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    Sie ringen um Boden, um Recht: Bauern und Arbeiter im philippinischen Zuckerrohr-Land

    Von wegen süßes Leben: „Sichert die Nahrung jetzt!“

    Sie ringen um Boden, um Recht: Bauern und Arbeiter im philippinischen Zuckerrohr-Land
    Ein süßer Duft liegt überm Gras, schwer wie Sirup hängt er auf den Feldern – der Geruch von Zucker im Westen der philippinischen Insel Negros. Fast überall wird dort meterhohes Zuckerrohr angebaut: Teils auf riesigen Plantagen, die noch wie zur spanischen Kolonialzeit von Großgrundbesitzern betrieben werden. Teils auf kleinen Farmen, die Bauern wie Elisabetha und Candido Cuenca gehören: Auch ihnen schwappt morgens eine süßliche Note entgegen, wenn sie zu ihren Feldern ziehen.
     
    Lange haben die beiden gekämpft, bis sie einen Flecken Erde ihr eigen nennen durften. „Mit 16 Jahren musste ich meiner Familie helfen und Tagelöhnerin werden“, sagt die heute 43-jährige Elisabetha, kurz Neneng genannt. Sie bricht die Schule ab, wird auf der Hazienda Bino Hilfskraft fürs Jäten: Mit den Fingern pult sie Unkraut zwischen jungen Zuckerrohr-Stängeln heraus. „Acht Stunden am Tag, sechs Tage die Woche – wie es der Verwalter wollte“, ächzt sie. „Gleich, ob es heiß war oder regnete.“ Wenigstens durfte ihre Familie auf der Plantage wohnen, in der Siedlung Orong. „Bloß Gemüse konnten wir vor der Hütte nicht ziehen“, seufzt Neneng. „Sobald wir etwas Boden urbar machten, setzte die Patronin Zuckerrohr hin.“ Ein Nachteil, wenn der Verdienst oft nicht fürs Essen reicht. Denn: Lohn gab es pro Arbeitstag, doch täglich Arbeit nur an sechs Monaten im Jahr – sonst nur an zwei, drei Tagen die Woche. In der Zeit brauchten die Tagelöhner häufig einen Vorschuss: Die Patronin überließ ihnen Reis und Nahrung, die sie in der nächsten Saison abarbeiten mussten. „Das fesselte uns an die Plantage“, stöhnt Neneng.
     
    Und das, obwohl viel auf den Philippinen geschah: Friedliche Massenproteste hatten die Marcos-Herrschaft beendet, und die Nachfolge-Regierung Aquinos brachte 1987 ein Gesetz zur Landreform auf den Weg. Danach soll Großgrundbesitz gegen einen finanziellen Ausgleich aufgespalten und an die Menschen verteilt werden, die besitzlos sind und bislang für fast nichts das Land bestellt hatten – zum Wohl weniger Reicher. Doch auf der Hazienda Bino änderte sich vorerst wenig. Bis Mitte der 90er Jahre in der nahen Stadt Kabankalan die „Peace Development Group“ (PDG) ihre Arbeit aufnahm – eine Vereinigung christlicher Gemeinden mit dem Ziel, die Tagelöhner aufzuklären und die Bodenreform in den Dörfern voranzutreiben. „Die soziale Kluft war zu groß und ungerecht geworden“, urteilt Pfarrer Irenol Gordoncilio, der den Umschwung als Beobachter der Diözese begleitet. „Da ist die Kirche in der Pflicht, sich auf die Seite der Armen zu stellen.“
     
    Einige Großgrundbesitzer waren durchaus willens, die Landreform mitzutragen, nachdem in den 80er Jahren der Weltmarkt-Preis für Zucker eingebrochen war. „Wir saßen auf überschuldetem Boden und sahen im Verkauf einen Neuanfang“, so der frühere Eigner James Araneta. Doch nicht alle teilten diese Sicht, schon gar nicht die Bino-Patronin: „Sie wollte das Land ihrer Vorfahren nicht hergeben“, sagt Neneng. „Wie sollten wir es fordern?“ Dafür sieht die Reform den Gerichtsweg und die Enteignung gegen Entschädigung vor. Aber – Mühe solche Ansprüche umzusetzen, gibt sich der Staat nur in Maßen: Bis heute ist von den großen Haziendas im Land, die zusammen genommen rund 440000 Hektar Boden umfassen, erst die Hälfte der Fläche eingefordert worden, schätzen Vereinigungen wie die PDG.
     
    Auch die Leute in Orong haben wenig über ihre Rechte erfahren: „Erst die PDG-Berater sagten, dass wir uns für eine Klage als Gruppe organisieren müssen“, bestätigt Neneng. „Sie besorgten uns Anwälte.“ Mit dem Gang vor Gericht begann ein zähes Ringen. „Sobald die Patronin davon hörte, ließ sie uns nicht mehr arbeiten und schickte andere Leute aufs Feld“, empört sich die Bäuerin. Das war ungesetzlich: Als ständige Tagelöhner sind die Dörfler verpflichtet, auf der Plantage zu bleiben – indes muss die Eigentümerin ihnen Arbeit geben. Zumindest solange sie kein Trennungsgeld zahlt und die Leute wegschickt. „Sie tat weder das eine noch das andere“, schimpft Neneng. „Wollte uns in die Knie zwingen.“
     
    Zumal die Patronin als Kongressabgeordnete Einfluss hatte und dafür sorgte, dass ihre Leute kaum woanders beschäftigt wurden. Drei Jahre lang – „in denen wir oft nur einmal am Tag aßen und nachts vor Sorge nur zwei Stunden schliefen“, erinnert sich Bäuerin Cuenca. Für einige war der Druck zu groß: Ein Viertel der Siedler zog die Klage zurück, um wieder arbeiten zu dürfen. Doch 58 Familien hielten durch und bekamen recht. 1998 wurden ihnen insgesamt 129 Hektar Land zugesprochen. Drei Wochen lang mussten sie noch vor dem Haus der Patronin in Sitzstreik treten und verhandeln, dann konnten sie den Grund wirklich in Besitz nehmen. So wie die Cuencas ihre 1,5 Hektar Boden: Umgerechnet 2400 Euro müssen sie dafür jetzt 30 Jahre lang in Raten an die Bank zahlen.
     
    Dafür ackern wir gerne“, unterstreicht Neneng fröhlich. Um möglichst viel vom Ertrag zu behalten und keine Kredite für Saat und Kunst-Dünger aufnehmen zu müssen, haben sich die Cuencas dem Programm von MASIPAG angeschlossen, einem nationalen Netzwerk von Kleinbauern, Wissenschaftlern und Hilfsorganisationen. 1986 wurde es als Maßnahme gegen die Verarmung der Bauern auf den Philippinen gegründet. Zugleich hat sich das Netzwerk zur Stütze für die Begünstigten der Landreform entwickelt, die über kein Kapital verfügen. Für sie lautet die Lösung: „Auf einheimisches, ökologisch angepasstes Saatgut zu setzen, das nachhaltig statt mit Chemie angebaut werden kann“, sagt MASIPAG-Koordinator Emmunel Yap. Das heißt: Landwirtschaft mit vielfältigem Obst- und Gemüseanbau, bei dem auf den Feldern nichts verkommt und alles verwertet wird. Gefördert wird der Wandel zum Öko-Anbau als Weg aus der Armut auch vom katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen: Mit einer Million Euro hat man dieses Anliegen seither unterstützt.
     
    Für die Cuencas bedeutet der nachhaltige Anbau vor allem viel Handarbeit auf den Feldern, wo sich Neneng mit Strohhut und Kopftuch vor der Sonne schützt. „Auf einem Drittel unserer Fläche ziehen wir Reis, auf dem nächsten Gemüse wie Tomaten, Papaya und Rettich“, zählt sie auf. „Ein Drittel bleibt für Zuckerrohr übrig.“ Die Bauern pflanzen das Süßgras, obwohl sie mit anderem Gemüse mehr Geld verdienen könnten. Dafür lässt sich das Rohr leicht anbauen: Geschälte Rohrstücke der vorherigen Ernte werden einfach quer in die Erde gesteckt, sie wurzeln von selbst. Nach zehn Monaten Reife schlagen die Bauern die Halme: Drei Meter sind sie hoch – doppelt so groß wie die zierliche Neneng.
    Im Schnitt 120 Euro im Monat verdient die Familie Cuenca durch den Verkauf ihrer Waren. Mit den Einnahmen können sie die Schulden tilgen, und alle fünf Kinder auf eine gute Ausbildung hoffen. Davon träumt auch der 11-jährige Edward Titon auf der Plantage Carmen, die einige Kilometer südlich von der Cuenca-Farm liegt. Schon morgens vor der Schule hackt der Junge Zuckerrohr: Seine paar Cent Verdienst sind ein Zubrot für Mutter Shirley – eine Tagelöhnerin, die alleine acht Kinder durchbringen muss. Sie ist froh, dass Edward trotz seiner Frühschicht ordentliche Schulnoten hat. „Später würde ich gerne mit Computern arbeiten – so wie mein Freund einen hat“, sagt der 11-Jährige. „Doch daraus wird nichts: Wir haben kein Geld, also werde ich Feldarbeiter.“ Gerade für ihre Kinder hofft Mutter Shirley, die Plantage ihres Patrons möge ebenfalls in die Landreform einbezogen und der Boden verteilt werden. Doch bisher hat sich niemand dafür eingesetzt, noch haben die Tagelöhner im Dorf eine Klage durchgebracht. „Von alleine passiert eben nichts“, seufzt sie.
     
    Ähnliche Sorgen plagen Rudolpho Caangav, der auf der nächsten Plantage Zuckerrohr zum Lastwagen schleppt. „Wir leben oft vom Vorschuss, dann gibt es nur Reis für meine Familie“, bedauert er und wuchtet ein Bündel auf die Schulter. Nass geschwitzt ist der Träger von der schweren Arbeit – doch bekommt er nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn dafür. „Der Patron sagt, die Plantage sei zu klein“, so Caangav. Wie die Arbeiter aber ihre Familien mit noch weniger über die Runden bringen sollen, verrät ihnen keiner. Daher gibt es oft großen Mangel auf Negros: Wie im Sommer 2002, als nach Angaben von Hilfswerken 20000 Familien von Unterernährung bedroht waren.
     
    Wenigstens solche Not müssen die Cuencas nicht mehr fürchten. Obwohl sie immer noch nicht viel besitzen: So steht ein abgeschabtes, grünes Sofa mit aufgerissenen Polstern in der Sitzecke. „Doch wir haben genug Reis im Haus“, hält Neneng dagegen. „Und viel Fisch und Gemüse.“ Dass nicht nur ihre Familie zu essen haben soll, sondern immer mehr Menschen auf den Philippinen zu ihrem Recht kommen müssen, ist für die Bäuerin eine klare Sache. Dafür tritt sie ein und fährt öfter mit Freunden zu Kundgebungen in die Stadt. Abends malt sie deshalb noch Plakate gegen die „untätige Regierung“ und pinselt mit roter Farbe Protest-Sprüche. „Sichert die Nahrung jetzt!“ steht etwa auf einem Schild, das Neneng bei der Demonstration am nächsten Tag hochhält.