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      Neues Leben in Maria Stock

      Die Wallfahrt nach Maria Stock/Skoky bei Luditz im Egerland geht auf das frühe 18. Jahrhundert zurück. Spenden von Pilgern machten den Bau einer Kirche möglich. „Maria Heimsuchung“ wurde 1738 geweiht: 21 Fässer Bier sollen nötig gewesen sein, um die 8000 Pilger zu versorgen, die zur Weihe gekommen waren. Die Zahl der Pilger, die hier um Genesung für sich und ihre Pferde oder für eine gute Ernte beteten, wuchs stetig. Den Höhepunkt erreichten die Wallfahrten 1748, als 40 000 Menschen zum Gnadenbild pilgerten – sowohl Tschechen als auch Deutsche. Seit 1981 versucht die Würzburger Ackermann-Gemeinde gemeinsam mit tschechischen Partnern, die ehemals prächtige Barockkirche vor den schlimmsten Folgen des Verfalls zu bewahren.
      Der Wallfahrtsort war aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Raubzüge und Vandalismus hatten schwere Schäden angerichtet. Der Gipfel war 2006 erreicht, als drei junge Männer die beiden zwiebelförmigen Kuppeln des Dachs absägten, um das Kupferdach zu stehlen. Dabei stürzte einer von ihnen vom Turm und verletzte sich so schwer, dass der Arzt ihm mitteilte, dass er den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen müsse. Wenige Wochen später konnte er wieder laufen. Als „Wunder von Maria Stock“ ging diese Geschichte durch die tschechische Presse und die Wallfahrtskirche war dem Vergessen entrissen. Die Medien nutzten die Gelegenheit, auf die katastrophale Situation der vielen verlassenen Kirchen im früheren Sudetenland hinzuweisen.   Auf Maria Stock war die Ackermann-Gemeinde 1980 aufmerksam geworden, als eine Gruppe Heimatvertriebener aus Hessen bei dem inzwischen verstorbenen Vorsitzenden Adolf Ullmann angefragt hatte, ob man regelmäßige Fahrten zu dem Ort aufrechterhalten könne.   Über den Sozialhilfekreis, der in der Region verbliebene Deutsche unterstützte, waren die Kontakte über den Eisernen Vorhang hinweg ohnehin nie ganz abgebrochen. Auch im benachbarten Buchau gab es eine Deutsche, die geblieben war.  

      Das erste Mal

      Nur mit alten Karten ausgestattet, verlief die erste Wallfahrt dennoch recht abenteuerlich: „Dort, wo sich ein fruchtbares Tal befinden sollte, standen wir plötzlich vor einem See, der nicht zu überqueren war“, erinnert sich Dörr von der Ackermann-Gemeinde. Nach der Vertreibung der Deutschen hatte man zunächst Slowaken und Tschechen aus dem Landesinneren angesiedelt. Doch auch sie waren nicht lange geblieben: Die Zwangskollektivierung hatte eine zweite Welle der Aussiedlung ausgelöst. 1965 wurde der Ort schließlich aufgelöst und bis auf die Grundmauern abgebrochen.   Wenige Jahre später kappte der Bau des Stausees die Verbindung zu Stift Tepl. Nur Anna Stock war geblieben, eine Deutsche, die das Wirtshaus bewohnte, das letzte Gebäude, das von dem einst lebendigen Ort übrig ist. Sie starb 1982, als sie in einen Brunnen stürzte. Ein tragischer Unfall oder mehr? Die Sprachlosigkeit des Regimes schürte das Misstrauen.   Die deutschen Pilger reisten – getarnt als Touristen – erst nach Karlsbad, wo sie im Hotel „Moskva“ unterkamen, und den obligatorischen Besuch am Sprudel absolvierten.  

      Nur Tricks halfen

      Mit einem Trick entledigten sie sich des staatlichen Reiseleiters, der erst am Abend zu der Gruppe stieß. Eine kleine Notlüge half: Statt schon am Morgen wieder abzureisen, wie angegeben, nahm die Gruppe einen Umweg über Maria Stock, um zumindest einen kurzen Gottesdienst mit einer Prozession zu feiern. Erst später fiel ihnen auf, dass sie nicht unbemerkt geblieben waren und von Beobachtern rege fotografiert wurden. „Es war schon sehr trist, sehr grau, wir waren eigentlich immer wieder froh, als wir wieder auf bayerischem Boden waren“, erinnert sich Dörr.   Noch 2005 stand die alte Wallfahrtstradition vor dem Aus. František Radkovský, der Bischof von Pilsen, ließ Eingangsportal und Seitentüren zumauern. Nachdem eine okkulte Messe in der Kirche gefeiert worden war, sah er kein anderes Mittel, um die Kirche zu sichern.   „Wir dachten, jetzt ist es vorbei“, berichtet Hans-Peter Dörr. Mit verschiedenen Gruppen pilgert er jedes Jahr nach Maria Stock. Bestrebungen, die Wallfahrt in eine der anderen sehenswerten Kirchen der Region zu verlegen, lehnt die Ackermann-Gemeinde ab: „Hier ist für uns ein heiliger Ort. Den kann man doch nicht so einfach verpflanzen“, sagt Dörr.   Die Jahre des Kommunismus hatte die Kirche vergleichsweise gut überstanden. Der eigentliche Niedergang kam erst nach der Wende, als sich keiner mehr für sie verantwortlich fühlte. Trostlose Bilder aus den 1990er Jahren zeigen, wie die Kirche allmählich verfällt, wie Diebe den Baldachin vom Hochaltar gerissen, die Orgel abmontiert und selbst die Kirchenbänke teilweise entwendet haben. Vieles davon tauchte später wieder auf dem deutschen Markt auf.  

      Das Mindeste getan

      Einmal zeigte Bischof Radkovský Dörr bei einem Besuch achselzuckend Bilder alter Kirchen in der Diözese Pilsen: „Schauen Sie sich all die Kirchen an, die kann ich nicht alle restaurieren!“ Dörr ist vorsichtig damit, Schuldige zu benennen. Auch das in kommunistischen Zeiten als Kaserne genutzte Prämonstratenser-Stift Tepl, zu dem die Kirche seit 1902 und wieder seit 1998 gehört, hatte mit der eigenen riesigen Anlage alle Hände voll zu tun.   Mit Spenden sorgte die Ackermann-Gemeinde immerhin dafür, dass das Nötigste getan wurde. So wurden die kostbaren Glasbilder mit den alten deutschen Aufschriften durch Gitter geschützt, die Dachrinnen erneuert und Schäden im Mauerwerk beseitigt.   „Noch wichtiger als die materielle Hilfe war es uns jedoch, nach außen zu zeigen, dass es immer noch Menschen gibt, die die Kirche nicht vergessen haben“, betont Dörr. Vor allem in den ersten Jahren hatten noch viele der Teilnehmer im Egerland Wurzeln. So war lange Zeit eine Frau dabei, die noch als Kind mit ihrer Mutter die Wallfahrt erlebt hatte. „Es war natürlich schlimm für sie, zu sehen, was geschehen war, sie hat jedoch daran gehangen und wollte immer mit“, erzählt er. Zunehmend stießen aber auch junge Leute dazu, die das Egerland nur noch vom Erzählen kannten.  

      Wege und Holzwege

      Besonders taten sich die Jungen und Mädchen der Jugendgruppe – der „Jungen Aktion“ – hervor. Bei den jährlichen Zeltlagern stand der Arbeitseinsatz im Vordergrund. Mit vereinten Kräften legten Deutsche und Tschechen einen Sumpf trocken, der sich unter der Kirche gebildet hatte und die Fundamente anzugreifen drohte. Sie räumten Schutt von der Treppe und befreiten den alten deutschen Friedhof und die Grabsteine, auf denen noch immer die deutschen Namen zu lesen sind, vom Gestrüpp.Wie wichtig dies war, zeigte sich, als einmal ein Auto der Russenmafia aufkreuzte und – als sie die Wächter sahen – mit quietschenden Reifen wieder davon fuhr.
      Die Aufbruchsstimmung der Jahre nach der Wende hat sich inzwischen gelegt: Die Gründung eines Bauvereins versandete ebenso wie die Pläne für einen Förderverein für ein Wallfahrts- und Begegnungshaus. Das zweifelhafte Angebot des Administrators, die Kirche für eine Mark zu erwerben, sei ohnehin keine Alternative gewesen. „Vermutlich muss die Kirche erst eine Ruine sein, bevor sich etwas tut“, befürchtet Dörr.   Doch das spirituelle Leben ist zurückgekehrt. Die tschechischen Katholiken haben den heiligen Ort wieder für sich entdeckt: Es gibt wieder wöchentlich Gottesdienste, es gibt Sommerzeltlager und Führungen durch die Kirche. Die Mauer im Eingang ist schon bald durch eine Tür ersetzt worden. Christian Ammon