gespräch kommt oft schon Bewegung in das Erzählte, manches sortiert sich, manchem wird deutlich, was jetzt wichtig ist, verschüttete Quellen tun sich auf. Manche äußern dann auch den Wunsch nach der Krankenkommunion – und wenn man dann zu diesen Patienten kommt und ihnen die Kommunion bringt: Das Erfahrene, die Not, die Schmerzen, die Hoffnungen im Gebet formuliert und vor Gott bringt und spricht: „Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt“ – kommt es immer wieder vor, dass sie in Tränen ausbrechen: Und ich glaube nicht, weil ihnen jetzt bewusst wird, dass sie Sünder sind, sondern weil sie in diesem Moment spüren: Gott ist jetzt da, er sieht mich, er begibt sich zu mir auf Augenhöhe, er sieht mich ganz persönlich – mein Leid, mein Schicksal, meine Angst, meine Hoffnung und meine tiefste Sehnsucht nach Heil-sein. Sie spüren, dass es dieser Gott ist, der sie sieht, so wie sie sind, sich ihnen in die Hand gibt, sich für sie ganz klein gemacht hat, um sie groß, heil und frei werden zu lassen. Dass er es ist, der ihnen Kraft zum Leben gibt und sie stärkt. Man könnte sagen: „Die Sünde der Welt“ ist alles, was uns zum Heilsein fehlt, das, worunter wir leiden, alles, was in unserem Leben zerbrochen ist, was uns niederdrückt und uns nicht leben lässt. Und wir Menschen tragen ja nicht nur dies in uns, sondern stehen auch mit unserer ganzen großen Sehnsucht vor ihm – mit dem Vertrauen und Glauben, dass er uns heil macht, uns neue Hoffnung gibt und stärkt. Es ist „das Lamm Gottes“ – Jesus Christus, der zu uns kommt, unser Leben mit uns teilt, mit seinem Kreuz unsere Lasten und unser Kreuz mitträgt, der in seinem Tod und Sterben durch unser Sterben und unseren Tod mitgeht und ins Leben führt. Er hilft uns tragen und gibt uns Mut, wenn uns die Angst überrollt. Wir sind nicht allein gelassen. Wir dürfen in diesem Satz „Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt“ in jeder Eucharistie Gott immer wieder unser Leben und unsere Welt anvertrauen – denn er heilt uns und schenkt uns das Leben in Fülle.Pastoralreferentin Wiltrud Stoer ist Krankenhausseelsorgerin in den Kliniken Miltenberg-Erlenbach GmbH.