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„Nimm Platz“ wird bunt
„Immer klebt der Leim an den Fingern“. Die junge Frau trotzt aber diesem Umstand mit lauter Stimme und konzentriert sich sorgsam auf ihre Wollfäden. Faden für Faden legt sie auf den Stuhl und drückt ihn fest. Vorher hat Constanze Hochmuth-Simonetti die Stelle mit Leim bestrichen. Die Künstlerin hilft Carolin bei der Gestaltung des Stuhles. Später sollen noch kleine Plexiglas-Döschen aufgeklebt werden, in denen Carolin Fotos aus ihrem Leben zeigen möchte. Ganz allein kann Carolin nicht mit allen Materialien hantieren. Darum hilft ihr die Künstlerin Constanze Hochmuth-Simonetti in ihrem Würzburger Atelier. Dort besucht Carolin auch wöchentlich den Malkurs. Und auch Lilo Kraus-Ansari – selbst vor ihrer Krankheit Künstlerin – braucht nun nach mehreren Schlaganfällen Hilfe bei der Gestaltung ihres Stuhls. Trotz ihrer schweren Einschränkung und verformter Finger hat die 64-Jährige eigenhändig Zeichnungen angefertigt, die sie nun in Zeitlupe auf die Sitzfläche ihres Stuhls überträgt. „Lilo hat tausend Ideen, Carolin auch. Die haben wir erst einmal gebündelt und uns später überlegt, wie wir die Stühle gestalten könnten“, sagt Constanze Hochmuth-Simonetti. Insgesamt haben sich 44 Gruppen aus der Diözese an der Kunstaktion „Nimm Platz“ beteiligt, um zu zeigen, wie und wo Menschen mit Behinderung ihren Platz in der Gesellschaft sehen. Die Aktion wirbt so für eine inklusive Gesellschaft, also einen gleichberechtigten Umgang zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Alle Stühle werden individuell gestaltet am 19. Juli im Museum am Dom wieder zurückgegeben und im Herbst in einer Ausstellung zu sehen sein. Die besten 30 werden ab Oktober in einer Wanderausstellung durch die Diözese geschickt, die besten zehn können sich das Preisgeld des Caritas-Vinzenzpreises, insgesamt 5000 Euro, teilen. Am 25. September wird der Preis im Museum am Dom verliehen. Auch Mario, Ulla und die rund 23 weiteren Menschen mit Behinderung vom Freizeitclub der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) haben gemeinsam einen Stuhl umgestaltet. Ihrer hat menschliche Formen angenommen. „Wir haben einen Kopf aus Pappmaché draufgesetzt, aus den Armlehnen sind Arme mit Händen geworden. Eine Hand zeigt einen abwehrende Geste, die anderen zeigt eine einladende Handfläche“, beschreibt Gabriele Denner, hauptamtliche Mitarbeiterin der KHG, das Kunstobjekt. „So fühlen wir uns manchmal“, beschreibt Mario die Idee dahinter. „Manchmal ist man willkommen, manchmal stoßen einen die Leute auch weg.“ Bilder aller Teilnehmer werden noch bis zum Abgabetag aufgeklebt, alles soll bunt angemalt werden. Der Kopf symbolisiert das Blau der Weltkugel. „Wir waren überrascht, wie tief unsere Gruppe in die Thematik einsteigt, wie offen der Einzelne auch von nicht immer so schönen Erlebnissen und Verletzungen erzählt hat“, schildert Katharina Zeh, die die Gruppe ehrenamtlich betreut. Susi hat auch mitgeholfen den Stuhl zu gestalten, der Pinsel mit blauer Farbe tropft in ihrer Hand. Die kleine Frau mit der Fispelstimme und den kurzen braunen Haaren kichert amüsiert: „Die Welt hat ein Gesicht auf unserem Stuhl – das ist schön.“