Die Kirche der Heiligen ist zugleich immer auch die Kirche der Sünder. Letztere dominiert derzeit die öffentliche Wahrnehmung. Den seit Jahren festzustellenden schleichenden Bedeutungsverlust hat das beschleunigt. Aus der Glaubenskrise ist eine Glaubwürdigkeitskrise geworden. Als moralische Instanz habe die Kirche abgedankt, hat es unser Diözesanratsvorsitzender unlängst bei der Frühjahrsvollversammlung auf den Punkt gebracht. Nicht nur die Schatten der Sünden aus der Vergangenheit haben diesen Vertrauensverlust bewirkt, sondern auch Dilettantismus im Umgang damit und der abhanden gekommene Blick für die Wirklichkeit, für die wahren Sorgen und Nöte der Menschen.
Gerade dieser Blick aber soll künftig im Bistum Würzburg Seelsorge und Gemeindeleben prägen. Sozialraumorientierung heißt der etwas sperrige Begriff dafür. Gemeint ist damit, dass Kirche nicht mit einem fertigen Universalangebot aufwartet, sondern jeweils so agiert, wie es Gegebenheiten, Erwartungen, Bedürfnisse oder Notlagen vor Ort erfordern und ermöglichen. Dazu gehört dann beispielsweise auch, nicht nur sein Ding machen zu wollen, sondern sich Kooperationspartner zu suchen. Und dazu gehört, was die Soziallehre Subsidiaritätsprinzip nennt; man kann auch vom Vorrang der kleineren Einheit oder Hilfe zur Selbsthilfe sprechen.
In Konsequenz heißt das, dass christliche Gemeinde vor Ort nicht – zumindest nicht vorrangig – sich selbst und ihr „Standardprogramm” organisiert, sondern den Glauben für ihr und mit ihrem Umfeld lebt und feiert. Sozialraumorientierung – das klingt modern, ist aber keineswegs neu. Schon vor 2000 Jahren ist ein jüdischer Rabbi in Palästina nach diesem Prinzip mit Menschen um- und auf sie zugegangen – ohne Berührungsängste, wie man heute gerne sagt.
Wolfgang Bullin