Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt erfahren Sie im Sonntagblatt.
Tilman Riemenschneider im Tal der Tauber
Die Werke des letzten begnadeten Bildschnitzers und Bildhauers der Gotik sind heute über die Museen der halben Welt verstreut, von Chikago bis Budapest, von London und Berlin, Stuttgart, München und Berchtesgaden. Riemenschneiders wohl beeindruckendsten Schöpfungen sind jedoch seiner fränkischen Wahlheimat verblieben. Zu den leider eher spärlich erhaltenen Werken gehören seine großen Schnitzaltäre, die mit der Reformation oder dem Barock aus der Mode gerieten, verschollen oder, bestenfalls, zerstückelt worden sind. An der Tauber, der anmutigsten Tochter des Mains, haben sich neben ein paar kleineren Altären, dem Königheimer Ölberg, der Auber Kreuzigungsgruppe, der Madonna in Gamburg, dem Epitaph für Dorothea von Rieneck in Grünsfeld, neben den Kruzifixen in Grünsfeld und Insingen sowie Heiligenfiguren jedoch drei herausragende Schnitzaltäre in Creglingen, Detwang und Rothenburg erhalten.
Das Tal der Tauber darf deshalb zurecht auch eine Riemenschneider-Landschaft genannt werden. Hat da der Zufall regiert oder eine glückliche Fügung oder spielt die Geschichte schicksälig mit hinein? Weinbau und Weinhandel sorgten im frühen 16. Jahrhundert, dem „Saufsäkulum“ der Deutschen, für Wohlstand im „Tauberfränkischen“. Ein knappes Dutzend verschiedener Territorialherrschaften hatte sich hier Rebbesitz gesichert, einige sich hier sogar ihre Residenz gewählt. Nicht nur wirtschaftlich und politisch, auch mit Repräsentationsbauten und Kunstförderung machten sie einander Konkurrenz. Würzburg war zugleich geistliches Zentrum und kulturelles Vorbild.
Kein Wunder also, dass der gefragteste Künstler dieser Zeit und dieser Kunstlandschaft, eben Tilman Riemenschneider, an der Tauber seine Auftraggeber fand, so wie er in seiner Würzburger Werkstatt auch tauberfränkische Gesellen beschäftigte, wie etwa den Mergentheimer Hans Fries. Einer der Hauptauftraggeber war die Reichsstadt Rothenburg. Allein drei Riemenschneider-Altäre für die Reichsstadt ob der Tauber sind verschollen; hinzukommen die verstreuten Fragmente des ursprünglich wohl für Rothenburg bestimmten sogenannten Wiblinger Passionsaltars.
In der alten Reichsstadt Rothenburg
In der St.-Jakobs-Kirche in Rothenburg werden im Ludwig-von-Toulouse-Altar die Statue des namengebenden heiligen Bischofs, im erst 1864 aus verschiedenen Stücken zusammengefügten kleinen Marienkrönungsaltar die Büste eines Propheten – oder ist es der Evangelist Johannes? – vielfach als frühe Arbeiten Riemenschneiders angesehen. Die Bischofsgestalt im kleinen Ludwigs-Altar weist in der Tat deutliche Züge des Fürstbischofs Rudolf von Scherenberg vom Epitaph im Würzburger Dom auf.
Auf der Westempore aber ragt Riemenschneiders großer Heiligblutaltar. In der Reichsstadt ob der Tauber, ihrer Lage wegen öfter mit Jerusalem verglichen, wurde früh schon zu einer Heiligblutreliquie von Golgatha gewallfahrtet. Für deren Gehäuse erhielt Riemenschneider 1501 den zunächst etwas trocken anmutenden Auftrag, „das Abendessen Christi mit seinen zwölf Boten und anderem Zubehör“ darzustellen. Die Szene mit den vollplastischen Figuren im Mittelschrein folgt dem Johannes-Evangelium. Ein gewittriger Augenblick wird da blitzartig erhellt: die Antwort auf die Frage nach dem Verräter des Herrn.
Über dem Mittelschrein, von den meisten Besuchern kaum beachtet, halten zwei Engel das romanische Blutreliquiar, um dessentwillen das Retabel entstanden ist. Es macht den ganzen Altar mit seinen hauchdünn geschnitzten, lichtdurchschimmerten Butzenscheiben zu einer großen Monstranz. Den auf dem Seitenflügelrelief mit dem Einzug in Jerusalem entdeckten, in römischen Schriftzeichen geschriebenen hebräischen Anruf Gottes hat Erik Soder von Güldenstubbe als Beleg für die geistliche Ausbildung des jungen Riemenschneider gedeutet.
Als ein Frühwerk des Meisters wird der Franziskusaltar in der ehemaligen Franziskanerkirche von Rothenburg angesehen. An einer Quelle empfängt der Heilige inmitten einer Felsenlandschaft die Wundmale des Herrn. Auch die Figuren im Mittelschrein des Choraltars von St. Wolfgang zu Rothenburg stehen Riemenschneider nahe.
In Detwang
In der steinalten Dorfkirche von Detwang unterhalb Rothenburgs steht der ursprünglich für die Rothenburger St.-Michaels-Kapelle bestimmte Passionsaltar Riemenschneiders, der nach der Reformation hierher kam. Weil der Chor zu eng war, verstümmelte man den Baldachinschrein; so erscheinen heute die Seitenflügel unangemessen breit, sind die beiden Figurenblöcke zu nah an den Gekreuzigten herangerückt. Trotzdem erschüttert die in Lindenholz geschnitzte Trauerszene auf Golgatha. Jesus hat eben ausgelitten. Es ist vollbracht. Johannes fängt die Gottesmutter auf, die in ihrem Schmerz zusammenzusinken droht. Die Gruppe der Kriegsknechte zeigt zwar die Vollstrecker der Macht, aber keine der damals üblichen Henker-Physiognomien. Sie sind sich des Geschehens bewusst; die mit türkischem Turban herausgehobene bärtige Gestalt, die als der Hohepriester Kaiphas gedeutet wird, greift sich ans Herz.
In Creglingen
Seitab von Creglingen, im Tal des Herrgottsbaches, liegt die Herrgottskirche, ein kleiner gotischer Bau. Anno 1384 soll hier ein Bauer beim Pflügen auf eine unversehrte Hostie gestoßen sein. Als das Wallfahren begann, errichteten die Herren von Hohenlohe-Brauneck die 1396 vollendete, einsam gelegene Kirche. Von der zierlich gehauenen Freikanzel wurde die Hostienreliquie gezeigt. Die einträgliche Wallfahrt ermöglichte eine kostbare Ausstattung. Das gilt auch für den Hochaltar im Chor mit den bemalten Tafeln und der geschnitzten Kreuzigungsgruppe im Mittelschrein. Beide Meister sind unbekannt. Erasmus Grasser und Veit Stoß hat man schon als Bildschnitzer vermutet. Eine Szene aus einem der bunten spätmittelalterlichen Passionsspiele scheint hier, in der Bewegung erstarrt, in unsere Gegenwart zu ragen.
Um 1505 hat Tilman Riemenschneider mit dem Creglinger Marienaltar sein wohl bedeutendstes Werk geschaffen. Zwei Jahrzehnte nach der Aufstellung des Altars führten die Markgrafen von Ansbach in Creglingen die Reformation ein. Die Wallfahrt erlosch. 1530, also noch zu Lebzeiten Riemenschneiders, befahl Ansbach die Schließung der Kirche. Die Gemeinde protestierte und erreichte, dass die Herrgottskirche wenigstens als Kapelle für den dort frisch angelegten Friedhof genutzt werden durfte. Die Flügel des Marienaltars aber schlossen sich, zu sehen war nur ein unförmiges Brettergehäuse, an dem die Creglinger ihre Totenkränze aufhängten.
1832, ein Jahrzehnt nach der Entdeckung des Riemenschneider-Grabsteins zwischen dem Würzburger Dom und Neumünster, öffnete der damalige Stadtschultheiß und Adlerwirt Michael Dreher das Gehäuse. Vor seinen Augen loderte gotisches Gesprenge, entschwebte Maria der Schar der Apostel. Die rötliche Föhrenfassung des Schreins kontrastiert mit dem silbrigen Altersglanz der Lindenholzfiguren. Riemenschneiders Auftrag war die Darstellung der sieben Freuden Mariens. Der Aufbau des Altars zieht den Blick magnetisch nach oben. Erstmals in der Kunst wird hier die Aufnahme Mariens in den Himmel als lebensgroße Skulpturengruppe gewagt. Die Gottesmutter entschwebt lautlos, schwerelos, himmlisch leicht, von Engeln als gefiederter Wolke getragen. Die Jünger können es noch kaum fassen, einige haben es noch gar nicht bemerkt. Über der Krönung Mariens krönt die Figur des Schmerzensmannes den Altaraufbau, zeigt der geschundene Menschensohn seine Wunden. Das führt zurück zu dem legendären Hostienfund. Riemenschneiders Altar steht auf dem Steintisch, der die Fundstelle markiert. In der Nische der Predella raffen zwei Engel ein Tuch, vor dem die Reliquie in einer Monstranz zur Verehrung ausgesetzt war. Sie trauert längst leer.
Neben der Hostiennische wird der zwölfjährige Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrten dargestellt. Dem Gelehrten rechts in der Ecke hat Tilman Riemenschneider seine eigenen Züge gegeben: ein breitwangiges, bartloses, versonnen grübelndes Antlitz mit einem herben Zug um die Lippen. Am Abend des 15. August, volkstümlich Mariä Himmelfahrt, fällt das Licht der Sonne durch die Rosette der Westwand gebündelt auf das Antlitz Mariens.
Taubertal-Trilogie
Mit einer anspruchsvollen Taubertal-Trilogie hat der noch junge Gerchsheimer Kunst-Schätze-Verlag, der vor allem durch seine hervorragend konzipierten und gestalteten Kirchenführer bekannt geworden ist, nun auch den Einstieg in die große Welt der Bücher gewagt. Herzstück seiner Trilogie ist der aufsehenerregende Prachtband „Tilman Riemenschneider – Gesichter der Spätgotik – und sein Erbe im Taubertal“ mit Texten von Erich Soder von Güldenstubbe und Farbfotografien von Winfried Berberich (350 Seiten, 98 Euro). Das opulente Werk haben wir anlässlich der großen Riemenschneider-Doppelausstellung in Würzburg in diesem Jahr bereits im „Sonntagsblatt“ vorgestellt. An dieser Stelle nun die beiden ebenfalls recht ansprechenden Rahmenbände.
Die Tauber – Von der Mündung bis zur Quelle. Von Carlheinz Gräter. 144 Seiten mit 250 Farbfotografien von Winfried Berberich, 24,80 Euro. Kunst-Schätze-Verlag, Gerchsheim, 2004; ISBN 3-934223-16-8.
„Die Tauber ist, nicht nur dem Namen nach, weiblich figuriert; sie stellt die anmutigste, aber auch emanzipierteste Flußtochter des alten schilfbekränzten Moenus dar.“ Der aus Lauda stammende und in Würzburg lebende Autor dieses schwungvollen Flussporträts weiß, wovon er schreibt: Er ist nicht nur ein Kind, sondern auch ein ausgewiesener Kenner dieses unverwechselbar fränkischen Landstrichs mit seinen unaufdringlichen Naturschönheiten, seinem künstlerischen Reichtum, seinen anmutigen Städten und Dörfern. In schöner literarischer Manier, gleichwohl prägnant, schlüssig und fesselnd beschreibt der Volkskundler und Kunstkenner, dem Lauf der Tauber von der Mündung bei Wertheim bis zur Quelle an der Frankenhöhe folgend, die vielen spektakulären wie die versteckten Kostbarkeiten dieser alten Kulturlandschaft, die wiederum der Fotograf Winfried Berberich meisterlich-einfühlsam mit seiner Kunst so recht ins Bild zu bringen wusste. Neben all den bekannten Sehenswürdigkeiten sind es vor allem auch Berberichs ausdrucksvolle Landschaftsbilder, seine Stadt- und Dorfansichten sowie die schönen Naturaufnahmen, die den Betrachter zu eigener Erkundung anregen.
Ein Gang durchs Taubertal – Von Rothenburg bis Wertheim. Von Wilhelm Heinrich Riehl; erläutert von Carlheinz Gräter. 80 Seiten mit 35 meist ganzseitigen Abbildungen, 12,80 Euro. Kunst-Schätze-Verlag, Gerchsheim, 2003; ISBN 3-934223-13-3.
Auch heute noch interessant und amüsant zu lesen ist, was im 19. Jahrhundert der damals recht bekannte „Wanderprofessor“ W. H. Riehl bei seinem herbstlichen Gang durchs Taubertal im Jahr 1865 entdeckte und wie trefflich er Land und Leute zu beschreiben wusste.
Das Tal der Tauber darf deshalb zurecht auch eine Riemenschneider-Landschaft genannt werden. Hat da der Zufall regiert oder eine glückliche Fügung oder spielt die Geschichte schicksälig mit hinein? Weinbau und Weinhandel sorgten im frühen 16. Jahrhundert, dem „Saufsäkulum“ der Deutschen, für Wohlstand im „Tauberfränkischen“. Ein knappes Dutzend verschiedener Territorialherrschaften hatte sich hier Rebbesitz gesichert, einige sich hier sogar ihre Residenz gewählt. Nicht nur wirtschaftlich und politisch, auch mit Repräsentationsbauten und Kunstförderung machten sie einander Konkurrenz. Würzburg war zugleich geistliches Zentrum und kulturelles Vorbild.
Kein Wunder also, dass der gefragteste Künstler dieser Zeit und dieser Kunstlandschaft, eben Tilman Riemenschneider, an der Tauber seine Auftraggeber fand, so wie er in seiner Würzburger Werkstatt auch tauberfränkische Gesellen beschäftigte, wie etwa den Mergentheimer Hans Fries. Einer der Hauptauftraggeber war die Reichsstadt Rothenburg. Allein drei Riemenschneider-Altäre für die Reichsstadt ob der Tauber sind verschollen; hinzukommen die verstreuten Fragmente des ursprünglich wohl für Rothenburg bestimmten sogenannten Wiblinger Passionsaltars.
In der alten Reichsstadt Rothenburg
In der St.-Jakobs-Kirche in Rothenburg werden im Ludwig-von-Toulouse-Altar die Statue des namengebenden heiligen Bischofs, im erst 1864 aus verschiedenen Stücken zusammengefügten kleinen Marienkrönungsaltar die Büste eines Propheten – oder ist es der Evangelist Johannes? – vielfach als frühe Arbeiten Riemenschneiders angesehen. Die Bischofsgestalt im kleinen Ludwigs-Altar weist in der Tat deutliche Züge des Fürstbischofs Rudolf von Scherenberg vom Epitaph im Würzburger Dom auf.
Auf der Westempore aber ragt Riemenschneiders großer Heiligblutaltar. In der Reichsstadt ob der Tauber, ihrer Lage wegen öfter mit Jerusalem verglichen, wurde früh schon zu einer Heiligblutreliquie von Golgatha gewallfahrtet. Für deren Gehäuse erhielt Riemenschneider 1501 den zunächst etwas trocken anmutenden Auftrag, „das Abendessen Christi mit seinen zwölf Boten und anderem Zubehör“ darzustellen. Die Szene mit den vollplastischen Figuren im Mittelschrein folgt dem Johannes-Evangelium. Ein gewittriger Augenblick wird da blitzartig erhellt: die Antwort auf die Frage nach dem Verräter des Herrn.
Über dem Mittelschrein, von den meisten Besuchern kaum beachtet, halten zwei Engel das romanische Blutreliquiar, um dessentwillen das Retabel entstanden ist. Es macht den ganzen Altar mit seinen hauchdünn geschnitzten, lichtdurchschimmerten Butzenscheiben zu einer großen Monstranz. Den auf dem Seitenflügelrelief mit dem Einzug in Jerusalem entdeckten, in römischen Schriftzeichen geschriebenen hebräischen Anruf Gottes hat Erik Soder von Güldenstubbe als Beleg für die geistliche Ausbildung des jungen Riemenschneider gedeutet.
Als ein Frühwerk des Meisters wird der Franziskusaltar in der ehemaligen Franziskanerkirche von Rothenburg angesehen. An einer Quelle empfängt der Heilige inmitten einer Felsenlandschaft die Wundmale des Herrn. Auch die Figuren im Mittelschrein des Choraltars von St. Wolfgang zu Rothenburg stehen Riemenschneider nahe.
In Detwang
In der steinalten Dorfkirche von Detwang unterhalb Rothenburgs steht der ursprünglich für die Rothenburger St.-Michaels-Kapelle bestimmte Passionsaltar Riemenschneiders, der nach der Reformation hierher kam. Weil der Chor zu eng war, verstümmelte man den Baldachinschrein; so erscheinen heute die Seitenflügel unangemessen breit, sind die beiden Figurenblöcke zu nah an den Gekreuzigten herangerückt. Trotzdem erschüttert die in Lindenholz geschnitzte Trauerszene auf Golgatha. Jesus hat eben ausgelitten. Es ist vollbracht. Johannes fängt die Gottesmutter auf, die in ihrem Schmerz zusammenzusinken droht. Die Gruppe der Kriegsknechte zeigt zwar die Vollstrecker der Macht, aber keine der damals üblichen Henker-Physiognomien. Sie sind sich des Geschehens bewusst; die mit türkischem Turban herausgehobene bärtige Gestalt, die als der Hohepriester Kaiphas gedeutet wird, greift sich ans Herz.
In Creglingen
Seitab von Creglingen, im Tal des Herrgottsbaches, liegt die Herrgottskirche, ein kleiner gotischer Bau. Anno 1384 soll hier ein Bauer beim Pflügen auf eine unversehrte Hostie gestoßen sein. Als das Wallfahren begann, errichteten die Herren von Hohenlohe-Brauneck die 1396 vollendete, einsam gelegene Kirche. Von der zierlich gehauenen Freikanzel wurde die Hostienreliquie gezeigt. Die einträgliche Wallfahrt ermöglichte eine kostbare Ausstattung. Das gilt auch für den Hochaltar im Chor mit den bemalten Tafeln und der geschnitzten Kreuzigungsgruppe im Mittelschrein. Beide Meister sind unbekannt. Erasmus Grasser und Veit Stoß hat man schon als Bildschnitzer vermutet. Eine Szene aus einem der bunten spätmittelalterlichen Passionsspiele scheint hier, in der Bewegung erstarrt, in unsere Gegenwart zu ragen.
Um 1505 hat Tilman Riemenschneider mit dem Creglinger Marienaltar sein wohl bedeutendstes Werk geschaffen. Zwei Jahrzehnte nach der Aufstellung des Altars führten die Markgrafen von Ansbach in Creglingen die Reformation ein. Die Wallfahrt erlosch. 1530, also noch zu Lebzeiten Riemenschneiders, befahl Ansbach die Schließung der Kirche. Die Gemeinde protestierte und erreichte, dass die Herrgottskirche wenigstens als Kapelle für den dort frisch angelegten Friedhof genutzt werden durfte. Die Flügel des Marienaltars aber schlossen sich, zu sehen war nur ein unförmiges Brettergehäuse, an dem die Creglinger ihre Totenkränze aufhängten.
1832, ein Jahrzehnt nach der Entdeckung des Riemenschneider-Grabsteins zwischen dem Würzburger Dom und Neumünster, öffnete der damalige Stadtschultheiß und Adlerwirt Michael Dreher das Gehäuse. Vor seinen Augen loderte gotisches Gesprenge, entschwebte Maria der Schar der Apostel. Die rötliche Föhrenfassung des Schreins kontrastiert mit dem silbrigen Altersglanz der Lindenholzfiguren. Riemenschneiders Auftrag war die Darstellung der sieben Freuden Mariens. Der Aufbau des Altars zieht den Blick magnetisch nach oben. Erstmals in der Kunst wird hier die Aufnahme Mariens in den Himmel als lebensgroße Skulpturengruppe gewagt. Die Gottesmutter entschwebt lautlos, schwerelos, himmlisch leicht, von Engeln als gefiederter Wolke getragen. Die Jünger können es noch kaum fassen, einige haben es noch gar nicht bemerkt. Über der Krönung Mariens krönt die Figur des Schmerzensmannes den Altaraufbau, zeigt der geschundene Menschensohn seine Wunden. Das führt zurück zu dem legendären Hostienfund. Riemenschneiders Altar steht auf dem Steintisch, der die Fundstelle markiert. In der Nische der Predella raffen zwei Engel ein Tuch, vor dem die Reliquie in einer Monstranz zur Verehrung ausgesetzt war. Sie trauert längst leer.
Neben der Hostiennische wird der zwölfjährige Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrten dargestellt. Dem Gelehrten rechts in der Ecke hat Tilman Riemenschneider seine eigenen Züge gegeben: ein breitwangiges, bartloses, versonnen grübelndes Antlitz mit einem herben Zug um die Lippen. Am Abend des 15. August, volkstümlich Mariä Himmelfahrt, fällt das Licht der Sonne durch die Rosette der Westwand gebündelt auf das Antlitz Mariens.
Taubertal-Trilogie
Mit einer anspruchsvollen Taubertal-Trilogie hat der noch junge Gerchsheimer Kunst-Schätze-Verlag, der vor allem durch seine hervorragend konzipierten und gestalteten Kirchenführer bekannt geworden ist, nun auch den Einstieg in die große Welt der Bücher gewagt. Herzstück seiner Trilogie ist der aufsehenerregende Prachtband „Tilman Riemenschneider – Gesichter der Spätgotik – und sein Erbe im Taubertal“ mit Texten von Erich Soder von Güldenstubbe und Farbfotografien von Winfried Berberich (350 Seiten, 98 Euro). Das opulente Werk haben wir anlässlich der großen Riemenschneider-Doppelausstellung in Würzburg in diesem Jahr bereits im „Sonntagsblatt“ vorgestellt. An dieser Stelle nun die beiden ebenfalls recht ansprechenden Rahmenbände.
Die Tauber – Von der Mündung bis zur Quelle. Von Carlheinz Gräter. 144 Seiten mit 250 Farbfotografien von Winfried Berberich, 24,80 Euro. Kunst-Schätze-Verlag, Gerchsheim, 2004; ISBN 3-934223-16-8.
„Die Tauber ist, nicht nur dem Namen nach, weiblich figuriert; sie stellt die anmutigste, aber auch emanzipierteste Flußtochter des alten schilfbekränzten Moenus dar.“ Der aus Lauda stammende und in Würzburg lebende Autor dieses schwungvollen Flussporträts weiß, wovon er schreibt: Er ist nicht nur ein Kind, sondern auch ein ausgewiesener Kenner dieses unverwechselbar fränkischen Landstrichs mit seinen unaufdringlichen Naturschönheiten, seinem künstlerischen Reichtum, seinen anmutigen Städten und Dörfern. In schöner literarischer Manier, gleichwohl prägnant, schlüssig und fesselnd beschreibt der Volkskundler und Kunstkenner, dem Lauf der Tauber von der Mündung bei Wertheim bis zur Quelle an der Frankenhöhe folgend, die vielen spektakulären wie die versteckten Kostbarkeiten dieser alten Kulturlandschaft, die wiederum der Fotograf Winfried Berberich meisterlich-einfühlsam mit seiner Kunst so recht ins Bild zu bringen wusste. Neben all den bekannten Sehenswürdigkeiten sind es vor allem auch Berberichs ausdrucksvolle Landschaftsbilder, seine Stadt- und Dorfansichten sowie die schönen Naturaufnahmen, die den Betrachter zu eigener Erkundung anregen.
Ein Gang durchs Taubertal – Von Rothenburg bis Wertheim. Von Wilhelm Heinrich Riehl; erläutert von Carlheinz Gräter. 80 Seiten mit 35 meist ganzseitigen Abbildungen, 12,80 Euro. Kunst-Schätze-Verlag, Gerchsheim, 2003; ISBN 3-934223-13-3.
Auch heute noch interessant und amüsant zu lesen ist, was im 19. Jahrhundert der damals recht bekannte „Wanderprofessor“ W. H. Riehl bei seinem herbstlichen Gang durchs Taubertal im Jahr 1865 entdeckte und wie trefflich er Land und Leute zu beschreiben wusste.