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    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Mutmacher und Paten gesucht

    Sie schreibt Briefe, viele Briefe. Mit der Schreibmaschine. Unablässig gehen diese bei Tageszeitungen, Behörden und in Büros von Lokalpolitikern ein. Ihre Motivation ist eine ganz Menschliche. Die Kinderarmut in Stadt und Landkreis Würzburg ist ihr Thema. „Ich will was tun“, sagt Marianne Müller mit fester Stimme. Und sie tut etwas.
    Schon ihr ganzes Leben setzt sie sich für Kinder und Jugendliche ein. 39 Jahre lang war Marianne Müller Lehrerin, stellvertretende Schulleiterin – und bekam die soziale Armut vieler mit. Als sie 1992 in Rente ging, begann ihr reges Ehrenamt – bis heute. Auch ihre angeschlagene Gesundheit hindert die 79-Jährige nicht daran. Sie ist groß gewachsen, hat kurzes graues Haar und einen ernsten Blick, der ihre Entschlossenheit widerspiegelt.  

    Auch im Alter engagieren 

    Eine große Perspektive sieht sie in Menschen ihrer Generation. „Wenn ich die Tageszeitung aufschlage, sehe ich elf Angebote für Senioren – das ist auch gut so, dass sie ihre Freizeit aktiv gestalten. Aber Senioren können mehr tun. Indem sie ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung weitergeben. Wir Älteren müssen was tun – für uns und für die Gesellschaft, das sind wir ihr schuldig.“  Deutliche, ehrliche Worte – dafür ist Marianne Müller bekannt. Woher nimmt sie die Kraft? „Ganz einfach: Wenn ich irgendwann da oben bei Gott ankomme, werde ich gefragt: Was hast du getan, damit es anderen besser geht? Dann möchte ich sagen können: Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um zu helfen.“ Geholfen hat sie – nachhaltig. Mit ihren Projekten packt Marianne Müller die Prob­leme bei der Wurzel. Und sie versucht, die Initiativen, die sie anstößt, zum Selbstläufer zu machen. Dabei wird sie nicht müde, den Verantwortlichen an allen Orten zu Leibe zu rücken und hartnäckig ihre Vorschläge zu unterbreiten. Und schon einiges ist durch ihre Beharrlichkeit, Überzeugungskraft und ihre konstruktiven Ideen Realität geworden, wie das Projekt „Schüler-Zeit“, das seit zwei Jahren feste Wurzeln geschlagen hat. Rund 25 Ehrenamtliche – Senioren, Studenten und Berufstätige – nehmen sich jede Woche eine Stunde Zeit, um Grund- und Hauptschülern aus sozial schwachen Verhältnissen beim Lernen zu unterstützen. „Ein Mehrwert für die Helfenden ist garantiert“, erklärt Christine Hogrefe-Wirths. Seit einigen Monaten unterstützt sie den achtjährigen Artem bei den Hausaufgaben.  

    Ein tolles Lern-Team

    Der Stuhl kippelt, die Beine baumeln, keck grinst der Junge mit den großen braunen Augen sein Gegen­über an. Eineinhalb Stunden trifft sich Artem jeden Mittwochnachmittag in den Räumen der Ritaschwestern mit seiner Nachhilfe-Lehrerin. Christine Hogrefe-Wirths hat viele Jahre unterrichtet, Deutsch und Erdkunde in der Realschule Kitzingen. „Hast du das Arbeitsblatt dabei? Dann hole es mal bitte aus der Tasche.“ „Habe ich nicht dabei“, erklärt der Junge treuherzig und lächelt. „Soll ich mal nachsehen?“, die ehemalige Lehrerin gräbt die Hände tief in den Schulranzen. „Ich kenne die kleinen Tricks der Kinder. Artem ist nicht nur pfiffig im Lernen – er weiß auch, wie man das Lernen umgeht. Aber wir passen gut zusammen.“ Hohgrefe-Wirths beaufsichtigt noch ein Mädchen, ebenfalls am Mittwoch, eine Stunde lang. „Ich mache das gerne und es gibt mir viel. Bei Menschen in meinem Alter liegen viele Energien brach, sie haben Langeweile, sitzen vor dem Fernseher. Das hier hält mich jung und geistig fit. Ich möchte auch im Alter noch etwas Sinnvolles tun, solange ich gesund bin.“  Artems Augen funkeln sie an. Sie tun sich beide gut, der kleine Junge und die Seniorin. Artem bekommt an den Nachmittagen die Aufmerksamkeit, die daheim recht oft fehlt und seine Bereitschaft zum Lernen drückt. Der Junge aus Russ­land spricht fließend deutsch, auch zuhause mit seinem großen Bruder, wie er erklärt. Das freut seine Nachhilfelehrerin: „Es hilft ihm, wenn er dann auch hier mit mir die Sprache üben kann. Und wenn er in seinen Fächern gut lernt, bekommt er ab und zu von mir ein kleines Taschengeld.“  Die ehemalige Lehrerin fühlt sich auch im Kreis der „Schüler-Zeit“-Ehrenamtlichen wohl. Austausch und Verbindlichkeit mit den Verantwortlichen stehen dort ganz oben. Mit im Boot des Kooperationsprojektes sitzen die Goethe-Hauptschule und die Pfarrgemeinde St. Adalbero. Pastoralreferentin Claudia Walter und Lehrerin Helga Neudert, die auch verantwortlich für die Schulpastoral an der Goethe-Hauptschule ist, begleiten die Ehrenamtlichen. Im Sechs-Wochen-Rhythmus treffen sie sich und tauschen sich untereinander aus. Klassenlehrer, Eltern und Ehrenamtliche ziehen an einem Strang – vertraglich festgehalten.  

    Gemeinsam an einem Strick ziehen

    „Es lohnt sich für alle Seiten“, erläutert Helga Neudert. „Diejenigen, die was tun, ernten Anerkennung für ihren Dienst. Die Schüler bekommen durch die Einzelbetreuung ein Geschenk, das nicht selbstverständlich ist. Neben den Lerninhalten wird ihnen Wertschätzung entgegengebracht. Über das schulische Vorankommen hinaus ist dort jemand, der ihnen zuhört, fragt, wie es ihnen geht und mit dem sie außerhalb der Familie reden können. Das hilft den Kindern und Jugendlichen.“ Wichtig ist den Initiatorinnen auch, dass die Nachhilfe an einem neutralen Ort stattfindet – entweder in den Räumen der Goetheschule oder des Hortes der Max-Dauthendey-Schule, einige treffen sich auch bei den Ritaschwestern in der Sanderau. Marianne Müller freut sich, dass das Projekt läuft und so gut angenommen wird. „Frau Neudert und Frau Walter machen eine tolle Arbeit und ich bin froh, es in ihre Hände gegeben zu haben. So kann ich mich auf Neues konzentrieren.“ Für die Haupt- und Grundschüler, die die Nachhilfe in Anspruch nehmen, ist das ehrenamtliche Engagement ein großer Gewinn – denn eine kostenpflichtige Nachhilfe wäre für ihre Eltern nicht finanzierbar. Marianne Müller ist froh, das den Kindern auf diesem Weg eine Chance gegeben wird, lernen zu können. „Und da kann jeder Senior etwas dazu tun. Mit Kindern zu lernen, sie zu begleiten und zu unterstützen hält einen alten Menschen geistig fit.“  Da, wo eine ehrenamtlich engagierte Seniorin Durchhaltevermögen beweist, tun sich Behörden und Ämter oft schwer mit Fragen, wie „Auf welchem Weg kommt man an sozial schwache Familien heran? Was kann der Einzelne tun?“ Fragen, die auch Michael Deckert und Roland Giegerich in der Abteilung Soziale Dienste des Caritasverbandes in ihren Funktionen oft zu hören bekommen. Deckert, Leiter des Bereiches Katholische Kindertageseinrichtungen, hat einen klaren Standpunkt: „Man kann auch schon mit kleinen Hilfen den enormen Druck auf die sozial schwachen Familien etwas dämpfen. Was Eltern allein von Kindergärten abverlangt wird. Da wird vorausgesetzt: Buntstifte von Faber-Castell, ein Malkittel, eine Matschhose, und so weiter. Da würden auch billige Stifte genügen und ein altes Hemd vom Vater als Malkittel völlig ausreichen. Aber es muss das Teure sein.“ Weniger Verwaltungsaufwand, weniger augenscheinlich kleine Barrieren könnten helfen, erklärt Deckert. Oft erlebe er in seiner Arbeit einen hilflosen Umgang mit dem Thema – und die Leidtragenden seien am Ende die Kinder. Dieses Bild ziehe sich bereits durch die Generationen, erklärt Roland Giegerich, Leiter des Bereiches Jugend und Familie: „Man spricht von der Vererbung der Armut. Das wird sich in den nächsten Jahrzehnten noch stärker zeigen. Auch das Thema Bildungsarmut wird vererbt. Wenn Bildung in einer Familie keinen Stellenwert mehr hat, Eltern sich selbst schon als Verlierer erlebt haben, können sie es nicht positiv an ihre Kinder weitergeben.“  Wo sich der träge Behördenapparat nur langsam in Bewegung setzt, ist Marianne Müller schon wieder Meilen voraus. Sie hat bereits erkannt, dass man bei den Eltern ansetzen muss. Im Projekt „Fit für den Alltag“ kocht Marianne Müller mit – nicht selten alleinerziehenden – Frauen, die von Hartz IV leben. Mit Themen wie gesunder Ernäh­rung, Geldeinteilung und Zeitstrukturierung sollen die jungen Mütter „alltagstauglich“ gemacht werden. „Wir wollen versuchen, mit einer ganz persönlichen, behutsamen und liebevoll-konsequenten Begleitung zu helfen. Auch hier kann sich jeder rüstige Senior, jede rüstige Seniorin ehrenamtlich einbringen. Diese Frauen brauchen Anleitung, Begleitung und Unterstützung. Schon der Kinder wegen sollte man ihnen helfen.“ Viele solcher Kurse werden bereits von Kommunen und Wohlfahrtsverbänden angeboten. Aber nach den Erfahrungen von Marianne Müller werden die Hilfen nicht selten aus Unlust, Bequemlichkeit und Unsicherheit nicht genutzt. Das möchte sie ändern.  

    Gesund und einfach kochen

    Ein Kochkurs für Hartz IV-Empfängerinnen und ihre Kinder ist bereits erfolgreich gelaufen, ein neuer ist in Planung. Eine besondere Bedeutung für Mutter und Kind haben dabei die gemeinsamen Mahlzeiten, die für Gespräche und Tischsitten wichtig seien, erklärt Müller. „Wir hoffen, dass durch diesen Kurs manche Frauen befähigt werden, in ihrem nicht leichten Alltag zurechtzukommen, vielleicht auch eine Ausbildung, zum Beispiel als Hauswirtschafterin, anzustreben.“ Und auch dort setzt die Seniorin wieder auf ihre Generation. „Dafür brauchen wir dringend Paten, die die Jungen motivieren, begleiten, mir ihnen Deutsch lernen, sie auf Ämter begleiten. Jeder kann da etwas tun! Prävention, Lebenshilfe ist ein unerlässlicher Dienst an der Gesellschaft, den jeder leisten sollte – egal, wie alt er ist.“   Kontakt zum Projekt SchülerZeit: St. AdalberoTraubengasse 2797072 Würzburg Telefon (Marianne Müller): Montag bis Freitag 0931/73619 E-Mail: „Schueler-Zeit@gmx.de“, im Internet unter der Adresse: „www.Schueler-Zeit.de“.