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Interview mit Bundespräsident Johannes Rau
Verständlich und unverwechselbar
Vom 28. Mai bis zum 1. Juni 2003 findet in Berlin der erste ökumenische Kirchentag statt. Dieses kirchliche Großereignis sowie die Rolle von Kirche und Religion in der Gesellschaft sind Themen des folgenden Interviews mit Bundespräsident Johannes Rau.
„Ihr sollt ein Segen sein“ – so lautet das Motto des Ökumenischen Kirchentags in Berlin. Welche Gedanken kommen Ihnen bei diesem Spruch?
Ich denke, dass dieses Kirchentags-Motto etwas ausspricht, was wichtig ist: Man kann nur in der Gemeinschaft ein Segen sein und man segnet nicht selber, sondern ist Bote dieses Segens. Die Kirche ist eben nicht für sich selber da, sondern für die Welt. Das kann der Kirchentag deutlich machen.
Suchen die Menschen diesen Segen in den traditionellen Kirchen?
Früher waren die Kirchen alleine die unbestrittenen Gesprächspartner für alles Religiöse. Inzwischen gibt es einen Markt der religiösen Möglichkeiten. Das heißt Wettbewerb, mit teilweise ganz merkwürdigen Erscheinungsformen.
Können die Kirchen in diesem Markt mithalten?
Ja, natürlich. Wichtig ist, dass sie authentisch bleiben. Eine verständliche und unverwechselbare Botschaft, darauf kommt es an, und nicht auf neue Marketingkonzepte.
Also keine Techno-Gottesdienste?
In meiner Jugend war das der Pastor mit Gitarre. Aber das sind nur stilistische Fragen. Wichtig ist, dass die Kirchen etwas zu sagen haben, das unverwechselbar ist. Dann entsteht auch neue Spiritualität. Davon bin ich überzeugt.
Christen sind in Berlin, dem Schauplatz des Kirchentags, längst Minderheit. Erleben Sie das auch persönlich?
Selbstverständlich. Zum Beispiel auf dem Zeugnis meiner Tochter, die den Religionsunterricht besucht. Das steht da nicht im Zeugnis drin, sondern auf einer Extrabescheinigung. Ich bin in dieser Frage übrigens näher bei den Bischöfen als beim Berliner Senat. Religion sollte schon ordentliches Unterrichtsfach in der Schule sein.
Gehört Gott denn auch in eine Verfassung, so wie die Kirchen es jetzt beim Konvent der Europäischen Union fordern?
Ein Gottesbezug, der den christlichen, jüdischen oder islamischen Gottesbegriff unterstellt, wäre nicht akzeptabel. Es gibt nun mal Menschen, die einen solchen Gottesbezug nicht haben, und die wollen ihn auch nicht vom Staat übergestülpt bekommen. Aber ich glaube, dass es allen zumutbar ist, wahrzunehmen, dass wir unser Leben nicht uns selber verdanken. Das kann man in einer Verfassung mit dem Wort Gott ausdrücken. Ich halte das für richtig.
Im Angesicht des Krieges, aber auch nach Geschehnissen wie dem Massaker in Erfurt, gehen viele Menschen in die Kirchen. Ist das die Frage nach Gott, die hier hochkommt?
Selbstverständlich steckt dahinter die Frage nach Gott. Zum Beispiel, wenn Kinder sagen, was dort im Irak passiert, ist nicht das, was ihr mir von Gott erzählt habt. Da helfen dann keine gängigen Antworten mehr. Trotzdem müssen die Kirchen aufpassen, dass sie nicht in die Politik geraten. Die Kirchen müssen nicht Politik machen, sondern Politik möglich machen. Das ist ein wichtiger Unterschied!
Neben dem Krieg sorgen sich viele Menschen derzeit um ihre Arbeitsstelle. Gibt es eine Perspektive für mehr Arbeit?
Die langfristige Perspektive ist die Umverteilung von Arbeit. Aber der Bundespräsident hat hier keine Patentrezepte abzugeben. Dennoch bleibt es eine vorrangige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jungen Menschen Perspektiven zu geben und älteren Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie noch gebraucht werden.
Ist es die Aufgabe der Kirchen, beim Auflösen des Reformstaus zu helfen? Oder haben sie zuerst Anwalt der Benachteiligten zu sein?
Die Kirchen müssen natürlich beides tun. Wettbewerb bleibt ein Prinzip der Wirtschaft. Die Kirchen sollten aber darauf achten, dass die Gesetze des Wettbewerbs nicht in alle anderen Lebensbereiche übertragen werden. Diejenigen Menschen, die da nicht mithalten können, dürfen nicht unter die Räder kommen.
Um das Bild vom Menschen geht es auch in Fragen der Biotechnologie. Kann der Kirchentag im Sinne eines christlichen Menschenbildes Signale setzen?
Ich hoffe das. Auch wenn Christen zum Beispiel in der Frage des Stammzellen-Imports durchaus zu unterschiedlichen Antworten kommen. Der Kirchentag hat eine Fülle von aktuellen Themen: die Biotechnologie, der Wunsch nach Frieden, das Zusammenleben mit Einwanderern und natürlich die Frage nach dem Zusammenleben der christlichen Konfessionen. An Stoff mangelt es dem Kirchentag nun wirklich nicht. Hoffentlich mangelt es auch nicht an präzisen Aussagen.
Nun haben viele Christen gerade beim Kirchentag auf das gemeinsame Abendmahl gehofft. Belastet diese enttäuschte Hoffnung den Kirchentag?
Allein die Tatsache, dass dieser Kirchentag stattfindet, befördert doch ökumenische Hoffnungen. Das ist ein großer Schritt nach vorn. Sicherlich haben viele Christen auf das gemeinsame Abendmahl gehofft. Aber ich fürchte, dieser Schritt würde der ökumenischen Bewegung eine Last auflegen, die sie noch nicht tragen kann. Zumindest ist dies auf katholischer Seite so. Ich denke, das sollte auch nicht das beherrschende Thema auf dem Kirchentag sein.
Worauf freuen Sie sich persönlich beim Ökumenischen Kirchentag?
Ich freue mich am meisten darauf, über den Kirchentag zu schlendern, Menschen zu treffen, alte Bekannte wieder zu sehen und neue Bekanntschaften zu machen. Die Begegnung mit Christen verschiedener Konfessionen, die Gebete, die Feiern und die Lieder, darauf freue ich mich. Wenn der römische Kardinal Kasper hier in Berlin Lieder von Martin Luther mitsingt, dann ist das doch schön.
Womit würden Sie denn bei Jugendlichen für den Kirchentag werben?
Da wird all das besprochen, was unser Leben ausmacht – alle Themen in dem riesigen Spannungsbogen von Angst bis Hoffnung. Es lohnt sich, dabei zu sein und zuzuhören. Ich persönlich habe auf Kirchentagen das Feiern gelernt. Kirche ist doch mehr als das Wort. Der christliche Glaube ist auch sinnlich zu erfahren. Besonders auf Kirchentagen.
Die Christen haben gerade das Osterfest gefeiert. Was bedeutet Ihnen Ostern?
Mir hat gerade erst jemand geschrieben: Lass dir über den Karfreitag dieser gequälten Erde nicht die Freude an Ostern nehmen. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Wir sollen über den Karfreitag hinaussehen. Ostern sagt uns, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
„Ihr sollt ein Segen sein“ – so lautet das Motto des Ökumenischen Kirchentags in Berlin. Welche Gedanken kommen Ihnen bei diesem Spruch?
Ich denke, dass dieses Kirchentags-Motto etwas ausspricht, was wichtig ist: Man kann nur in der Gemeinschaft ein Segen sein und man segnet nicht selber, sondern ist Bote dieses Segens. Die Kirche ist eben nicht für sich selber da, sondern für die Welt. Das kann der Kirchentag deutlich machen.
Suchen die Menschen diesen Segen in den traditionellen Kirchen?
Früher waren die Kirchen alleine die unbestrittenen Gesprächspartner für alles Religiöse. Inzwischen gibt es einen Markt der religiösen Möglichkeiten. Das heißt Wettbewerb, mit teilweise ganz merkwürdigen Erscheinungsformen.
Können die Kirchen in diesem Markt mithalten?
Ja, natürlich. Wichtig ist, dass sie authentisch bleiben. Eine verständliche und unverwechselbare Botschaft, darauf kommt es an, und nicht auf neue Marketingkonzepte.
Also keine Techno-Gottesdienste?
In meiner Jugend war das der Pastor mit Gitarre. Aber das sind nur stilistische Fragen. Wichtig ist, dass die Kirchen etwas zu sagen haben, das unverwechselbar ist. Dann entsteht auch neue Spiritualität. Davon bin ich überzeugt.
Christen sind in Berlin, dem Schauplatz des Kirchentags, längst Minderheit. Erleben Sie das auch persönlich?
Selbstverständlich. Zum Beispiel auf dem Zeugnis meiner Tochter, die den Religionsunterricht besucht. Das steht da nicht im Zeugnis drin, sondern auf einer Extrabescheinigung. Ich bin in dieser Frage übrigens näher bei den Bischöfen als beim Berliner Senat. Religion sollte schon ordentliches Unterrichtsfach in der Schule sein.
Gehört Gott denn auch in eine Verfassung, so wie die Kirchen es jetzt beim Konvent der Europäischen Union fordern?
Ein Gottesbezug, der den christlichen, jüdischen oder islamischen Gottesbegriff unterstellt, wäre nicht akzeptabel. Es gibt nun mal Menschen, die einen solchen Gottesbezug nicht haben, und die wollen ihn auch nicht vom Staat übergestülpt bekommen. Aber ich glaube, dass es allen zumutbar ist, wahrzunehmen, dass wir unser Leben nicht uns selber verdanken. Das kann man in einer Verfassung mit dem Wort Gott ausdrücken. Ich halte das für richtig.
Im Angesicht des Krieges, aber auch nach Geschehnissen wie dem Massaker in Erfurt, gehen viele Menschen in die Kirchen. Ist das die Frage nach Gott, die hier hochkommt?
Selbstverständlich steckt dahinter die Frage nach Gott. Zum Beispiel, wenn Kinder sagen, was dort im Irak passiert, ist nicht das, was ihr mir von Gott erzählt habt. Da helfen dann keine gängigen Antworten mehr. Trotzdem müssen die Kirchen aufpassen, dass sie nicht in die Politik geraten. Die Kirchen müssen nicht Politik machen, sondern Politik möglich machen. Das ist ein wichtiger Unterschied!
Neben dem Krieg sorgen sich viele Menschen derzeit um ihre Arbeitsstelle. Gibt es eine Perspektive für mehr Arbeit?
Die langfristige Perspektive ist die Umverteilung von Arbeit. Aber der Bundespräsident hat hier keine Patentrezepte abzugeben. Dennoch bleibt es eine vorrangige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jungen Menschen Perspektiven zu geben und älteren Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie noch gebraucht werden.
Ist es die Aufgabe der Kirchen, beim Auflösen des Reformstaus zu helfen? Oder haben sie zuerst Anwalt der Benachteiligten zu sein?
Die Kirchen müssen natürlich beides tun. Wettbewerb bleibt ein Prinzip der Wirtschaft. Die Kirchen sollten aber darauf achten, dass die Gesetze des Wettbewerbs nicht in alle anderen Lebensbereiche übertragen werden. Diejenigen Menschen, die da nicht mithalten können, dürfen nicht unter die Räder kommen.
Um das Bild vom Menschen geht es auch in Fragen der Biotechnologie. Kann der Kirchentag im Sinne eines christlichen Menschenbildes Signale setzen?
Ich hoffe das. Auch wenn Christen zum Beispiel in der Frage des Stammzellen-Imports durchaus zu unterschiedlichen Antworten kommen. Der Kirchentag hat eine Fülle von aktuellen Themen: die Biotechnologie, der Wunsch nach Frieden, das Zusammenleben mit Einwanderern und natürlich die Frage nach dem Zusammenleben der christlichen Konfessionen. An Stoff mangelt es dem Kirchentag nun wirklich nicht. Hoffentlich mangelt es auch nicht an präzisen Aussagen.
Nun haben viele Christen gerade beim Kirchentag auf das gemeinsame Abendmahl gehofft. Belastet diese enttäuschte Hoffnung den Kirchentag?
Allein die Tatsache, dass dieser Kirchentag stattfindet, befördert doch ökumenische Hoffnungen. Das ist ein großer Schritt nach vorn. Sicherlich haben viele Christen auf das gemeinsame Abendmahl gehofft. Aber ich fürchte, dieser Schritt würde der ökumenischen Bewegung eine Last auflegen, die sie noch nicht tragen kann. Zumindest ist dies auf katholischer Seite so. Ich denke, das sollte auch nicht das beherrschende Thema auf dem Kirchentag sein.
Worauf freuen Sie sich persönlich beim Ökumenischen Kirchentag?
Ich freue mich am meisten darauf, über den Kirchentag zu schlendern, Menschen zu treffen, alte Bekannte wieder zu sehen und neue Bekanntschaften zu machen. Die Begegnung mit Christen verschiedener Konfessionen, die Gebete, die Feiern und die Lieder, darauf freue ich mich. Wenn der römische Kardinal Kasper hier in Berlin Lieder von Martin Luther mitsingt, dann ist das doch schön.
Womit würden Sie denn bei Jugendlichen für den Kirchentag werben?
Da wird all das besprochen, was unser Leben ausmacht – alle Themen in dem riesigen Spannungsbogen von Angst bis Hoffnung. Es lohnt sich, dabei zu sein und zuzuhören. Ich persönlich habe auf Kirchentagen das Feiern gelernt. Kirche ist doch mehr als das Wort. Der christliche Glaube ist auch sinnlich zu erfahren. Besonders auf Kirchentagen.
Die Christen haben gerade das Osterfest gefeiert. Was bedeutet Ihnen Ostern?
Mir hat gerade erst jemand geschrieben: Lass dir über den Karfreitag dieser gequälten Erde nicht die Freude an Ostern nehmen. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Wir sollen über den Karfreitag hinaussehen. Ostern sagt uns, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.