Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Probeabo des Magazins bestellen

Lernen Sie das Sonntagsblatt kennen – kostenlos und unverbindlich

    Lernen Sie das Sonntagsblatt kennen – kostenlos und unverbindlich

      Mehr
      Johannes Zang sorgt sich um die Menschen in Palästina

      Schussloch im Sakko erinnert an Schrecken des Krieges

      Insgesamt neun Jahre lang hat Johannes Zang im Nahen Osten gelebt, 64 Pilgergruppen begleitete er nach Israel, die letzte im März 2023. In seinem jüngsten Buch „Kein Land in Sicht?“ bemüht er sich um einen differenzierten Blick auf den Gaza-Konflikt. Dabei treibt ihn das Leid der Menschen auf beiden Seiten an.

      An den 7. Oktober 2023 kann sich Johannes Zang noch gut erinnern: „Ich hatte gedacht: Raketen aus dem Gazastreifen, das kenne ich, nach drei, vier Tagen ist es vorbei.“ Am 29. Oktober 2023 wollte der Goldbacher seine mittlerweile 65. Pilgergruppe ins Heilige Land begleiten. Am Mittag des 7. Oktober verschickte er deshalb noch eine Mail. „Eine generelle Reisewarnung wird es wohl beim Auswärtigen Amt nicht geben“, vermutete er da noch. Erst am Abend des 7. Oktober sei ihm klar geworden, dass der Angriff der Hamas eine „neue, nicht für möglich gehaltene Dimension der Gewalt“ darstellt.

      Zangs Beziehung zu Palästina begann eher zufällig: 1983 studierte der Goldbacher Theologie, trat ins Priesterseminar ein, lernte Hebräisch. Nach zwei Jahren erkannte er, dass der Priesterberuf nicht sein Weg ist. Im Dezember 1985 machte sich Johannes Zang als 21-Jähriger auf den Weg nach Israel. „Ich wusste damals nichts vom Nahost-Konflikt und dessen Wurzeln“, erzählt er. Rein zufällig habe er Arbeit im Kibbuz Be´eri gefunden, pflückte dort tonnenweise Zitronen, Mandarinen, Orangen und Pomelos. Umso erschütterter sei er von den Nachrichten gewesen, dass in dem Kibbuz am 7. Oktober 130 Menschen „massakriert“ worden seien.

      Be´eri liegt nur rund vier Kilometer vom Gazastreifen entfernt und war im Januar 1986 auch Ausgangspunkt für Zangs ersten Besuch in dem besetzten Gebiet. Heimlich habe sich eine Gruppe von deutschen Volontären auf den Weg gemacht, ein solcher Ausflug sei eigentlich verboten gewesen. „Damals kam man noch ohne große Kontrollen rein“, erzählt der 60-Jährige. Insgesamt rund 35 Mal sei er seitdem im Gazastreifen gewesen. In Erinnerung geblieben sind ihm vor allem die Begegnungen mit den wenigen Christen dort. „Wir wollen in Frieden leben“, hätten ihm so viele Menschen gesagt. Und immer wieder gab es die Aufforderung, der Welt vom Leid in dem besetzten Gebiet zu berichten.

      „Die Medien transportieren nur einen Bruchteil der Wahrheit“, sagt Zang, und: „Ich fühle mich den Menschen in Israel und Palästina verpflichtet.“ Deshalb hat der freiberufliche Deutschlehrer, Referent, Journalist, Organist und Reiseleiter mittlerweile fünf Bücher über den Nahost-Konflikt geschrieben. „Kein Land in Sicht?“ ist das jüngste Buch überschrieben. „Ich komme einfach vom heillos unheiligen Land nicht mehr los“, heißt es im Vorwort.

      Wie durch ein Schlaglicht beleuchtet Zang einzelne Aspekte des Konflikts. Auf dem rund 365 Quadratkilometer großen Gazastreifen – rund 40 Kilometer lang und zwischen 6 und 12 Kilometer breit – lebten demnach bei der Staatsgründung Israels 1948 höchstens 70.000 Menschen, heute sind es mindestens 2,2 Millionen. Zang zitiert unterschiedlichste Quellen: von Berichten der Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen, die Israel zum Teil „Apartheid“ vorwerfen, bis hin zu Medienberichten. Demnach ist der Gazastreifen seit Jahrzehnten „das größte Gefängnis unter freiem Himmel“, seit dem Krieg sei es zudem „der größte Friedhof unter freiem Himmel“.

      Willkürliche Schikanen

      Zang listet allerlei Schikanen, bürokratische Hürden und sogar Menschenrechtsverletzungen des Staates Israel auf. So seien die Palästinenser bis heute lediglich geduldete Einwohner, aber keine Staatsbürger. Deshalb würden ihnen willkürlich die Ein- und Ausreise in den Gazastreifen verboten, selbst bei medizinischen Notfällen oder dem Tod von Verwandten. Selbst Leichname würden zum Teil jahrelang zurückgehalten. Zang zitiert auch UN-Berichte, nach denen hunderttausende Palästinenser ohne Prozess inhaftiert wurden, zum Teil über Jahre. Durch undurchsichtige Bürokratie werde den Einwohnern des Gazastreifens jede Perspektive genommen: „Und so zerrinnen Lebenszeit, platzen Pläne und Träume, wird Zukunft vernichtet“, kommentiert Zang die Willkür in Verwaltung und Militär.

      Zang selbst lebte insgesamt rund neun Jahre im Heiligen Land: Nach seinem ersten Aufenthalt von 1985 bis 1987 unterrichtete er von 1999 bis 2003 als Musiklehrer in einer palästinensisch-christlichen Privatschule in Bethlehem. Der letzte lange Aufenthalt dauerte von 2005 bis 2008. Eins der vielen Erinnerungsstücke aus diesen Jahren ist ein Sakko mit einem Schussloch am Rücken, knapp unterhalb des Kragens: Als er nach den Osterferien 2002 in Deutschland nach Bethlehem zurück kehrte, fand er seine Wohnung verwüstet vor, unter anderem durchbohrte eine Kugel seinen Schrank samt Sakko darin. Das Loch erinnere ihn an Krieg und Leid im Nahen Osten. Deshalb habe er sich bis heute nicht davon getrennt.

      Viele frühere Lehrerkollegen, Schüler oder deren Eltern seien in den vergangenen Jahren ausgewandert, berichtet Zang. Mit einigen, die geblieben sind, halte er bis heute Kontakt: „Über E-Mail läuft noch erstaunlich viel.“ Neben palästinensischen Christen habe er Kontakte zu israelischen Friedens- und Menschenrechtsaktivisten wie Hillel Schenker vom Palestine-Israel Journal. „Die Not in Bethlehem und anderswo wächst von Tag zu Tag“, berichtet Zang und wirbt um Unterstützung, etwa durch den Kauf von Schnitzereien.

      Und was erhofft sich Zang nach einem Jahr Krieg? „Wichtig ist, das Töten jetzt zu beenden. Sofort.“ Rund 1.500 Israelis und mehr als 41.000 Palästinenser seien getötet worden. „Auch wir im so genannten Wertewesten lassen die Palästinenser seit Jahrzehnten im Stich.“ Gleichzeitig bemüht sich Zang um ein differenziertes Bild: „Jeder Staat hat das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu verteidigen.“ Aus seiner Sicht sei jedoch eine militärische Lösung des Konflikts ausgeschlossen. Schließlich sei auch eine Lehre der Shoa, dass es nie wieder Krieg, Rassismus, Entrechtung, Benachteiligung, Entmenschlichung oder Unterdrückung geben dürfe – „egal wo“.

      Ralf Ruppert

      Johannes Zang teilt sein Wissen über den Nahen Osten immer wieder in Vorträgen. Die nächsten Termine sind am Montag, 14. Oktober, im Franziskushaus in Miltenberg und am Dienstag, 26. November, im Martinushaus Aschaffenburg. Beginn jeweils um 19.30 Uhr.