Evangelium
An jenem Tag, als es Abend geworden war, sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; einige andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?
Markus 4,35–41
Vor einigen Wochen tobte ein Tornado über Fuchsstadt. Die Windhose schlug binnen weniger Minuten eine Schneise der Verwüstung durch den Ort, mehr als zwei Dutzend Häuser wurden – die einen mehr, die anderen weniger – abgedeckt, Bäume wurden ausgerissen, und Gartenmöbel, Spielgeräte und manches andere, das nicht niet- und nagelfest war, landeten im übernächsten Garten, Dachziegel sind nach Augenzeugenberichten wie dürres Laub durch die Gegend gewirbelt. Nachdem dies an einem Freitagnachmittag passierte, wo schon viele von der Arbeit zuhause waren, sammelten sich bald die Menschen auf der Straße, um die Schäden zu begutachten, Trümmer zu beseitigen und mit ersten Sicherungs- und Reparaturmaßnahmen zu beginnen. Da war auf einmal ein vielfältiges Leben in den Straßen des Ortes, Nachbarn standen zusammen um sich gegenseitig ihre Schäden zu berichten und am Los der anderen Anteil zu nehmen und gegebenenfalls auch einmal beim Nachbarn mitanzupacken, wenn es galt, die Schäden zu beheben. Die Feuerwehr rückte mit ihrem Gerät an. Ein solch lebhaftes Treiben in den Straßen an einem Freitagnachmittag habe ich so noch nicht erlebt. Hatte die Gewalt des Sturmes die Menschen zuerst in die Häuser vertrieben, so führten seine Folgen auf der Straße wieder zusammen. Was gemeinsame Betroffenheit bewirken kann!
Gemeinsame Betroffenheit erleben auch die Jünger dieses Sonntagsevangeliums. Sie sitzen im wahrsten Sinne des Wortes in einem Boot, ihr Schicksal ist allen gleich. Sie erleben die Macht der Naturerscheinung am eigenen Leib, ihr Leben wird bedroht, das Wasser, das das Boot füllt, steht ihnen buchstäblich bis zum Hals. Das wäre nun alles ein Katastrophenfall, wie es ihn immer wieder einmal gibt, läge nicht Jesus, ihr Meister, in aller Ruhe schlafend hinten im Boot, scheinbar unbeeindruckt von den aktuellen Problemen der Jünger.
Erst auf ihre Vorhaltungen hin greift Jesus in die Situation ein und bewirkt eine erstaunliche Klärung, wie sie nur seine Macht bewirken kann. Jesus hinterfragt sie, ob ihr Glaube noch nicht ausgeprägt genug ist, das Wagnis des Vertrauens auf ihn einzugehen. Hätte Jesus sofort eingegriffen, wären die Jünger möglicherweise um die nachfolgende Belehrung gekommen, denn dass sie mit seinem Wunder wirkendem Eingreifen rechnen können, das haben sie bei anderen Gelegenheiten schon erfahren. Erst die Verzögerung, die ihre Situation bis ins Dramatische steigert, verweist sie noch einmal darauf, dass sie auf Jesus ihr Vertrauen setzen dürfen und sollen.
Das soll nun nicht heißen, dass wir Menschen immer wieder erst einmal in schwierige Lagen kommen sollten, um daraus zu lernen, dass wir in Jesus Christus einen Helfer finden, auf den wir unser ganzes Vertrauen setzen dürfen. Solche heldenhafte Gefahrenmeisterung wird auch sicher im Leben der meisten von uns eher eine Ausnahme bleiben. Letztlich soll diese Episode des Evangeliums ja auch für uns vielmehr ein Lehrstück sein: Ich brauche es, ich soll es erst gar nicht soweit kommen lassen, dass ich erst in der ärgsten Not daran denke, auf Gott, auf Jesus Christus, mein ganzes Vertrauen zu setzen. Not kann zwar manche ungeahnte Kraft hervorbringen, auch lehrt sie ja sprichwörtlich beten, aber die Gelegenheit, auf Gott zu vertrauen, soll sich eher im Alltag bewähren – um dann gegebenenfalls Reserven zu haben für manche brenzlige Situation.
Der Tornado über Fuchsstadt hat sicher bei manchen unserer Einwohner wieder einmal das Bewusstsein für die Menschen rechts und links ihres eigenen Anwesens wachgerufen, aber ich hoffe, dass sich ein solcher Schaden so schnell nicht wieder ereignet. Ich wünsche uns allen, dass unser alltägliches Leben vom Vertrauen auf Gott durchdrungen ist und nicht erst in schwierigen Lagen geweckt wird.
Der Autor ist Pfarrer der „Pfarreiengemeinschaft Saalekreuz“ und Dekan des Dekanates Hammelburg, dazu Präses des Kreisverbands Bad Kissingen der KAB.