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Schäfer aus Leidenschaft
Der beißende Nordostwind bläst über den Hof in Hammelburg, kahl und einsam liegen die Weiden ringsum. Kleine Schneehaufen am Wegrand weigern sich hartnäckig zu schmelzen. Zu schwach sind noch die lauwarmen Sonnenstrahlen, die den Frühling erahnen lassen. Im Schafstall von Familie Scherpf rüstet man sich aber bereits für den ersten Weidegang in wenigen Wochen. Bis dahin muss alles vorbereitet sein. An diesem Vormittag wurden bereits viele Mutterschafe samt Nachwuchs geschoren. Ein gedämmtes Blöken hallt aus dem Innern des großen Stalles. Die Schiebetür ist verschlossen. Die Tiere müssen vor dem kalten Wind geschützt werden, erklärt Bonifaz Scherpf. Im angrenzenden großen, überdachten Offenstall dagegen tummeln sich die noch wollenen Artgenossen und kauen genüsslich ihr Heu. „Wir müssen bereits jetzt mit dem Scheren beginnen, sonst wird die Zeit zu knapp, bis es warm wird“, erklärt Juniorschäfer Thorsten Scherpf. Der 31-Jährige leitet den Schäfereibetrieb gemeinsam mit seinem Vater und züchtet die großen Merinolandschafe. Nebeneinander gehen sie an diesem Spätnachmittag durch die Reihen ihrer Tiere im Offenstall. Letzte prüfende Blicke, ob es allen gut geht, keines der Tiere hinkt oder sich auffällig benimmt. Ruhig und gelassen setzen Vater und Sohn langsam einen Fuß vor den anderen und unterhalten sich dabei. „Wenn man sich hektisch in der Herde bewegt, kommt große Unruhe auf und die Tiere springen umher. Dann können sie sich schnell verletzen“, erläutert Bonifaz Scherpf und lässt den Blick im Stall umherschweifen. Dann gibt er Anweisungen an den Auszubildenden im blauen Parka. Der schiebt die Schubkarre vor dem Gatter aus dem Weg und verteilt weiteres Heu in die Krippen der Tiere. Scherpf schwingt sich behende auf ein traktorähnliches Gefährt, einen großen Heuballen auf dem Frontlader. Dann fährt er den großen Ballen näher an den Offenstall heran. Sein Sohn zieht kleinere Heufuder aus dem Großen heraus und hilft dem Auszubildenden. „Wir sind ein eingespieltes Team. Jeder hat seine Aufgaben, jeder seine Herde. Das klappt gut“, verrät Thorsten Scherpf. Seine drei Geschwister haben weniger mit der Schäferei zu tun. Als zweitältestes Kind ist er in die Fußstapfen des Vaters getreten und wird den Betrieb einmal übernehmen – in vierter Generation. Seine Schwester Sandra hat bereits eine eigene Familie, Carina arbeitet als Erzieherin und hilft in ihrer Freizeit im Büro und im Stall mit. Bruder Bernd hat zwar auch Schäfer gelernt, dann aber ins Hotelgewerbe gewechselt. „Naja, zwei Brüder in einem Betrieb, das geht selten gut – also hat er sich nach der Lehre anders entschieden. Vater und Sohn harmonieren da besser. Auch ich habe damals mit meinem Vater zusamengearbeitet“, sagt Bonifaz Scherpf und streichelt gedankenverloren eines der wollenen Tiere. „Die Schafe sind unser Leben. Ohne ging es gar nicht.“ Aber nicht nur die Schafe sind Vater und Sohn wichtig – zum Hüten brauchen sie ihre Hunde. Zehn Vierbeiner müssen sie jeden Morgen in den Zwingern nahe dem Schafstall versorgen und beschäftigen. Momentan sind sogar Welpen da. Thorsten bildet die Tiere selbst aus, damit sie in der warmen Jahreszeit ihren Dienst auf der Weide tun. „Da steckt Herzblut drin“, sagt der besonnen wirkende, junge Mann mit den braunen Augen. Die wenige Zeit, die ihm neben der Schafherde und der Arbeit in Stall und Weide bleibt, verbringt er am liebsten auf dem Rücken seiner Westernpferde. Auch im Urlaub. „Zwei bis drei Tage. Länger kann ich ja nie wegbleiben. Aber dann geht es raus. In den Spessart, wanderreiten, den Kopf freikriegen.“ Nur wenige Tage können auch Bonifaz und seine Frau Elke verreisen. Sonst ruht zu viel Arbeit auf den Schultern des Sohnes. Neben der täglichen Arbeit im Stall und auf den Weiden macht immer mehr Bürokratie den Schäfern das Leben schwer. In bis zu acht Büchern muss alles penibel festgehalten werden: Düngemittelpläne, Arzneimittel, Transporte, Geburten, Verkäufe, Krankheiten. „Das kostet uns sehr viel Zeit, die wir woanders einsparen müssen“, erläutert Bonifaz Scherpf. Der Prüfdienst komme unregelmäßig und kontrolliere die Bücher. „Der entscheidet, ob die Gelder von Brüssel ausgezahlt, gekürzt oder sogar gesperrt werden, wenn wir uns nicht an die Richtlinien halten.“ Mit eintausend Mutterschafen ist Bonifaz Scherpf einer der größten Schäferbetriebe in Unterfranken. Seine Eltern, beide selbst in einen Schäfereibetrieb hineingeboren, haben nach dem Krieg die kleine Schäferei in Hammelburg wieder aufgebaut. „Da ist viel Idealismus dabei“, sagt Bonifaz Scherpf und lächelt fast ein wenig wehmütig. Landwirtschaft sei ein Beruf der Tradition, da müsse man hineingeboren werden. „So einen Betrieb könnte niemand mehr heutzutage selbst hochziehen. Das würde sich gar nicht mehr rechnen.“ Denn die Förderungen laufen über die Flächen, die ein Schäfer besitze, „und die hat man ja am Anfang nicht“, erklärt Thorsten Scherpf. Immer mehr Schäfereibetriebe halten dem Druck nicht mehr stand; gab es 1993 noch über 95 Betriebe im Regierungsbezirk Unterfranken, so sind es aktuell noch 63. „Jedes Jahr steigen drei Betriebe aus dem Haupterwerb aus, niedrige Fleischpreise und die umfangreiche Bürokratie zwingen viele in die Knie. Scherpf hat das Glück, einer der größten Betriebe in der Region zu sein. Neben dem Fleischverkauf ist inzwischen die Landschaftspflege zur Haupteinnamequelle für die Schäferfamilie geworden. Mit ihren Herden ziehen Bonifaz und Thorsten Scherpf auf Flächen hinaus, die sich regenerieren und wo wieder besonders selten gewordene Blumen und Kräuter gedeihen sollen. Das sind meistens Brachflächen, Kalkmagerrasen und Wacholderheiden, erklärt der Sohn: „Die kargen Flächen verbuschen immer mehr, Kiefern, Weiß- und Schwarzdorn breiten sich dort aus. Es sollen aber wieder heimische Orchideen und Kräuter wachsen. Unsere Schafe fressen alles Drumherum – nur eben keine Orchideen.“ Und auch in alten brachliegenden Weinbergen tun die Schafe gute Dienste. Sie halten das Unkraut und Buschwerk, das sich dort ansiedelt, klein und trampeln den Boden fest – so verhindern sie Bodenerosion bei starken Regenfällen. Viel zu tun für die Herden von Vater und Sohn – doch bis sie Ende April wieder auf die Weide dürfen, dauert es noch eine Weile. Solange haben die Scherpfs genug im Stall zu tun: In der Lammzeit von Dezember bis April werden in dem großen Betrieb täglich bis zu zwanzig Lämmer geboren. Die müssen mit ihren Müttern zunächst vom Rest der Herde getrennt eingestallt, mit einer Nummer auf dem Rücken markiert und mit einer Ohrmarke gekennzeichnet werden. Nicht selten sind auch Zwillings- und sogar Drillingsgeburten darunter – auch nach über 30 Jahren ist das immer wieder eine Besonderheit für Bonifaz Scherpf. „Schäfer bist du dein Leben lang. Jeder Tag ist anders, man braucht das mit den Tieren. Tod und Geburt liegen so nahe beieinander und wir leben mittendrin.“ In diesen Kreislauf der Natur sind – wie Bonifaz Scherpf – auch seine Kinder förmlich hineingeboren, erklärt seine Frau Elke. „Wenn wir früher gefüttert haben, lag unsere Jüngste, die Carina, in der Krippe. Anders hätten wir ja unsere Arbeit gar nicht machen können. Die Kinder sind das von klein auf so gewohnt gewesen.“ Wieder im Stall streut Bonifaz Scherpf noch Kraftfutter in die Futterkrippe der Schafe. Thorsten krault einem der Tiere liebevoll den Kopf. „Wer meint, die seien alle gleich, irrt sich. Jedes Schaf ist anders, sieht anders aus, benimmt sich anders. Und man sieht sie aufwachsen. Das macht großen Spaß.“ Hin und wieder gibt es auch unter den tausend Schafen eines, das den Schäfern besonders ans Herz wächst. „Das war unser Hans, das Mutterschaf – keiner weiß mehr, warum es Hans hieß. Es war sehr zutraulich und lief uns überall hinterher. Eines Tages landete Hans irrtümlich auf dem Transporter in Richtung Schlachthof – wir haben es in letzter Minute erkannt und wieder mit heim genommen“, erinnert sich Thorsten schmunzelnd. „Das Tier ist alt geworden, so etwa 15 Jahre.“ Selten werden Schafe aber so alt im Betrieb; regelmäßig kommen einige von ihnen auf den Transporter zum Schlachthof. Ab einem Alter von drei Monaten kann ein Lamm bereits geschlachtet werden. Für ihre Zucht sei es wichtig, sagt Scherpf, dass die Tiere regelmäßig aussortiert werden. Mit ihrem großen Bestand sieht die Familie positiv in die Zukunft. Alle hoffen, dass die Preise für Schaffleisch wieder steigen und die Bürokratie nicht noch umfangreicher für den Betrieb wird. Im Naturschutz sehen Bonifaz und Thorsten Scherpf ihre Nische, denn „Naturschutz wird es immer geben“, erklärt der Jüngere zuversichtlich. „Die Kulturlandschaften sollen ja geschützt werden. Und die auszuputzen, wer könnte das besser, als unsere Schafe?“ Und für den Notfall tragen Vater und Sohn im linken Ohr einen kleinen, goldenen Stecker in Form eines Schafes. Eine Besonderheit unter Schäfern? Die beiden Männer lachen. Der Schmuck habe den Wert eines ihrer Tiere, und „wenn wir einmal pleite gehen sollten, ist das das letzte Schaf, das verkauft wird.“