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    Surjina unter Strom

    Ob Kurzschluss oder kaputter Ventilator: Im Notfall holen die Leute in Gobinda Pur seit kurzem das Mädchen mit den flinken Fingern ins Haus. Sonst gibt es keinen Elektriker in ihrem Dorf, im Südwesten von Bangladesch. Der Weg für die Handwerker aus der Stadt dorthin ist weit.
    Einige Kontakte im Lichtschalter sind verschmort und Surjina sieht es gleich. Sie schabt die Flächen mit dem Messer blank und schraubt sie in der Klemme fest. Jetzt noch das Gehäuse an die Wand setzen und die Sicherung hineinstecken. Ein Druck auf den Schalter, und es leuchtet wieder in der Hütte. „Das Licht ging nicht“, sagt die 16-Jährige. „Da hat mich die Nachbarin gerufen.“ Denn ob Kurzschluss oder kaputter Ventilator: Im Notfall holen die Leute in Gobinda Pur seit kurzem das Mädchen mit den flinken Fingern ins Haus. Sonst gibt es keinen Elektriker in ihrem Dorf, im Südwesten von Bangladesch. Der Weg für die Handwerker aus der Stadt dorthin ist weit. Surjina Khatun lernt eigentlich noch. „Aber ich übe gerne“, unterstreicht sie und lächelt. „Und ich bekomme ein Essen dafür, wenn es klappt.“
    Nicht immer, aber immer öfter gelingen ihr die Reparaturen. Dabei hatte sie von Schalt- und Stromkreisen noch vor einem Vierteljahr keine Ahnung. Jetzt hängen solche Pläne in ihrer Klasse der mobilen Schule, wo sie zur Elektrikerin ausgebildet wird: Ein Trainingscenter unterm Blechdach, das vom katholischen Hilfswerk Misereor und der Caritas Bangladesch betrieben wird. Darin erwerben jugendliche Schulabbrecher sechs Monate handwerkliche Fähigkeiten und auch in der Mechanik oder beim Schneidern. „Ein Jahr vor meinem Abschluss hatten wir kaum noch Geld“, erzählt Surjina. „Mein Vater war krank, und das Lehrgeld für meinen Bruder in der Stadt musste bezahlt werden.“ Notgedrungen ging sie von der Schule ab.
    Das zierliche, dunkelhaarige Mädchen ist deshalb froh, als sie hört, dass die mobile Schule in ihrer Gegend Station macht. Unbedingt will sie einen Beruf lernen. Nur welchen?! „Das ist doch blöd“, schimpft ihre Freundin Nelema eines Nachmittags. „Alle Mädchen wollen jetzt Schneiderin werden und bald sitzt in jeder Hütte eine, und keine verdient mehr richtig Geld damit.“ Surjina nickt. Alles, bloß nicht Schneidern, schwören sich die beiden. „Aber den Elektriker“, überlegt Nelema, „den holen die Leute aus der Stadt und bezahlen ihn gut, weil es hier keinen gibt.“ Anmeldungen für den Elektriker-Kurs gibt es ebenfalls noch nicht viele; die Jungs interessieren sich eher für die Mechaniker-Ausbildung. Die zwei Mädchen schmieden einen Plan und finden eine dritte im Bunde, ihre Kameradin Rupia. „Ich möchte Elektrikerin werden, habe ich meinem Vater gesagt“, berichtet Surjina. „Er fragte, ob ich das einzige Mädchen sei. Wir sind zu dritt, konnte ich da sagen.“ Allein unter Jungen hätte Vater Ali Sana seine Tochter nicht sehen wollen. Aber so hatte er keine Einwände. „Wenn sie es kann, soll sie es lernen und Frauen machen heute so viel, was auch Männer tun.“ Dass die mobile Schule von katholischen Hilfswerken betrieben wird, stört den Moslem dabei nicht. „Es geht doch um unsere Entwicklung hier“, hebt er hervor.
    Zunächst müssen die drei aber ein Auswahlgespräch für einen der zwölf begehrten Plätze im Kurs bestehen. Sie schaffen es – als erste Mädchen an der mobilen Schule überhaupt. „In 14 Jahren hatten wir schlicht keine Bewerberinnen für den Elektrik-Kurs“, klagt Programm-Direktor Felix Gomes. „Die meisten Mädchen können sich nur vorstellen, Schneiderin oder Stickerin zu werden.“ Dabei mangelt es im dicht besiedelten Bangladesch an technischen Fachkräften. Vor allem auf dem Land, wo es immer mehr elektrische Geräte und Leitungen gibt. „Und das bei einer Arbeitslosen- und Unterbeschäftigtenquote von rund 44 Prozent“, sagt Gomes. „Die Quote ist auch so hoch, weil viele Eltern ihren Kindern nicht die Handwerkerschule in der Stadt bezahlen können.“
    Ihre Hütten baut die mobile Schule deshalb überall dort auf, wo eine Gemeinde Bedarf anmeldet. Maschinen und Werkzeuge für die Ausbildung der Jugendlichen reisen mit. Die Jungs im Kurs sind indes baff, als sie sich mit Mädchen im Unterricht wieder finden. „Wir dachten, nach drei Wochen sind die weg“, gesteht Mehdi Hassan. „Die können nie mithalten.“ Falsch gedacht: Die Mädchen können und bleiben. Sie lernen, wie man Ventilatoren in Gang setzt, die Spule einer Bohrmaschine repariert, Transformatoren oder Regler einsetzt. Surjina schneidet Folie in Streifen, zwackt die Enden zurecht, und flotter als alle anderen wickelt sie Kupferdraht um den Dynamo einer Wasserpumpe. Am Ende betrachtet Ausbilder Porimol Abhikary ihr Kupferbündel. „Du machst gute Arbeit“, lobt er sie. Anfangs war der Lehrer auch skeptisch: „Unterricht für eine gemischte Klasse, das hat mich verwirrt“, so Abhikary. „Wie würden wir miteinander zurechtkommen, und wie sollte ich den Mädchen den Stoff vermitteln?“ Schnell merkt er, dass die Schülerinnen eher über die Theorie lernen, die Jungs mehr über die Praxis. „Gerade Surjina versteht rasch“, ergänzt er. „Nur die Handgriffe, die muss ich den Mädchen öfter zeigen.“
    Anderthalb Stunden am Tag büffelt Surjina Mathe, Physik und technisches Zeichen, wenn sie nach sieben Stunden Unterricht nach Hause kommt. Viel Zeit für einen Schwatz mit ihrer Freundin Nelema bleibt da nicht. Doch dafür ist sie Kursbeste in der Theorie. „Wenn wir einen Leitungsplan für ein Haus zeichnen müssen“, verrät Surjina, „sind wir immer schneller fertig als die Jungs.“ Mehdi hält dagegen. „Dafür legen wir die Leitungen schneller, wenn es gilt, ein Loch zu bohren oder eine Hauswand aufzuschlitzen“, sagt er.

    Gegenseitig treiben sich die Jungen und Mädchen an: Niemand will sich eine Blöße geben, jeder will besser sein als der andere. Ein Wettstreit, den Porimol Abhikary unterstützt, indem er zwischen seinen Lehrlingen nicht unterscheidet. „Was ist das für ein Mist?“, raunzt er Rupia und ihren Kameraden Rashid gleichermaßen an, als er ihre Dynamo-Wicklungen sieht. „Da habt Ihr schlampig gearbeitet.“ Er erklärt ihnen noch einmal, wie es geht. Seufzend machen sich die beiden wieder ans Werk. „Nur später, im Kampf um Jobs, könnte echte Konkurrenz zwischen uns entstehen“, fürchtet Mehdi. „Wenn die Mädchen so gut sind wie wir, aber als Zeichen ihres guten Willens bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten.“ In Bangladesch sei das oft so.

    Trotz seiner Sorge – der Junge lässt auf seine Mitschülerinnen nichts kommen. „Wir sind im Kurs wie Brüder und Schwestern“, schildert Mehdi. „Nur die Leute im Dorf machen blöde Bemerkungen.“ Surjina und Nelema kennen sie alle. „Wie wollt Ihr mit dem Beruf einen Mann finden?“, „Euer Gatte wird Euch später nie erlauben, mit anderen Männern zu arbeiten“ und „Wie wollt Ihr auf eine Baustelle gehen?“.
    Gerede, auf das die Mädchen nicht viel geben. Sie wissen zwar, dass sie keine eigene Werkstatt eröffnen werden. Denn in der konservativen islamischen Gegend schickt es sich für eine Frau nicht einmal, alleine auf den Markt zu gehen. „Aber ich kann als Angestellte in einer Firma arbeiten und eine Karriere aufbauen“, plant Surjina mit glänzenden Augen. Ihr Händchen für Kabel, Drähte und Motoren hat sie in der Nachbarschaft ja schon bewiesen. „Und meine Tante will, dass meine Cousine in den nächsten Elektrik-Kurs geht“, ergänzt die Auszubildende.
    Dennoch muss sie in der eigenen Familie gegen Widerstände kämpfen: Ihrer Mutter Sukjan ist die Sache mit der Elektrikerin nicht geheuer. „Meine Tochter kann gut kochen“, versichert sie deshalb jedem und hält sich gleich wieder schüchtern den Sari-Schal vors Gesicht. „Das Übliche“, betont Surjina. „Linsen mit Reis, Gemüse – das muss ich hier als Frau auch können.“ Zumal sie einen Mann und mindestens vier Kinder haben will. Denn in der knappen Freizeit tobt sie am liebsten mit ihren kleinen Nichten und Neffen herum. „Ich werde meinen Mann schon von meinem Beruf überzeugen“, ist Surjina entschlossen. Sie setzt einfach gerne alles unter Strom.