In jener Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir? Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit, die Gott fordert, ganz erfüllen. Da gab Johannes nach. Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.
Matthäus 3,13–17
Etwas drastisch ausgedrückt, geht es Johannes gegen den Strich, dass Jesus zu ihm kommt, um sich taufen zu lassen. Was veranlasst Johannes dazu? Vielleicht steht die Angst dahinter, Jesus könnte sich mit seiner Bereitschaft zur Taufe als „armer Sünder“ erweisen, der einer Umkehrtaufe wie jeder andere bedarf und der im Grunde nicht weiterhelfen kann in der Erwartung auf den erhofften Mann Gottes, auf den Messias. Denn Johannes selber weiß um seine eigenen Grenzen und erhofft sich den, der „stärker ist“ als er (Mt 3,11). Er lässt sich freilich umstimmen. Auf Jesu Wort hin und im Vertrauen auf Gottes rechtes Handeln lässt er Jesus zur Taufe zu. Offenheit für das Wort des anderen und Vertrauen helfen hier Angst zu überwinden.
Und Jesus, warum lässt er sich eigentlich taufen? Man darf wohl annehmen, dass er ein Hörer der Umkehr-Botschaft des Johannes war. Diese Botschaft gilt Menschen, die erfahren haben, dass und wie Menschen schuldig werden können. Und Johannes zeigt auch Perspektiven, wie sich das ändern könnte, um mehr Menschlichkeit in die Welt zu bringen. „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso“, so seine Worte an anderer Stelle (Lk 3,11). Solche Worte müssen auch Jesus gepackt und überzeugt haben. Und so stellt er sich als Täufling ein: Einmal aus Solidarität mit den Menschen in Schuld. Zum andern ist er selber zutiefst davon erfasst, dass Menschen menschlich miteinander umgehen müssen, mehr Gerechtigkeit leben müssen, um so das Leben lebenswert zu machen.
Steht er mit dieser Solidarität mit Schuldigen und dieser auf den Menschen hin orientierten Grundausrichtung auch auf der Seite Gottes? Mehr noch, vergegenwärtigt er damit Gottes eigenes Verhalten zum Menschen? Das bestätigende Ja dazu kommt von oben mit der Stimme: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ Doch zucken wir moderne Menschen nicht spätestens an dieser Stelle der Botschaft des Evangeliums zusammen? Was bisher so gut menschlich nachvollziehbar verlief, wird jäh durch ein Phänomen gestoppt, das so ganz gegen unsere eigene Erfahrung geht. Wo hat uns je eine Stimme von oben erreicht und akustisch vernehmbar etwas mitgeteilt?
Wer hier stockt, versteht die Sprache der Bibel nicht. Hier soll kein unerklärbares Phänomen am Himmel im Sinne eines Naturwunders dokumentiert werden. Dieses Zeichen will vielmehr vermitteln: Was hier vorgeht, ist nicht das private Bekehrungserlebnis einen Mannes namens Jesus, sondern eine Einstellung und ein Handeln, das grundsätzlich und für alle bedeutsam ist. Dass sich Jesus, selber ohne Schuld, auf die Seite des schuldigen Menschen stellt, dass er für Menschlichkeit eintritt, ist Element seines von Gott gegebenen messianischen Auftrags. Was hier eigentlich abläuft, erschließt sich freilich nicht dem, der offensichtliche Zeichen und Wunder erwartet, zum Beispiel in Form von Zeichen am Himmel, um daraufhin zu glauben. Denn Gottes Einwirken in diese Welt, so auch zu Zeiten Jesu, öffnet sich nur dem, der offen und bereit ist für Gottes Zuspruch.
Jesus selber hat im Hören auf das Wort des von Gott gesandten Propheten Johannes diese Offenheit gezeigt. Auch die Apostel und Jünger als Augenzeugen dessen, was sich mit Jesus ereignete, haben ihn nicht gleich als Sohn Gottes erkannt. Erst in einem Prozess der gläubigen Offenheit und in Erfahrung des Auferstandenen, in der Begegnung mit ihm und im Zeugnis anderer ist ihnen aufgegangen: Jesus ist nicht nur ein Prophet, wie Johannes und andere in der Geschichte Gottes mit dem Menschen. Er ist nicht nur Mensch mit einem realistischen Blick für des Menschen Schuld, nicht bloß ein Humanist, der das Gute im Menschen sieht und verwirklichen will, er ist mehr: Er ist das gegenwärtige Handeln und Reden Gottes selber.
Wer auf Zeichen und Wunder wartet, die solche Wahrheiten überwältigend erfahren lassen, wird in der Regel vergebens warten. Gotteserkenntnis setzt voraus, dass man selber offen wird: Für das konkrete Leben um uns herum und zugleich für Botschaften „von oben“, wie sie uns die Bibel vermittelt. Das Leben bietet dazu immer wieder Situationen. Es können glückliche Ereignisse sein oder auch schlimme Schicksale, die diese Offenheit herausfordern und die durch die „Stimme von oben“ in ihrer tieferen Bedeutung offenbar werden.
Lic. theol. Harald Weis war Studienleiter bei „Theologie im Fernkurs“ der Katholischen Akademie Domschule Würzburg.