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Vom Küchentisch in den Gottesdienst

MARGETSHÖCHHEIM. Mit gesenktem Kopf sitzt Albrecht Strätz (66) am Küchentisch, vor sich einen Holzrahmen. Darin eingespannt eine lila Stoffbahn. Den Blick hat er durch die gold­umrandete Brille auf seine kräftigen Hände gerichtet, die mit viel Sorgfalt eine für Männer ungewöhnliche Arbeit ausführen. Er stickt. Goldene Fäden glitzern unter dem Licht der Lampe. Ein ärgerliches Brummeln entfährt ihm: „Ein Fehler!“ Das darf nicht sein, findet er. Albrecht Strätz arbeitet gerade an einer Stola für seine Pfarrei St. Johannes der Täufer. Wenn sie fertig ist, soll das passende Messgewand folgen.
Seit gut vier Jahren ist das Verzieren von Messgewändern das Hobby des ehemaligen Elektrikers aus Margetshöchheim. Sein „Erstlingswerk“ fertigte er, als Pfarrer Walter Holzheimer im September 2005 die Pfarrei verließ. „Unser Mesner hat gesagt, wenn der Pfarrer Holzheimer weg ist, haben wir fast keine Messgewänder mehr, weil er sie alle mitnimmt“, erinnert sich Strätz. Also schaffte Strätz Abhilfe – obgleich sich im Nachhinein herausstellte, dass Holzheimer doch nicht alle seine Gewänder in sein Altendomizil nach Aschaffenburg mitgenommen hatte. Das erste Messgewand, das der Hobby-Sticker fertigte, war grün und mit Ähren und Weinreben verziert. Von da an war Strätz auf den Geschmack gekommen. Das Sticken hat er von seiner Mutter übernommen. Vor allem Tischdecken und Stickbilder waren ihr Metier. Dabei hat er sich den Umgang mit Nadel und Faden abgeschaut. Doch so manche Stickerei blieb unvollendet liegen. Das hat ihm, wie er betont, keine Ruhe ge­lassen. Deshalb kramte er nach dem Tod seiner Mutter ihre „Unvollendeten“ hervor und machte es zu seiner Aufgabe, alles zu Ende zu bringen.  Und woher er das Wissen um die liturgischen Vorschriften hat? „Mein Großvater war 50 Jahre lang Mesner, da lernt man Etliches“, erzählt Strätz. Oft hat er den Großvater vertreten und die Messgewänder für den Pfarrer bereitgelegt. So achtet er beispielsweise darauf, dass bei einer Stola am Scheitelpunkt und an den unteren Enden ein Kreuz angestickt werden muss. Ansonsten folgt er in der Gestaltung seinen Ideen. Weitere Anregungen bezieht er aus dem Fernsehen. „Ich schau mir oft die Hei­lige Messe an, wenn ich dort ein schönes Gewand sehe, kupfere ich ein bisschen ab“, gibt er offen zu und lacht verschmitzt. Während des Gesprächs schaut Strätz kaum von seiner Arbeit auf. Konzentriert ist er mit Nadel und Garn am Werke. Stich für Stich kommt das Christuszeichen, das die Stola schon bald zieren wird, seiner Vollendung näher. Mit dem Daumen fährt er immer wieder prüfend über die fertigen Stickereien. Das gol­dene PX soll noch von einem silbernen Kreis umgeben werden, klärt Strätz auf. Den ersten Ansatz davon sieht man schon. Dann faltet er die Stola ordentlich zusammen. Der Schneidertisch verwandelt sich wieder in einen Ess­tisch. 

Für Gottes Lohn

Vier bis fünf Stunden pro Tag arbeitet er an den Stickereien. „Mehr erlauben die Augen nicht.“ Und auch das lange Sitzen strengt ihn an. Für die kleinfieselige Arbeit verlangt Strätz jedoch kein Geld. Selbst die Materialkosten zahlt er aus eigener Tasche, etwa für die silbernen und goldenen Lurexfäden. Die Stoffe bekommt er manchmal geschenkt, oder kauft sie bei seinen Streifzügen durch Würzburgs Stoffläden. In einem Schubfach seines Kleiderschrankes bewahrt er dann seine Schätze auf, bis sie irgendwann mal zum Einsatz kommen. Sowohl Leinen als auch Seide hat er schon verwendet.  

Strätz kramt im Fach einer Kommode und holt einige DIN-A-4-Blätter hervor. Stolz zeigt er Fotos seines aufwändigsten Werkes: Auf glänzendem Seidenstoff prangt eine Muttergottes im Blumenkranz, das Jesuskind auf dem Arm. Vor allem der Gesichtsausdruck der Maria hat ihn viel Arbeit und Geduld gekostet. Ein halbes Jahr hat er dafür benötigt, während er für ein weniger aufwändiges Messgewand et­wa halb solange braucht. Verwendung findet das Gewand nun im Benediktinerkloster Marienberg bei Burgeis in Südtirol.

Hilfe beim Nähen

Die Arbeit beginnt stets mit dem Entwurf. Soweit es nötig ist, macht Strätz sich Skizzen und vergrößert sie. Dann erst begibt er sich ans Sticken. Das Nähen und das vorherige Zuschneiden der Stoffe übernimmt eine Bekannte, eine gelernte Schneiderin. „Die kann das besser als ich“, gibt er unumwunden zu. Insgesamt fünf Messgewänder und sechs einzelne Stolen sind so schon in Strätz’ Küche entstanden. Jedes Teil hat seine eigene Geschichte und so manches eine weite Reise hinter sich. Eines landete beispielsweise im italienischen Wallfahrtsort Manoppello in den Abruz­zen. Dort soll sich ein Schleier mit dem Antlitz Christi befinden, der auch als Schweißtuch der Veronika gedeutet wird. Vor fünf Jahren hatte Strätz in der Wallfahrtskirche um etwas gebetet. Als sich seine Bitte erfüllte, setzte er sich als „Dank an den Herrgott“ ein weiteres Mal an seinen Stickrahmen. Bei seiner nächsten Fahrt nach Manoppello drei Jahre später hatte er zur Freude der Klosterbrüder eine prachtvoll verzierte Stola im Gepäck. Auch nach fünf Messgewändern hat der Rentner noch immer Spaß an seinem speziellen Hobby. „Sonst tät’ ich’s nicht machen.“ So wird der Küchentisch von Albrecht Strätz auch in den nächsten Jahren Entstehungsort von kunstvoll bestickten Messgewändern „made in Margetshöchheim“ sein.