Immer wieder einmal ist die Rede davon, dass Deutschland das „Land der Dichter und Denker“ sei. Und ohne Überheblichkeit darf man ja auch sagen, dass es hierzulande eine reiche literarische und philosophische Tradition gibt. So haben auch diejenigen, die ernsthaft und nicht nur als Floskel vom Land der Dichter und Denker reden, den Blick meist in die Vergangenheit gerichtet, während sich ihr Stolz über das zeitgenössische Dichten und Denken eher in Grenzen hält.
Nun mag diese Einschätzung zutreffen, was das „das Land der Dichter“ betrifft. Keinesfalls aber kann das in gleicher Weise für „das Land der Denker“ gelten. Denn gedacht wird hierzulande so viel wie vermutlich nie zuvor. Zumindest hat man den Eindruck, wenn man die Äußerungen der Zeitgenossen verfolgt. Nahezu jeder zweite Satz wird da eingeleitet mit der Formulierung „Ich denke ...“. Und das quer durch alle Schichten, von den höchsten Repräsentanten von Staat, Kirche und Gesellschaft bis hin zum Kicker auf dem grünen Rasen. Und so ensteht der Eindruck, weite Teile unserer Bevölkerung seien unablässig am Denken. Mit durchaus gemischten Ergebnissen allerdings, wenn man sich anhört, was auf die Einleitung „Ich denke ...“ gelegentlich noch so alles folgt. Das aber könnte nun wieder daran liegen, dass der Sprechende doch nicht richtig gedacht hat, sondern nur „angedacht“ – eine ebenfalls immer öfter zu vernehmende Formulierung. So kennt der Mensch von heute offensichtlich auch ein Denken, das sich im Vorfeld des klassischen Denkens bewegt, also eine Art Vorstufe des Denkens
Nun behaupten manche, die Formulierung „Ich denke ...“ könne man ohne Sinnverlust zu fast 100 Prozent durch „Ich meine ...“ ersetzen. Das mag ja sein, aber gedacht muss doch trotzdem werden, denn Meinung ohne Denken – das geht doch gar nicht, oder? Das ist doch „undenkbar“ – ein ebenfalls häufig benutztes Wort; gemeint ist damit allerdings: nicht oder nur schwer vorstellbar. Denn denkbar ist eigentlich alles, die Gedanken sind ja bekanntlich frei und haben nur eine einzige Begrenzung: den mehr oder weniger engen Horizont des jeweils Denkenden.