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    Reste einer nie gebauten Autobahn aus der 1930er Jahren verzücken bald Touristen

    Strecke 46 statt Route 66

    Die Route 66 ist ein fast 4000 Kilometer langer US-Highway von Illinois nach Kalifornien. Ab 1926 war sie eine der ersten durchgehenden Straßen zur Westküste. Heute ist die Route 66 einer der Anziehungspunkte für USA-Touristen. In Deutschland gibt es keine Route 66, aber dafür eine Strecke 46. Was das ist? Eine Fast-Reichsautobahn. Seit 1933 gab es Pläne, Fulda und Würzburg zu verbinden. Rund 70 Kilometer lang sollte die Straße werden. Gebaut hat man aber nur an 30 Kilometern. Dabei sind 47 Einzelbauten entstanden, wie Unterführungen und Wasserdurchlässe. Seit dem Baustopp 1939 liegt in den Wäldern und Tälern dieser Gegend ein Stück Verkehrsgeschichte versteckt.

    Sie sollte den Verkehr von Bad Hersfeld bis zum Kirchheimer Dreieck bei Würzburg führen. Das unvollendete Bauwerk verläuft parallel zur heutigen Rhönautobahn A7 zwischen Eckarts bei Bad Brückenau und Seifriedsburg bei Gemünden am Main. Nach Kriegsende hatte man dann aber eine Trasse bei Schweinfurt vorgezogen – die A7. Jetzt wird die alte Route erschlossen, aber anders als man es in den 1930er Jahren vorhatte. Wanderer und Mountainbiker sollen den Ton angeben. Im Tal der Fränkischen Saale und an den Hängen können sie dann auf „Spurensucherpfaden“ ein außergewöhnliches Denkmal erkunden. Geländegängiges Schuhwerk und grobstollige Fahrradreifen sind nötig, denn die Bauten liegen oft tief im Wald. Die Natur hat sich die einst gerodete Trasse wieder einverleibt.

    Dieter Stockmann ist Beamter im Landratsamt Main-Spessart. Seine nüchterne und sachliche Ausdrucksweise ist wohl seinem Beruf geschuldet. Aber leichte Anzeichen des Triumphs lassen sich doch heraushören: In der Woche vor Weihnachten hat er einen Förderantrag eingereicht. Jetzt rechnet er fest damit, dass die Strecke 46 mit Mitteln der Europäischen Union für den Tourismus „aufbereitet“ wird, wie er das nennt.

    Die Legende

    Neben der klassischen Beschilderung ist vorgesehen, Leute mit einer App fürs Smartphone zu lotsen und über historische Zusammenhänge aufzuklären. Ein nur punktuelles Wissen über die NS-Propaganda hatte vor gut 20 Jahren dazu geführt, das Vorhaben eines Lehrpfads zunächst zu begraben.

    Während Stockmann heute für Naturschutz zuständig ist, war er 1997 im Sachgebiet Kommunalrecht eingesetzt. Landrat Armin Grein als Vorsitzender des Vereins „Naturpark Spessart“ beauftragte ihn zu prüfen, ob die „Steinhaufen“ für den Fremdenverkehr etwas hergäben.

    Stockmann setzte ein „komplexes dreidimensionales Puzzle“ zusammen, wie er sagt. In einem Gemeindearchiv entdeckte er den Titel „Strecke 46“ und forschte fortan in den Staatsarchiven. „Nach zwei Jahren meinte ich, einen guten Plan zu haben, was man mit den Relikten machen könnte“, erinnert er sich. „Ich stellte die Sache als erstes in Burgsinn dem Marktgemeinderat vor und holte mir eine totale Klatsche.“ Niemand habe mit den Nazis in Zusammenhang gebracht werden wollen. Schließlich hätten die die Autobahnen nur deshalb errichten lassen, um ihr Kriegsgerät schnell zur Front zu bringen. Egal ob diese Darstellung wahr oder – wie sich zeigen sollte – nur eine Legende war – der Landrat stoppte sämtliche Aktivitäten.

    Der Privatmann

    Aber der Privatmann Stockmann blieb dran. Und er war nicht der Einzige. Auf den Listen für die Einsichtnahme von Archivalien stieß er immer wieder auf dieselben Namen. Mit diesen Gleichgesinnten gründete er eine Arbeitsgemeinschaft, die begann, die Maßnahmen der 1930er Jahre zu rekapitulieren. 1999 trug Stockmann seine Erkenntnisse in einem Buch zusammen und bot erstmals eine Führung an. „Zigtausend Leute sind seither gekommen“, resümiert er. Für 2020 sind bereits die Termine 8. März, 17. Mai, 6. September und 10. Oktober fix.

    Die Touren

    Auch die Volkshochschule Lohr-Gemünden lädt zu Exkursionen ein – abschnittweise zu Fuß, und auf voller Länge als Tagestour mit dem Rad. Als Tourleiter fungiert der Gemündener Bürgermeister Jürgen Lippert, ehemals Kollege von Stockmann in der Kreisbehörde. Lippert war als gebürtiger Seifriedsburger schon als Kind ständig „auf Tuchfühlung“ mit den Relikten. „Das war unser Spielplatz“, sagt der 1966 Geborene.

    Dann deutet er auf eine fast 50 Meter lange, von Bäumen umstandene Röhre im Wald. „Die Fahrbahnen – zwei Spuren in jede Richtung – sollten nur 28,5 Meter breit sein. Die restlichen 20 Meter hatte man für Böschungen und Trennstreifen reserviert“, berichtet er. Stockmann räumt ebenfalls mit falschen Vorstellungen auf: „Mit Steigungen bis fast acht Prozent und Neunzig-Grad-Winkel-Kurven war die Strecke kaum geeignet für den Massenverkehr geschweige denn für die Mobilmachung. Die Pläne stammen aus den 1920ern von Vereinen, die der zunehmend motorisierten ‚Elite’ Wege in die reizvollsten Gegenden des Reiches öffnen wollten.“ Später seien der Warentransport und die schnelle Erreichbarkeit der Wirtschaftszentren in den Vordergrund gerückt, weshalb die A 7 nahe bei Schweinfurt verlaufe. Die Strecke 46 wurde 2003 zum Technikdenkmal. Gebaut hatte man ohne Stahl und kaum mit Maschinen. Unter den bis zu 500 Arbeitern, überwiegend aus dem Frankfurter Raum, seien keine KZ-Häftlinge gewesen, betont der Bürgermeister. Der Informationspunkt bei Seifriedsburg beleuchtet das Leben der Arbeiter: Teils seien sie in den Dörfern untergebracht gewesen oder man habe Baracken mit einem unüblichen Standard errichtet, mit fließend warmen Wasser. Dass offenbar auch die Verpflegung gepasst hat, demonstriert eine Seifriedsburger Wirtschaft mit der üppigen Brotzeitplatte „Strecke 46“.

    Informationspunkte

    An weiteren Informationspunkten erfährt man etwas über die Vermessung, die Entwässerungsbauwerke, die Gestaltung der Parkplätze und die besten Aussichten – wie eben bei Gössenheim auf die romantische Homburg, die zweitgrößte Burgruine Deutschlands. Dieter Stockmann hegt noch den Traum von einem Streckenmuseum. Den Bahnhof Gräfendorf mit Original-Interieur aus den 1920er Jahren und extra aufgerüstet zur Unterstützung des Autobahnbaus schätzt er als „Juwel“. Dort befindet sich ein früherer Lokschuppen. Wäre das nicht ein geeigneter Ort dafür?

    Bernhard Schneider