Es dürfe nicht mehr geklagt werden in diesem unserem Land. Wer klage, dem werde über den Mund gefahren, sagt Bruder Peter Reinl, Prior des Würzburger Augustinerklosters. „Schau dich um in der Welt und sieh, wie schlecht es anderen geht. Hast du etwa Grund zum Klagen? Der Spruch vom Jammern auf hohem Niveau macht die Runde.“ Für Reinl ein unverständlicher Spruch. „Es darf geklagt werden“, betont der 39-Jährige. Denn Klagen mache dem Menschen sein Leid bewusst. Dies wiederum, das Bewusstsein des Leidens, sei die Voraussetzung für den Versuch, sich vom Leid zu befreien, leicht zu werden, das Leben, zumindest für einige Minuten oder Stunden, als Geschenk zu erleben.
Wie kommt es, dass so viele Menschen, denen wir im Alltag begegnen, beschwert, bedrückt, niedergeschlagen wirken? Diese Frage bewegte eine vierköpfige Gruppe aus dem Augustinerkloster um Prior Peter Reinl, die den diesjährigen Fastenkurs vorbereitet hat. Der Mensch habe von Geburt an so viel in sich, was Leichtigkeit, Lebensfreude, Tanz ermöglicht. Doch die Freude sei oft verschüttet, sagt Reinl. Der Mensch beharre oft unbewusst auf einer Einstellung, die das Leben als beschwerlichen Kampf, als Bürde betrachte. Die Schlagzeilen in den Zeitungen, die Nachrichten im Fernsehen fütterten ein Lebensgefühl, das die Freude an dem von Gott geschenkten Dasein ersticke. Angst kreise den Menschen ein, das Gefühl von Machtlosigkeit, von Ausgeliefertsein an ein Schicksal, auf das er keinen Einfluss habe, mache sich breit.
Bruder Peter zieht ein Bild zum Vergleich heran. Eine seiner Leibspeisen, erzählt er, sei Saltimbocca. Übersetzt bedeutet das Gericht: „Spring-ins-Maul“. Saltimbocca sei jedoch nur dann ein Genuss, der „ins Maul springt“, wenn es in einer leichten Weißweinsauce zubereitet werde. Oft sei das nicht der Fall. Dann könne das Kalbfleisch noch so köstlich sein – die dicke, schwere Soße verderbe alles.
Die dicke, schwere Soße – für Bruder Peter steht sie sinnbildlich für ein Lebensgefühl, das keine Leichtigkeit mehr kennt. Schwere, Schwermütigkeit, dies werde den Deutschen ohnehin gern nachgesagt. „Menschen anderer Kulturen scheinen uns da um Längen voraus zu sein, Afrikaner zum Beispiel“, sagt Reinl. So seien die Yoruba in Nigeria für ihre Tänze, die Lebensfreude und Energie ausdrücken, bekannt.
Unter der Überschrift „Auf der Suche nach neuer Leichtigkeit“ gaben die Augustiner während ihres Fastenkurses Impulse dafür, wie Menschen ihr Leben tänzerischer gestalten können. So kann, wer zu Gedichten greift, die befreiende Wirkung des Worts erfahren. Über die „Leichtigkeit der Worte“ sprach während des Fastenkurses Dr. Wilhelm Bruners aus Mönchengladbach. Bruners ist Theologe und Autor. Vor allem sein Buch mit dem Titel „Und die Toten laufen frei herum“ machte ihn bekannt.
Auf die Fähigkeit des Menschen zur Leichtigkeit zu verweisen, heißt für Prior Peter Reinl keineswegs, einen zwanghaften Optimismus zu beschwören. Wie viel Leiden Menschen aufgrund von Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit oder zwischenmenschlichen Konflikten zu ertragen haben, bekommen die Würzburger Augustiner nicht zuletzt durch ihren Gesprächsladen mit. Angesichts dieses Leidens schlicht Leichtigkeit zu fordern, ist für Bruder Peter purer „Leichtsinn“. Das Leiden müsse ernst genommen werden, sagt er. Allerdings gelte es, gerade Menschen, die ein schweres Schicksal haben, Möglichkeiten zu erschließen, in ihrem Alltag Momente der Leichtigkeit zu erleben. Über diese Möglichkeit zum „Tanz im Alltag“ sprach während des Fastenkurses Roman Angst, Seelsorger in der Bahnhofskirche Zürich.
Wie Klänge Menschen dazu bringen können, leicht zu werden, schwere Gedanken zu vergessen und sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, zeigte die Psychotherapeutin Dr. Barbara Stämmler. Sie brachte ein Monochord, Klangschalen und einen Gong in die bis auf den letzten Platz gefüllte Augustinerkirche mit. Damit lud sie die Menschen ein, mit ihr zu meditieren, zur Ruhe zu kommen und nach ihrer eigenen Melodie innerlich zu tanzen.
Über den Fastenkurs hinaus, bis zum 16. April, ist das Bild „Tanz der Undankbaren“ von Hann Trier in der Augustinerkirche zu sehen. Der Künstler (gestorben 1999), beschrieb das Malen als einen Prozess des Tanzens: „Malen heißt im zusammenhängenden Ablauf auf überschaubarer Fläche tanzen: Im Fließen, im Staccato, im Anhalten, in der Wiederkehr der Pinselschläge tanzt der Rhythmus. Ich springe in ihn hinein, indem ich mit den Pinseln so tanze, dass Tanz sichtbar wird.“ Am 27. März um 17 Uhr wird Domkapitular Jürgen Lenssen Hann Triers „Tanz der Undankbaren“ in der Veranstaltungsreihe „Musik und Meditation“ erschließen.