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Tradition, Geschichte und ganz viel Geschmack
Das Läuten der Türklingel hallt noch in den Ohren nach, da steigt dem Besucher schon der verführerisch-aufdringliche Duft von Lebkuchen in die Nase. Den Verkaufs- und Gastraum des Café Kehl in Dettelbach durchströmt der Duft von Zimt, Nelken und Muskat. Es ist aber kein Lebkuchen-Duft, wie man im ersten Moment meinen könnte; In der Backstube des Cafés in der Eichgasse ist Muskatzinen-Backtag. Bleche über Bleche stapeln sich mannshoch auf einem Rollwagen in der Backstube, auf der Arbeitsfläche vor dem Fenster liegen große braune Teigklumpen, die darauf warten, verarbeitet zu werden. Daneben surrt die große Teigmaschine und produziert fleißig Nachschub. „Jetzt beginnt die zweite Muskatzinen-Saison im Jahr. Die Wallfahrtszeit ist zwar rum, in der Weihnachtszeit ist unser Gebäck aber auch sehr begehrt. Wir produzieren zwei bis drei Mal die Woche, insgesamt etwa 200 Kilogramm“, erklärt Thomas Dauenhauer, Konditormeister und Bewahrer des echten Muskatzinen-Rezeptes. Um die kleinen schleifenförmigen Gebäckstückchen ranken sich einige Geschichten. Nachweisbar ist, dass das Wallfahrtsgebäck der Zuckerbäckermeister Urban Degen im Jahr 1810 kreiert hat. Schon zu dieser Zeit war es eine jahrhunderte alte Tradition in dem Wallfahrtsort, dass Lebküchner und Wachszieher einem regen Geschäft nachgingen. Denn viele Wallfahrer kamen seit dem Jahr 1500 zur Wallfahrtskirche „Maria im Sand“. Ein einträgliches Geschäft für die Zünfte der damaligen Zeit. Noch heute gibt es rund 113 fest terminierte Prozessionen im Jahr, rund 10 000 Wallfahrer pilgern hierher, meistens zu Fuß. „Man brauchte Kerzen und etwas zum Essen, für zwischendurch etwas Stärkendes. Die Zuckerbäcker brauchten Honig, die Wachszieher den Wachs, was passte da besser, als miteinander zu arbeiten?“, sagt Dauenhauer. Urban Degen war wohl einer der pfiffigsten unter ihnen, denn neben dem üblichen Backwerk wollte er ein Produkt entwickeln, das genau auf den typischen Fußwallfahrer abgestimmt war: Es musste etwas Nahrhaftes sein, aber nicht zu fettig, es sollte handlich sein, damit es in eine Tasche passt und es sollte nicht krümeln. Degen experimentierte mit für die damalige Zeit noch ungewöhnlichen Gewürzen – und heraus kamen die Muskatzinen. Man sagt, ihre Form – die einer gebundenen Krawatte – habe sie daher, weil Degen stets auf gute Kleidung geachtet und sehr gerne Fliege getragen habe. Er schnitzte kleine Model-Bretter, in die der Teig gepresst wurde, dann wurden die Muskatzinen einen Tag zum Trockenen ausgelegt und gebacken. Auch heute noch verfährt Thomas Dauenhauer nach diesem Prinzip. „Damit sie beim Backen die Form behalten, müssen sie 24 Stunden trocknen, sonst verlaufen sie. Außerdem bekommen die Muskatzinen nach dem Backen noch eine Art Füßchen und gehen ein wenig auf.“ Damit Dauenhauer und seine Mitarbeiter die rege Nachfrage stillen können, werden die Muskatzinen heute maschinell gefertigt, große Teigbatzen laufen durch eine Maschine und das Gebäck wird ausgestanzt. „Ansonsten ist bei uns alles handwerklich gefertigt. Die Maschinen erleichtern die Arbeit bei großen Mengen, aber sie nehmen uns nicht das Handwerkliche ab“, erklärt der Konditormeister. Früher wurde der Teig in langen Strängen gerollt, in Stücke geschnitten und auf die mit Mehl eingestäubten Holzmodeln gepresst. Diese schnitzten die Bäcker und Konditoren im Winter selbst. „Das war viel Arbeit, ist aber auch eine schöne Tradition“, schwärmt der 46-jährige Konditormeister, der die alten Modelbretter seiner Familie wie einen Schatz hütet. Aber nicht nur die Handwerksutensilien hat Thomas Dauenhauer geerbt. Auch die Backstube und das Café hat er von seinem Vater übernommen, schon sein Großvater Heinrich Kehl hat 1901 in den Betrieb eingeheiratet – eine Konditorei, deren Geschichte bis auf das Jahr 1686 zurückgeht. Die Familie hütet das Rezept der echten Muskatzinen wie ein Geheimnis – nur einer kennt es auch. Konditormeister Peter Achtmann, Inhaber des gleichnamigen Cafés im Ort. Mit ihm teilt sich Dauenhauer die Patentrechte an den Muskatzinen. „Urban Degen hatte keine Nachkommen, wollte aber das Geheimnis seiner Muskatzinen nicht verloren gehen lassen. Darum hat er es kurz vor seinem Tod an seine Konditorkollegen im Ort weitergegeben“, erklärt Thomas Dauenhauer. Viele wollten sich in den vergangenen Jahren der Marke bedienen. Thomas Dauenhauer hat dem schließlich mit dem 1998 erworbenen Patent einen Riegel vorgeschoben. „Plötzlich tauchten Muskatzinen in einigen umliegenden Orten auf. Das ist nicht richtig, sie kommen aus Dettelbach und sollen auch hier bleiben. Das gefiel einigen Bäckern und Konditoren natürlich nicht so gut. Aber damit können wir leben“, sagt Dauenhauer schmunzelnd. Sein Betrieb und der von Peter Achtmann seien schließlich die einzigen verbliebenen Backbetriebe in Dettelbach und er fühle sich der Tradition um das Erbe von Urban Degen verpflichtet. Und es zeigt sich, dass auch die nächste Generation der Familie Dauenhauer großes Interesse daran hat, den Betrieb zu erhalten. „Meine Tochter studiert Hotelmanagement und der Jüngste, Kilian, weiß mit elf Jahren schon genau, dass er Konditor werden will“, verrät Thomas Dauenhauer. Jeden zweiten Sonntag helfe das jüngste seiner drei Kinder im maßangefertigten Bäckerkittel in der Backstube mit. Die steht an Ort und Stelle, in der Eichgasse 5, laut einer Eintragung im Kirchenregister seit 1686 und ist die wohl älteste Konditorei Frankens. Tausende Kilos Muskatzinen dürften in den Jahrhunderten hier gebacken worden sein und nie wurden die Wallfahrer und Gäste des Ortes des würzigen Geschmackes der bissfesten Muskatzinen überdrüssig. Schön verpackt wallen sie noch heute auf den Fußwallfahrten in vielen Taschen mit. Die Muskatzinen sind aber nicht nur bei Wallfahrern beliebt, verrät der Konditormeister. „Stellen sie mal eine Schale Muskatzinen dazu, wenn eine Flasche Silvaner getrunken wird. Das passt hervorragend zusammen – beim Schöppeln sind die Gebäckschalen grundsätzlich früher leer, als die Gläser.“