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    Lindenkirchweih in der Fränkischen Schweiz

    Tanzen im Baum der Liebe

    Dieser Baum ist prominent, sehr prominent sogar und fotogen. Er ziert Bildbände und Kalender und wurde von „National Geographic“ zu einem der schönsten seiner Art gewählt – als einziger Vertreter aus Europa. Er sieht aber nicht nur gut aus, sondern ist auch von kulturgeschichtlicher Bedeutung.

    Peesten in der Fränkischen Schweiz ist ein Dorf wie viele, wäre da nicht dieses grüne Monument, das neben der alten Kirche aufragt. Ein gewaltiger Kubus getragen von Sandsteinsäulen, die dem mächtigen Stamm die Arbeit zu erleichtern scheinen, und überragt von einem schmaleren Teil, das den seltsamen Baum krönt wie der Dutt die Frisur. In die grünen Wände sind mehrere, fenstergroße Öffnungen geschnitten. Und seitlich führt eine repräsentativ geschwungene Steintreppe, ja, wohin eigentlich?

    Helga Dressel weiß es: „Dieser Baum ist eine der heute ganz seltenen Tanzlinden. Gehen Sie doch mal nach oben“, empfiehlt sie. Als man jung war, ist man auf die Bäume geklettert, in Peesten schreitet man nun staunend und ein wenig ungläubig nicht weniger als 22 Stufen hinauf. Sie führen auf einen großen Eichenholzboden, der um den gewaltigen Stamm der Linde verlegt worden ist. Hier ist praktisch mitten im Baum ein knapp 90 Quadratmeter großer Saal in drei Meter Höhe entstanden.

    Mittelpunkt des Dorfes

    „Unsere Linde ist der Dorfmittelpunkt“, sagt Helga Dressel, die den Förderkreis Tanzlinde Peesten mitbegründet hat. Zur Kirchweih, die man hier Kerwa nennt, hat sie ihren großen Aufritt, immer am zweiten Juniwochenende. „Dann wird auf der Linde getanzt, nicht unter ihr.“ Das ist keine fixe Idee, sondern Tradition. Und weil es diese gab, haben die Leute aus Peesten auch gleich, nachdem die alte Linde aus dem 16. Jahrhundert 1947 gefällt worden war, eine neue gepflanzt. Das war aber noch lange keine Tanzlinde. Dafür bedurfte es besonderer Kunstfertigkeiten, vieler ehrenamtlicher Helfer und sehr viel Zeit, erinnert sich die Peestnerin. „Erst einmal mussten ja die jungen Äste in die Breite zu einem waagerechten Laubdach gezogen und dann gestützt werden.“ Das Leiten der Äste und der Baumschnitt waren weitere, regelmäßige Arbeiten.

    Erst nach rund 50 Jahren konnte wieder eine Holzkonstruktion eingezogen werden, auf der nun getanzt wird. „Aber nicht nur“, betont die engagierte Dame. Es fänden auch Musik- und Theateraufführungen statt. „Und natürlich der Festgottes-dienst, mit dem die Kerwa eröffnet wird.“ Anders als in den beiden be-nachbarten Tanzlinden-Orten, Langenstadt und Limmersdorf, bleibt in Peesten der Boden das ganze Jahr in der Linde. „Der Baum ist für uns identitätsstiftend“, sagt Helga Dressel.

    Das sieht man in Limmersdorf wohl ganz ähnlich, dessen Lindenkirchweih 2014 in die bundesweite Liste des immateriellen Kulturguts eingetragen wurde. Die Tradition konnte hier am konsequentesten aufrechterhalten werden. Vor Corona musste die seit 1729 gefeierte Kerwa nur während des Zweiten Weltkriegs und 1949 wegen einer Polioepidemie ausfallen. Und getanzt wird immer noch auf der Linde, die Ende des 17. Jahrhunderts gepflanzt worden ist. Dem robusten Baum scheint das ausgelassene Treiben nichts auszumachen.

    Auf dem stimmungsvollen Limmersdorfer Lindenplatz im Schatten der Kirche macht sich allmählich Unruhe breit. Die vier so genannten Platzpaare, unverheiratete Jungen und Mädchen, die zum Tanz erwartet werden, lassen sich Zeit. Zur Tradition gehört es, dass der eine die andere zuhause abholt und man dann von Musik begleitet durch das Dorf zieht, in Tracht, versteht sich. Hier und da gibt es schon etwas zu trinken und ein erstes Tänzchen wird gewagt. Das kann dauern.

    Hand in Hand

    Als schließlich die Musik immer näher kommt, jubeln und klatschen die Menschen auf dem Platz. Die Tanzpaare bahnen sich ihren Weg durch die Menge und steuern auf die Linde zu. Hier wird erst einmal ein wilder Reigen aufgeführt. Immer rund um den mächtigen Stamm, dessen Umfang nicht weniger als fünf Meter misst. Dann geht es schnellen Schrittes und Hand in Hand über die Treppe auf den Tanzboden in vier Meter Höhe. Die Kapelle, in einem eigens für sie errichteten Anbau, und die Zuschauer, die rechtzeitig auf die Linde gestiegen sind, haben Platz genommen. Die ausgelassenen Tänze, die nun folgen, sind vor allem ein Um-den-Lindenstamm-Wirbeln, schnelle Richtungswechsel und ständige Kreisbewegungen inklusive. Schon vom Zusehen wird einem fast schwindlig. Die Kerwa-Buben und -Mädel genießen es. Sie strahlen und schwitzen um die Wette.

    Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Stolz verlassen die vier Paare die Linde und lächeln ins Publikum – die Jungen mit Zylinder, die Mädchen mit einem Blumenkränzchen im Haar. Jetzt beginnt die Arbeit. „Die Platzpaare sind traditionell die Organisatoren der Kerwa“, erklärt Veit Pöhlmann vom Förderverein der Limmersdorfer Lindenkirchweihtradition. Zu ihren Aufgaben gehöre auch, für das leibliche Wohl zu sorgen. Und während die Kerwa-Buben und -Mädel die Bier- und Würsteversorgung sicherstellen, erklimmen die ersten Besucher den Tanzboden. „Wir legen Wert darauf, die Tradition, zu pflegen und nicht den Kommerz“, betont Pöhlmann. Dazu gehört es eben schon seit Langem, dass die jährlich wechselnden Platzpaare die Kirchweih durchführen.

    Seit fast 500 Jahren

    Die erste Kerwa hat 1540 zur Einweihung der Kirche stattgefunden. Heute wird vier Tage lang immer am Wochenende am oder nach dem 24. August, dem Bartholomäustag, gefeiert. Damit auch die Tradition des Tanzes auf der Linde weiterleben kann, diesem fränkischen Pendant zu den Maibaum-Festen, hat man schon vor Jahren eine zweite Linde gepflanzt, die soll in ein paar Jahren die altgediente ablösen. Aber warum tanzt man eigentlich auf der Linde? Da muss Veit Pöhlmann passen. Statt eine Antwort zu geben, empfiehlt er den Besuch im Lindenbaum-Museum im nahen Neudrossenfeld.

    Dort wird die besondere Bedeutung dieses Baums herausgestellt. Seine Verehrung, als Ort des Kultes, reicht bis in die vorchristliche Zeit zurück. Wegen des herzförmigen Blattes wurde die Linde als Baum der Liebe verehrt und später als heilig angesehen. Unter Linden wurde Recht gesprochen und gefeiert – am Hof, auf dem Dorf und in der Stadt. „Geleitete Linden“ oder „Stufenlinden“, die von Menschen geformt wurden, sind seit über tausend Jahren nachweisbar. Schon früh muss sich das Geschehen sozusagen in die erste Etage verlagert haben, wie Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren und Städteansichten von Matthäus Merian belegen. Eine Vermutung für diese Entwicklung macht Dämonen verantwortlich, die im Parterre zuhause waren. Wer will mit denen schon ein Tänzchen wagen. Ganz oben in den dreistufigen Linden sollten die Götter wohnen.

    Das fränkische Tanzlinden-Trio in Limmersdorf, Peesten und Langenstadt, wo die Dorfgemeinschaft 1989 einen neuen Baum gepflanzt hat, auf dem seit 2010 getanzt wird, ist heute einer der ganz raren Zeugen dieser uralten, einst weit verbreiteten Tradition, Natur zu Bauwerken zu formen. „Deshalb zählt unsere Linde auch zu den Bau- und nicht zu den Naturdenkmälern“, erklärt Helga Dressel. „Sie muss eben regelmäßig geschnitten werden.“ Aber ohne diese pflegerische Maßnahme wäre die Peestner Tanzlinde wohl kaum so berühmt geworden.     

    Ulrich Traub