Evangelium
In jener Zeit stieg Jesus mit den Zwölf den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon waren gekommen. Jesus richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht. Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.
Lukas 6,17–18a.20–26
Haste was, dann biste was! Mit dieser einfachen und flapsigen Aussage ist eine der Grundeinstellungen zum Leben in unserer Welt ausgedrückt. Es ist, was der „Welt“ gefällt und wofür lauter Applaus gespendet wird – in Form von Bewunderung, Nachahmung und Belohnung. Es macht happy und (ist) total spaßig.
Dieser Lebensentwurf ist an den Erfolg geknüpft. Leistung wird belohnt. Wer hat, bekommt noch mehr: Unabhängigkeit, Freiheit, Macht, Reichtum und viel Spaß sind die maßgeblichen Begriffe und Werte. Es ist der Ausdruck des dolce vita, des schönen und leichten Lebens! Haste was, dann biste was! Die Seligpreisungen unserer Konsumgesellschaft ... und mitten in unsere Wohlfühlgesellschaft hinein klingen dann die Worte Jesu so ganz anders. Selig die Armen. Selig, die ihr jetzt weint. Selig – seid glücklich, freut euch, jubelt, ...
Selige und glückliche Arme? Eine Provokation. Eine Herausforderung. Der Gegenentwurf Jesu zu einer Welt, die sich so ganz anders präsentiert. Das klingt fast wie: Haste was, dann haste ein Problem. Nicht die Reichen, die Bekannten, die Herrschenden, die Influencer und Einflussreichen werden gepriesen und für gut befunden. Nein, es sind die Armen, die selig sind. Ihnen verspricht Jesus: Euch gehört das Reich Gottes.
Schon das alleine ist eine Zumutung in den Ohren moderner Menschen. Der Text geht noch einen Schritt weiter: Wehe! Wehe euch! Ihr Reichen, ihr Satten, ihr Lachenden! Ihr Leistungsträger, ihr Beeinflusser, ihr Spaßmacher und Spaßhaber! Ein Paukenschlag: Unvorstellbar! Starker Tobak! Dieser Jesus, was der sich erlaubt. Spüren Sie es auch: diese plötzliche Betroffenheit? Jetzt meint er – Jesus – mich.
Ich gehöre nicht zu den Armen. Ich zähle mich auch nicht zu den Reichen. Aber: Ich bin satt. Ich habe genügend zu essen. Jeden Monat erhalte ich ein Gehalt. Ich kann mir Kultur und Urlaub leisten. Ich genieße mein Leben und lache gerne. Ich bin anerkannt und habe Freunde und Freundinnen. Ich fühle mich geschmeichelt, wenn meine Leistung honoriert und (an-)erkannt wird. Kann es wirklich sein, dass Jesus mich meint?
Diese Weh-Rufe tun weh. Sie treffen mich in meinem gut eingerichteten Leben. Sie rütteln auf und irritieren. Sie verunsichern und beunruhigen. Sie befremden und ... und bringen mich dabei zum Nachdenken ... Sie laden mich ein und motivieren mich: zur Solidarität in unserer Gesellschaft, zum Wir-Gefühl in unserem Glauben. Das ist die Provokation Jesu: Schau nicht weg! Schau dort hin, wo Leben an den Rändern existiert. Schau hin, wo Leben leidet, wo Not groß ist, wo Menschen auf der Strecke bleiben. Dreh dich nicht weg an den Grenzen des guten Geschmacks. Vergiss nicht, dass es Hungernde gibt, Arme, Notleidende. Lass dich anrühren. Lass dich berühren und verwandeln.
Erfolg und Reichtum sind gut, aber wichtiger ist der Mensch. Deshalb: Verliere den Menschen nicht aus dem Blick. Schau hin. Hör hin. Geh hin. Und dann: Wähle das Leben! Zeige ein mitleidendes Herz. Öffne deine zugreifende Hand. Setze neue Maßstäbe. Beginne klein, wähle Schritte, die dir möglich sind. Mach langsam, damit dein Herz dir folgen kann.
Und dann, dann gilt auch dir die Zusage und Verheißung: Selig bist du! Glücklich wirst du sein, denn dir sind die Menschen nicht egal. Du kannst dich freuen, deine Sorge gilt dem Miteinander. In diesem Sinne schreibe ich das geflügelte Wort einfach um: Biste was, dann haste was: Teil an der Zukunft Gottes und Leben in Fülle.
Carmen Maria Bauer (carmen.bauer@bistum-wuerzburg.de) ist Religionslehrerin in Mömlingen, Großheubach und Ringheim.