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    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Im Jahr 1349 vernichtete ein Pogrom die Würzburger Judengemeinde

    Verschwörungstheorien im Zeitalter der Pest

    Epidemien haben die Geschichte Europas und auch des Bistums Würzburg geprägt. Zu den Seuchen, die das gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Klima in unserer Region maßgeblich beeinflusst und verändert haben, gehört die Pest. Den „Schwarzen Tod“, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts einen Großteil der Bevölkerung Europas dahinrafft, nehmen die Zeitgenossen in Würzburg und den Städten und Dörfern um den Bischofssitz als elementare Bedrohung wahr, der man weitgehend hilflos gegenübersteht.

    Wie heute, in „Corona-Zeiten“, sucht man deswegen nach Schuldigen – und findet sie in der Nachbarschaft: die Juden, „eine Minderheit und Randgruppe der städtischen Gesellschaft“, schreibt der Historiker und Mittelalterexperte Klaus Arnold im 1992 erschienenen zweiten Band der „Unterfränkischen Geschichte“. Die für die Juden tödlichen Verschwörungstheorien haben eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt mit dem bereits in der Antike gängigen Vorwurf, „die Juden“ seien Christusmörder. Hinzu kommt, dass die Kreditgeschäfte der Juden Hass erzeugen.

    Pogrome

    Der drohenden Vernichtung durch Pogrome im Kontext des Ersten Kreuzzugs wollen wohl die Mitglieder der ersten jüdischen Gemeinde entgehen, die möglicherweise 1096 aus dem Rheinland nach Würzburg kommen. In der Folgezeit bestimmen blutige Übergriffe und Verfolgung auch die Geschichte der Juden in Würzburg – im 12. und 13. Jahrhundert ein weit ausstrahlendes Zentrum jüdischen Lebens und überregional beachteter rabbinischer Gelehrsamkeit.

    1147, im Umfeld des Zweiten Kreuzzugs, löst ein angeblicher Ritualmord ein Pogrom aus, das ein unbekannter Zeitgenosse so beschreibt: „Bürger wie Kreuzfahrer wurden von spontaner Wut ergriffen, rannten gegen die Häuser der Juden an, drangen in diese ein und töteten wahllos Alte und Junge, Frauen mit ihren Kindern, ohne jedes Zögern und ohne Mitleid. Wenige nur wurden durch die Flucht gerettet, noch weniger ließen sich in der Hoffnung auf Rettung taufen, die wenigsten schließlich durften späterhin nach Rückkehr des Friedens in ihrem Glauben verbleiben.“

    „Hostienfrevel”

    Ein weiterer anti-jüdischer, religiös motivierter Vorwurf kommt ebenfalls im 13. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Lehre von der Transsubstantiation, der Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi, auf, „dem zufolge Juden Hostien verspottet und gemartert hätten – als hätten sie die entsprechenden Glaubenswahrheiten selbst verinnerlicht!“, berichtet Arnold über den angeblichen „Hostienfrevel“.

    Auch in Franken ist so Ende des 13. Jahrhunderts der Boden für ein weiteres, großes Pogrom bereitet, das im Sommer 1298 von Röttingen aus die gesamte Region erfasst und rund 5000 Menschenleben kostet: „In Rothenburg starb die gesamte jüdische Gemeinde mit 470 Menschen zwischen dem 25. Juni und dem 22. Juli, 71 wurden in Neustadt an der Aisch ermordet, 57 in Bad Windsheim, 25 in Iphofen, 17 in Bad Mergentheim, 131 in Tauberbischofsheim, 34 in Ochsenfurt, 15 in Kitzingen, 628 in Nürnberg, über 900, die sich zum Teil in die Bischofsstadt geflüchtet hatten, am 23. Juli in Würzburg“, bilanziert der Historiker das nach dem Anführer der Judenmörder benannte „Rintfleisch-Pogrom“.

    1349: Zweites Pogrom

    Rund 40 Jahre später, im Sommer 1336, wird Ritter Arnold der Jüngere von Uissigheim, wegen seines ledernen Armschutzes „König Armleder“ genannt, mit seinen vornehmlich der Unterschicht angehörenden „Judenschlägern“ in kleineren Städten an Main und Tauber ebenfalls eine Blutspur hinterlassen – und wieder ist Röttingen der Ausgangspunkt der Pogrome. Nach einem Massaker an der Judengemeinde in Kitzingen und der Niederlage des Ritters im Kampf gegen den Würzburger Bischof Otto von Wolffskeel und Graf Gottfried von Hohenlohe wird der später als „Seliger“ verehrte Arnold in Kitzingen hingerichtet.

    13 Jahre später, als die Pest bereits seit zwei Jahren in Europa wütet, können die Würzburger Juden nicht auf den bischöflichen Stadtherrn und die christlichen Würzburger zählen. Im Frühjahr 1349 wird die Gemeinde ein zweites Mal vernichtet. Der Hintergrund: Seit 1321 kursiert in Europa die Behauptung, die Juden würden die Brunnen vergiften. „Allein aus Furcht vor der näherkommenden Pest und auf das bloße Gerücht hin, die Verursacher des großen Sterbens seien Juden, die die Brunnen vergiftet hätten, brach in Würzburg ein Pogrom gegen die Juden los“, so Arnold.

    Erfrorene Reben

    „Das Verhängnis der Würzburger Judengemeinde“ nimmt laut dem unlängst verstorbenen Würzburger Judaisten und Theologen Karlheinz Müller seinen Lauf, „als zwischen dem 19. und dem 21. April 1349 durch einen plötzlichen Frosteinbruch die ganze Weinernte und alle Weinreben in Würzburg und seiner Umgebung erfroren – eine ökonomische Katastrophe für eine Bevölkerung, die weitgehend vom Weinbau lebte.“

    Die Folge: „In der Nacht vom 20. zum 21. April 1349 ermordeten die Bürger Würzburgs die in ihrer Mitte wohnenden Juden.“ Der Judaist beschließt das Unterkapitel mit der lakonischen Bemerkung: „Die Pest aber kam erstmals 1356 und dann wieder 1363 nach Würzburg“ – in eine Stadt ohne Juden. Die „Nullpunktsituation nach dem Pogrom des Jahres 1349“ wird bis 1376 dauern, als erstmals wieder ein Jude in der Bischofsstadt nachweisbar ist. Ein Jahr später, 1377, legt Bischof Gerhard von Schwarzburg den Grundstein für die Marienkapelle, die wie die Nürnberge Frauenkirche, auf dem Platz der früheren Synagoge steht; beide sind Symbol des Sieges der Kirche über die Synagoge. Ein Relikt erinnert unter der Marienkapelle noch an den Vorgängerbau: eine Mikwe, ein durch eine Treppe erschlossenes Ritualbad. Müller bilanziert: „Das Verhältnis der Christen zu den Juden und der Juden zu den Christen in den Städten hatte sich grundlegend und tiefgreifend verschlechtert.“

    Die Nachfolger Gerhards von Schwarzburg im Bischofsamt wird seit der Mitte des 16. Jahrhundert die von dem Kanzleichef Lorenz Fries verfasste „Bischofschronik“ an die Pogrome der Jahre 1147, 1336 und 1349 und den „Sieg“ der Kirche erinnern. Das mit zahlreichen, nicht vollständig kolorierten Illustrationen ausgestattete, im Auftrag Fürstbischof Julius Echters von Mespelbrunn nach 1572 angefertigte Exemplar mit der Signatur M. ch. f. 760 verwahrt die Universitätsbibliothek Würzburg.     

    Stefan W. Römmelt