Und vielfach sind es ja auch systemimmanente Konstellationen wie etwa fehlende Transparenz, Machtkonzentration, mangelnde Machtkontrolle oder auch über lange Zeit gewachsene Abhängigkeiten und Verkrustungen, die Fehlverhalten ermöglichen oder zumindest begünstigen. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche oder auch die bekanntgewordenen Missstände in Führungsetagen öffentlich-rechtlicher Medienhäuser sind Beispiele dafür. Deshalb ist es wichtig und richtig, solche Schwachstellen zu identifizieren und zu beseitigen und nicht nur einen oder einige wenige öffentlichkeitswirksam als Sündenbock oder Bauernopfer zu benennen.
Wichtig und richtig insbesondere deshalb, weil damit auch die Möglichkeit genommen wird, sich weiterhin hinter dem System und seinen Schwachstellen zu verschanzen. Denn der Verweis auf das System und dessen vermeintliche Zwänge wird gerne als wohlfeile Ausrede gebraucht, um von persönlichem Versagen oder Fehlverhalten abzulenken, es kleinzureden oder gar zu entschuldigen. Dabei haben diejenigen, die so argumentieren, oftmals die Schwachstellen im System selbst gepflegt und gefördert, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie selbst davon profitiert haben.
Entscheidend ist die richtige Balance zwischen vorgegebenem Rahmen und eigener Verantwortung. Dazu braucht es Leute mit Wertvorstellungen und dem Rückgrat, für diese auch einzutreten; Leute die bereit sind, Änderungen einzufordern und anzustoßen, wenn sie sehen, dass etwas falsch läuft; Leute auch, die, wenn etwas schief gelaufen ist, dazu stehen; die zu dem stehen, was sie getan oder nicht getan haben – auch zu ihrer persönlichen Verantwortung oder Schuld. Daran mangelt es – in Gesellschaft und Kirche.
Wolfgang Bullin