Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt erfahren Sie im Sonntagblatt.
Von Professor Stephan Ernst
Schuld und Vergebung – Gott wendet sich den Menschen zu
Die Rede von Schuld und Sünde bereitet heute vielen Menschen Schwierigkeiten. Zu sehr sind diese Worte belastet mit Erfahrungen aus der Beichtpraxis, mit Vorwürfen und Strafen, mit der Rede vom Zorn und Gericht Gottes, mit krank machenden Selbstbezichtigungen und ständig schlechtem Gewissen, das jedes Selbstwertgefühl als Anmaßung unterdrücken möchte. All dies hat dazu geführt, dass die Worte „Schuld“ und „Sünde“ suspekt geworden sind, dass viele Menschen es skeptisch betrachten und entschieden von sich weisen, wenn sie auf mögliche Schuld hin angesprochen werden. Auf der anderen Seite aber machen wir auch die Erfahrung, dass wir versagen und aus eigenem Verschulden hinter unserer Verantwortung zurückbleiben können. Wir machen die Erfahrung, dass wir anderen Menschen Unrecht tun und sie verletzen. Wir machen die Erfahrung des Leidens unter zerbrochener Liebe, des Leidens an einem Leben, das am „Eigentlichen“ vorbeigeht. Die Sehnsucht nach Heilung und Versöhnung zeigt auch heute deutliche Spuren. Der Versuch, die eigene Schuld psychologisch oder mit dem Verweis auf Gesellschaft und Erziehung wegzuerklären, kann dabei zwar von falscher Selbstbezichtigung und unbegründeten zerstörerischen Schuldgefühlen befreien. Dies ist sicher der berechtigte Gewinn, den die psychologische Relativierung von Schuld gebracht hat. Aber dieser Versuch kann nicht immer befriedigen. Zu viele Menschen leiden nachhaltig gerade unter ihrer verdrängten Schuld.
Die Neigung, Schuld zu verdrängen
Fragt man, worin unsere Neigung, Schuld zu verdrängen und wegzuschieben, begründet ist, so scheint dafür letztlich die Vorstellung und Angst verantwortlich zu sein, wir müssten uns aus eigener Kraft, aufgrund unserer eigenen Leistung rechtfertigen, um von unseren Mitmenschen akzeptiert und angenommen zu werden. Geht man von dieser Vorstellung aus, dann ist es tatsächlich unendlich schwer, zur eigenen Schuld zu stehen. Denn dann muss man fürchten, nicht angenommen und akzeptiert zu werden, wenn man für irgendeinen Fehler verantwortlich gemacht werden kann. Dann aber ist es geradezu unausweichlich, dass man eigene Schuld und eigenes Versagen nicht zugeben und nicht wahrhaben will, dass man sie unterdrückt und beschönigt, dass man sie von sich auf andere oder auf die Umstände schiebt, sich selbst aber immer nur den Erfolg zuschreibt.
Das Evangelium eröffnet demgegenüber eine ganz andere Logik als sie unter uns Menschen herrscht. Es sagt Gottes Zuwendung und Vergebungsbereitschaft allen Menschen unbedingt zu, unabhängig davon, ob sie zuvor auf Leistungen, gute Werke und Erfolg verweisen können. Es garantiert den Selbstwert eines jeden Menschen, unabhängig von Versagen und trotz aller Schuld. Macht man aber mit dieser Zusage ernst, geht man in seinem Leben von dieser Zuwendung Gottes und der bereits gewährten Vergebung aus, dann wird es möglich, eigene Schuld nicht von vornherein von sich wegzuschieben. Es wird möglich, sie einzugestehen und sich selbst zuzuschreiben. Die Gewissheit, von Gott immer schon angenommen zu sein, befreit vom Druck der Schuldverdrängung und vom Urteil der Öffentlichkeit. Sie ermöglicht es, sich selbst anzunehmen, sich zu ändern und sich anderen wieder zuzuwenden.
Die Liebe, die Jesus uns erweist
Diese andere Logik des Evangeliums wird deutlich in der Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon (Lk 7,36-50). Als sie Jesus bei Tisch die Füße salbt und küsst, sagt er über sie zu Simon: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie so viel Liebe gezeigt hat.“ Damit ist nicht gemeint, dass die Liebe, die sie Jesus gegenüber erwiesen hat, der Grund dafür ist, dass ihr vergeben wurde. Denn Jesus fährt fort: „Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.“ Nicht die zuvor Jesus gegenüber erwiesene Liebe ist der Grund der nachfolgenden Vergebung, sondern umgekehrt: Die Liebe, die die Sünderin Jesus gegenüber erweist, ist Zeichen dafür, dass sie zuvor die Erfahrung der Vergebung gemacht hat. Ihre Liebe ist Auswirkung dieser vorhergehenden Vergebung. Wenn Jesus anschließend sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“, so stellt er nur fest, was schon geschehen ist. Und wenn die Gäste skeptisch bei sich denken: „Wer ist das, dass er sogar Sünden vergeben kann?“, so klärt Jesus selbst dieses Missverständnis auf: „Dein Glaube hat dir geholfen.“
Dieser Glaube aber besteht darin, sich darauf zu verlassen, dass Gott uns Menschen immer schon Vergebung angeboten hat. Er besteht darin, entgegen aller menschlich-pharisäischen Logik zu glauben und daraus zu leben, dass wir Gottes Zuwendung nicht erst durch Werke erwerben müssen, sondern dass er uns immer schon Gemeinschaft mit sich angeboten hat. Erst dann, aufgrund dieser Gewissheit, wird es möglich, eigene Schuld wahrzunehmen, ohne an Selbstwert zu verlieren. Die Erzählung von der Sünderin zeigt, wie solche Erfahrung der Vergebung und Befreiung zur Liebe beflügeln kann.
Die Neigung, Schuld zu verdrängen
Fragt man, worin unsere Neigung, Schuld zu verdrängen und wegzuschieben, begründet ist, so scheint dafür letztlich die Vorstellung und Angst verantwortlich zu sein, wir müssten uns aus eigener Kraft, aufgrund unserer eigenen Leistung rechtfertigen, um von unseren Mitmenschen akzeptiert und angenommen zu werden. Geht man von dieser Vorstellung aus, dann ist es tatsächlich unendlich schwer, zur eigenen Schuld zu stehen. Denn dann muss man fürchten, nicht angenommen und akzeptiert zu werden, wenn man für irgendeinen Fehler verantwortlich gemacht werden kann. Dann aber ist es geradezu unausweichlich, dass man eigene Schuld und eigenes Versagen nicht zugeben und nicht wahrhaben will, dass man sie unterdrückt und beschönigt, dass man sie von sich auf andere oder auf die Umstände schiebt, sich selbst aber immer nur den Erfolg zuschreibt.
Das Evangelium eröffnet demgegenüber eine ganz andere Logik als sie unter uns Menschen herrscht. Es sagt Gottes Zuwendung und Vergebungsbereitschaft allen Menschen unbedingt zu, unabhängig davon, ob sie zuvor auf Leistungen, gute Werke und Erfolg verweisen können. Es garantiert den Selbstwert eines jeden Menschen, unabhängig von Versagen und trotz aller Schuld. Macht man aber mit dieser Zusage ernst, geht man in seinem Leben von dieser Zuwendung Gottes und der bereits gewährten Vergebung aus, dann wird es möglich, eigene Schuld nicht von vornherein von sich wegzuschieben. Es wird möglich, sie einzugestehen und sich selbst zuzuschreiben. Die Gewissheit, von Gott immer schon angenommen zu sein, befreit vom Druck der Schuldverdrängung und vom Urteil der Öffentlichkeit. Sie ermöglicht es, sich selbst anzunehmen, sich zu ändern und sich anderen wieder zuzuwenden.
Die Liebe, die Jesus uns erweist
Diese andere Logik des Evangeliums wird deutlich in der Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon (Lk 7,36-50). Als sie Jesus bei Tisch die Füße salbt und küsst, sagt er über sie zu Simon: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie so viel Liebe gezeigt hat.“ Damit ist nicht gemeint, dass die Liebe, die sie Jesus gegenüber erwiesen hat, der Grund dafür ist, dass ihr vergeben wurde. Denn Jesus fährt fort: „Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.“ Nicht die zuvor Jesus gegenüber erwiesene Liebe ist der Grund der nachfolgenden Vergebung, sondern umgekehrt: Die Liebe, die die Sünderin Jesus gegenüber erweist, ist Zeichen dafür, dass sie zuvor die Erfahrung der Vergebung gemacht hat. Ihre Liebe ist Auswirkung dieser vorhergehenden Vergebung. Wenn Jesus anschließend sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“, so stellt er nur fest, was schon geschehen ist. Und wenn die Gäste skeptisch bei sich denken: „Wer ist das, dass er sogar Sünden vergeben kann?“, so klärt Jesus selbst dieses Missverständnis auf: „Dein Glaube hat dir geholfen.“
Dieser Glaube aber besteht darin, sich darauf zu verlassen, dass Gott uns Menschen immer schon Vergebung angeboten hat. Er besteht darin, entgegen aller menschlich-pharisäischen Logik zu glauben und daraus zu leben, dass wir Gottes Zuwendung nicht erst durch Werke erwerben müssen, sondern dass er uns immer schon Gemeinschaft mit sich angeboten hat. Erst dann, aufgrund dieser Gewissheit, wird es möglich, eigene Schuld wahrzunehmen, ohne an Selbstwert zu verlieren. Die Erzählung von der Sünderin zeigt, wie solche Erfahrung der Vergebung und Befreiung zur Liebe beflügeln kann.