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    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Vom Straßenkind zum Fußballstar

    "Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, als mich meine Mutter in der CIMU (Ciudad de los muchachos, deutsch: Bubenstadt) abgeliefert hat", sagt der Stürmerstar der Nationalmannschaft von Ecuador, Carlos Tenorio.. Ich war natürlich sehr ängstlich, alles war sehr fremd. Ein paar ältere Jungs brachten mich auf mein Zim"mer. Später spielte ich mit den Großen Fußball. Ich war gut, sie nannten mich Maradona, weil ich gut gespielt habe, und alles war okay.“ Nicht zuletzt dank der Bubenstadt spielt er heute in der Nationalmannschaft – und hat bei der WM das erste Tor für Ecuador geschossen.
    "Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, als mich meine Mutter in der CIMU (Ciudad de los muchachos, deutsch: Bubenstadt) abgeliefert hat. Ich war natürlich sehr ängstlich, alles war sehr fremd. Ein paar ältere Jungs brachten mich auf mein Zimmer. Später spielte ich mit den Großen Fußball. Ich war gut, sie nannten mich Maradona, weil ich gut gespielt habe, und alles war okay.“
    Wenn Carlos an seine Kindheit zurückdenkt, dann spricht er plötzlich langsamer. Die Gesichtszüge des großen dunklen Mannes mit dem kurzen Kraushaar werden weicher. Das teure Rassierwasser, die High-Tech-Turnschuhe, der glänzende Trainingsanzug mit den Sponsoren-Schriftzügen: Alles scheint plötzlich nur Fassade zu sein, hinter der ein sehr sensibler Mann steckt, der schon viel erlebt hat. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, bereitete sich die ecuadorianische Nationalmannschaft in einer Militärschule vor den Toren Quitos auf die WM vor, bevor sie nach Bad Kissingen ins Trainingslager reiste. Seitdem sich Ecuador für die WM qualifiziert hat, sind alle Spieler fast schon Nationalhelden, und schwer erreichbar.


    Sehr dankbar

    Carlos Tenorio hält den Kontakt zur CIMU noch immer, denn ohne deren Hilfe wäre er heute nicht Stürmer der ecuadorianischen Nationalmannschaft – da ist er sich ganz sicher. „Die CIMU hat mich als Kind aufgenommen, für mich gesorgt, mir eine Ausbildung ermöglicht. Dafür bin ich sehr dankbar, und meine Mutter auch.“ Seine Familie lebt in Esmeraldas, einer Kleinstadt an der Küste Ecuadors. Die meisten Menschen hier sind Afro-Ecuadorianer, Nachfahren afrikanischer Sklaven, die im 16. Jahrhundert zur Plantagenarbeit nach Südamerika geholt wurden. Mit elf Jahren bat seine Mutter das Heim um Hilfe für ihn und seinen Bruder, denn sie selbst konnte nicht mehr für ihre vielen Kinder sorgen. Zur Großfamilie zählen 14 Mitglieder: Zwölf Kinder und die Eltern. Der Vater arbeitete als Wachmann, die Mutter wusch Wäsche für reichere Familien, die Familie musste mit etwa einem Dollar pro Tag auskommen. Deswegen mussten auch die Kinder mitanpacken. Carlos hat früher auf dem Markt von Esmeraldas Kisten geschleppt, für ein kleines Trinkgeld. Wie die meisten Kinder Ecuadors war auch er fast den ganzen Tag auf der Straße, niemand hatte Zeit, sich um ihn zu kümmern, nach ihm zu schauen. Und so rutschen die Kinder oft schnell in ein Lebensumfeld hinein, das ihnen ihre ganze Zukunft verbaut: Sie beginnen zu klauen, werden in den Drogenhandel verwickelt oder werden gewalttätig.

    „Einige meiner Kameraden von der Straße sind heute schon tot. Sie haben ihr Leben nicht geändert. Das tut mir sehr leid, denn es waren gute Freunde. Aber den Jungs von der CIMU möchte ich eines mit auf den Weg geben: Das Leben ist sehr schön, aber ihr müsst wissen, was ihr wollt. Und: Ihr müsst euch anstrengen!“ Für die Schüler der CIMU ist Carlos heute ein wichtiges Vorbild, schließlich sind ihre Familiensituationen sehr ähnlich.

    Vor 40 Jahren gegründet

    Die Ciudad de los muchachos – zu deutsch: Bubenstadt – wurde vor über 40 Jahren von dem italienischen Missionar Angel Barbisotti gegründet, dem ersten Bischof von Esmeraldas. Später unterstützte eine Gemeinschaft von Comboni-Missionaren das Projekt. Ziel ist es, jungen Menschen in Entwicklungsländern durch eine gute Ausbildung eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Wenn die Jungs mit 18 Jahren das Projekt verlassen, dann haben sie gleichzeitig Abitur und eine Berufsausbildung in der Tasche. In den Werkstätten werden sie zu Schreinern, Schweißern oder Elektrotechnikern ausgebildet. Als sich die Ordensgemeinschaft der Combonis vor Ort auflöste, wurde auch das zugehörige Internat geschlossen, doch die Ganztagsschule blieb, das Projekt ist an die Diözese Esmeraldas überschrieben. Langfristig soll die Einrichtung in einheimische Hände überführt werden. Einziger Ausländer an der CIMU ist der Deutsche Mike Zipf, Leiter der Einrichtung, angestellt bei der Erzdiözese München-Freising. „Wir sagen unseren Jungs immer wieder: Schaut euch den Carlos an, der hat es geschafft. Und wenn ihr wollt, dann könnt auch ihr es schaffen, eure Ziele zu erreichen – mit eurem Willen, unserer Hilfe und der Hilfe aus Deutschland.“ Etwa 50000 Euro braucht Mike Zipf jährlich, um Unterrichtsräume, Werkstätten und Speisesaal zu unterhalten. Je nach sozialer Lage zahlen die Kinder bis zu 18 Dollar Schulgeld pro Monat, wer nichts geben kann, dem wird mit Spendengeldern geholfen. Die CIMU ist auf die Unterstützung der Erzdiözese München-Freising angewiesen, denn nur zuverlässige Hilfe ermöglicht langfristige Entwicklung. Gerade plant die CIMU ihren Umzug auf ein anderes Gelände, das näher dran liegt an den Elendsvierteln der Stadt. Doch der Umzug geschieht nicht ganz freiwillig, sondern die direkte Nachbarschaft einer staatlichen Erdölraffinerie auf dem alten Gelände hat die CIMU zum Wegzug veranlasst.  

    Fußball gehört dazu

    Damals wie heute gehört Fußballtraining zum Schulalltag, denn Ballspielen liegt den Jungs an der Küste Ecuadors im Blut. Und beim Sport lernen sie mehr als nur körperliche Fitness, sondern auch Teamgeist, Disziplin, Ausdauer. Carlos hat auf den Feldern der CIMU täglich trainiert: Platz gab es genug, und einen Ball gab es auch immer. Mit 18 verließ er das Projekt, als fertiger Schweißer und mit Schulausbildung. Innerhalb von fünf Jahren stieg er dann vom Regionalspieler zum internationalen Profi auf: Heute ist er Torschützenkönig beim Club Al Saad in Quatar, und verdient 850000 Dollar im Jahr. „Manchmal denke ich, mein Erfolg kam viel zu schnell, ich habe das alles noch gar nicht verarbeiten können. Doch ich versuche, bescheiden zu bleiben, und freue mich, dass ich jetzt selbst helfen kann, und zwar denjenigen, die meine Hilfe am meisten brauchen.“, freut sich der 27-Jährige.

    Wenn Ecuador am 20. Juni gegen Deutschland in Berlin antritt, dann wird für Carlos Tenorio ein Traum wahr, denn egal wie es ausgeht: Zu Deutschland hat er seit seiner Kindheit mit deutschen Entwicklungshelfern eine besondere Beziehung. Und nach der WM möchte Carlos Tenorio wieder einmal die Buben in der CIMU in Esmeraldas besuchen – und mit ihnen Fußball spielen. Dann erfüllt sich auch für die Jungs ein Traum – denn bei der WM können sie ihren Star Carlos Tenorio nur aus der Ferne anfeuern.

     

    TV-Tipp
    Am 20. Juni spielt die deutsche Nationalmannschaft in Berlin gegen das Team aus Ecuador. An diesem Tag wird im ARD-Mittagsmagazin (13 Uhr) ein Kurzporträt „Mit Fußballer Carlos Tenorio in Ecuador unterwegs“ gesendet, das die Autorin dieses Beitrags gedreht hat.