Gabriele Kielenbeck ist an der Nähmaschine geübt. Aber selbst für sie war es schwierig, aus 40 Stoffteilen ein rund 25 Quadratmeter großes Tuch herzustellen. Zuhause hätte sie für diese Näharbeit nicht den nötigen Platz gehabt. Sie belegte daher den Pfarrsaal ihrer Pfarrei St. Josef in Würzburg-Rottenbauer. Dort konnte sie wenigstens an zusammengeschobenen Tischen arbeiten. Die Nähte des Tuchs hatten eine Gesamtlänge von 169 Metern. Das zu bewältigen, sei stressig gewesen, berichtet Kielenbeck. „Du musst den Berg immer zurechtziehen. Da hat der linke Arm abends schon wehgetan.“
Allen Blicken entzogen
Das so entstandene Patchwork-Tuch ist bis zum Karsamstag in der Kirche von Rottenbauer zu sehen. 37 der 40 Stoffteile sind bunt gestaltet. Das Tuch hängt im Altarraum an einem Holzgestell und verdeckt das 1961 gemalte Wandbild von Karl Clobes. Der Künstler hat an dieser Stelle den auferstandenen Christus hinterlassen, etwa sieben Meter hoch. Nur ist davon zur Zeit nichts zu sehen.
In katholischen Kirchen sind vom Fünften Fastensonntag bis zum Karfreitag die Kreuze verhüllt. Bei der Karfreitagsliturgie werden sie enthüllt. Der für Rottenbauer zuständige Gemeindereferent Frank Greubel stieß sich bisher daran, dass bei der Enthüllung und Verehrung des Kreuzes in St. Josef im Hintergrund der Auferstandene in die Höhe ragte. Dann besuchte Greubel auf der Durchfahrt die Stadtpfarrkirche im oberbayerischen Freising. Dort entdeckte er ein Fastentuch, das aus Bildern mit biblischen Motiven bestand. Rottenbauer bräuchte auch so ein Tuch, um Christus an der Wand zu verhüllen, fand Greubel. Am Gründonnerstag 2024 erzählte er im Pfarrbüro Gabriele Kielenbeck davon. Die damalige Pfarrsekretärin entgegnete spontan: „Dann machen wir das.“
„Das Konzept hatten wir innerhalb einer Stunde“, erinnert sich Kielenbeck. In der Osternacht stellte Greubel der Gemeinde den Plan vor. Vereine, Gruppen, Einrichtungen, Familien und Einzelpersonen in Rottenbauer rief er dazu auf, Tücher zu bemalen oder zu gestalten. Jedes Tuch sollte individuell zeigen, was seinen Schöpfern wichtig ist. Und alle Einzelteile sollten schließlich zu einem Fastentuch zusammenwachsen.
Mit einer Rundmail und einer Ankündigung im Pfarrbrief warb Greubel zusätzlich für das Vorhaben. Die Kirchenverwaltung St. Josef zog mit. „Die Kirchenverwaltung ist für Personal, Finanzen, Gebäude zuständig. Es war klar, dass wir aus einem dieser Bereiche etwas fertigen“, erzählt Kirchenverwaltungsmitglied Irmtraud Fuchs. Die Beteiligten wählten eine Ansicht der Pfarrkirche aus. Diese Ansicht lag bereits als Computerdatei vor. Am Drucker des Pfarrbüros erstellten Fuchs und Kielenbeck die Vorlage für das Stoffteil.
Ruhige Hand am Küchentisch
Zu Hause am Küchentisch übertrug Fuchs mit Bleistift und schwarzem Filzstift die Linien der Kirche und den Schriftzug„St. Josef Rottenbauer“ auf ihr Stoffstück. „Man muss sich Zeit lassen“, bilanziert Fuchs. Mehrere Stunden lang arbeitete sie mit ruhiger Hand. Auf dem Fastentuch ist die Kirche nun oben in der Mitte zu finden.
Zu den an der Aktion Beteiligten zählen der Sportverein, die Freiwillige Feuerwehr, der Kinder- und Jugendchor, Ministranten und Pfadfinder sowie die Evangelische Kirchengemeinde. Grund- und Mittelschule, Seniorenkreis und etliche Privatleute steuerten ebenfalls Darstellungen bei. Manche Stoffgestalter arbeiteten dreidimensional. Das heißt, sie statteten Personendarstellungen auf dem Fastentuch zum Beispiel mit Wollhaaren aus oder setzten Handarbeitsknöpfe in die Augen. Auf dem Tuch finden sich christliche Motive wie das Kreuz oder ein Engel. Andere Kreative entschieden sich für Säkulares wie Herzen oder Musiknoten. „Weit über 150 Leute haben sich auf dem Tuch verewigt“, bekundet Greubel sichtlich erfreut. Alle Akteure trugen zudem die Materialkosten selbst.
Ein Schreck zum Schluss
In der Endphase des Projekts wartete noch ein Schreck auf die Organisatoren. Bei einer Überprüfung der zwei Wandhaken an der Altarwand stellten Feuerwehrleute fest, dass ein Haken lose war. Er hätte das Tuch nicht getragen. In einer mehrstündigen Blitzaktion am Rosenmontag baute ein Team in der Kirche ein Holzgestell, um das Tuch befestigen zu können. Ein Schreiner half ehrenamtlich mit. Die Konstruktion einschließlich Tuch schoben alle mit vereinten Kräften an der Altarwand hoch. „Es war eine Nervensache, aber die Stimmung war gut“, erinnert sich Fuchs. Am Aschermittwoch sahen die Kirchenbesucher das Tuch zum ersten Mal, und etliche zückten sofort ihr Handy. Seitdem bezeugt das Kunstwerk, dass Ostern nicht mehr fern ist. Und dass die Gemeinde Rottenbauer lebt.
Ulrich Bausewein
Die Kirche ist tagsüber geöffnet. Gemeindereferent Frank Greubel bietet Führungen an. Telefon 0931 69777, E-Mail frank.greubel@bistum-wuerzburg.de