Detektivarbeit gehört in die Hände der Polizei. Doch auch ein Familienforscher kann Licht ins Dunkel von Kriminalfällen bringen. So hat es Klaus Göbel erlebt. Der 64-Jährige wohnt in Werneck und erforscht seit rund 40 Jahren das Leben seiner Ahnen. Heute kann er diese Arbeit mit Hilfe des Internets erledigen. Denn viele benötigte Daten stehen im Netz. Auch Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg haben angefangen, Aufzeichnungen von Taufen, Trauungen und Todesfällen ins Internet zu stellen. Eine große Hilfe, findet Klaus Göbel. „Im Internet kann ich in Ruhe recherchieren. Ob es drei oder fünf Stunden dauert, ist egal.“ An Archivöffnungszeiten ist er nicht mehr gebunden.
Tödliche Begegnung
Wie spannend Familienforschung sein kann, erläutert Göbel am Beispiel einer schweren Straftat. Diese ließ ihn nicht ruhen, bis er die Hintergründe genau erkundet hatte. Alles begann mit einer über 100 Jahre alten Ortschronik von Gänheim. Bei der Lektüre stieß Göbel auf folgenden Vorgang: Am 10. Dezember 1800 hatte der Gänheimer Gemeindeschmied nachmittags im Rathaus einen Maurer mit einem Holzscheit erschlagen. Der Name des Schmieds, Michael Willacker, fiel Göbel sofort auf. Dank seiner bisherigen Forschungen wusste er, dass seine väterlichen Vorfahren diesen Namen getragen und in Gänheim gelebt hatten.
Göbels Neugier war geweckt. Im Stadtarchiv Arnstein und im Staatsarchiv Würzburg vertiefte er sich in Akten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Zwar fand er nicht den Grund heraus, warum sein wütender Vorfahr den tödlichen Schlag ausgeführt hatte. Die Gerichtsakten, die diese Frage vielleicht beantwortet hätten, sind nicht mehr erhalten.
Doch die Begleitumstände und Folgen der Tat konnte Göbel weitgehend rekonstruieren. Er erfuhr, dass sein Vorfahr im Dorf als aggressiver Zeitgenosse gefürchtet war. Seine Frau und Kinder stürzten durch seine Verhaftung in Armut und waren auf finanzielle Zuwendungen der Gemeinde angewiesen. Michael Willacker hätte für seine Tat acht Jahre Arrest absitzen müssen. Doch schon 1803 starb er im Würzburger Zuchthaus an „Abzehrung“. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof des Juliusspitals in Würzburg.
Manche Menschen reagieren geschockt, wenn sie verurteilte Straftäter in der eigenen Ahnenreihe entdecken. Klaus Göbel nimmt das gelassen hin. „Wenn man mit so etwas nicht klarkommt, sollte man Familienforschung sein lassen. Etwas Abstand muss man haben und auch die Zeitumstände betrachten.“ Er erklärt: Viele Menschen haben vor 225 Jahren in bitterer Armut gelebt, das förderte gewaltsame Konflikte.
Wenn Göbel wertvolle historische Akten sucht, findet er sie auch in Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg. Dort werden die Pfarrmatrikeln aufbewahrt. In diesen Kirchenbüchern hielten Pfarrer Geburten, Taufen und Sterbefälle in ihren Gemeinden schriftlich fest. Ohne solche Angaben könnten Familienforscher ihre Ahnenreihen nicht über Jahrhunderte zurückverfolgen. Denn Standesämter und staatliche Personenstandsregister gibt es in Deutschland erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Ergiebige Spurensuche
Der Totschlag von 1800 in Gänheim ist in den Pfarrmatrikeln des Bistums Würzburg dokumentiert. Die Sterbeeinträge von Opfer und Täter sind vorhanden. Ihre Herkunftsorte, Ehefrauen und Kinder lassen sich mit Hilfe der Matrikeln ermitteln. Göbel nennt solche Angaben das „Grundgerüst“ seiner Forschungen. Die Matrikeln enthalten außerdem Zusatzinformationen und Kommentare der Pfarrer, die die Kirchenbücher führten. Zum Beispiel schrieb ein Pfarrer auf, dass Willackers Waffe ein Holzscheit gewesen war.
In den 1980er Jahren wusste Göbel noch nicht so viel über seine Ahnen wie heute. Damals fing er gerade an mit der Spurensuche. Er fragte bei Verwandten herum und wertete private Dokumente aus. Weil er Geschmack am Abenteuer Familienforschung fand, zogen ihn bald die Pfarrmatrikeln an. Diese waren damals noch nicht zentral in Würzburg gelagert, sondern wurden verstreut über die ganze Diözese in Pfarrarchiven aufbewahrt. Göbel musste Termine mit Pfarrern vereinbaren und zeitaufwändige Fahrten unternehmen.
Vor Schäden geschützt
So wie er griffen viele Hobbyforscher auf die Kirchenbücher zu. Bände wurden beschädigt oder kamen abhanden. Daher ging die Diözese Würzburg um die Jahrtausendwende dazu über, Kirchenbücher in Archiv und Bibliothek des Bistums zusammenzuführen. Das Archivteam ließ Tausende Bände verfilmen, die Nutzer bekamen sie an Lesegeräten im Archivlesesaal zu sehen. Die wertvollen Originaldokumente waren jetzt vor Gebrauchsschäden geschützt.
Dass die Daten früher oder später ins Internet wandern, war absehbar. Seit dem 10. Dezember 2024 stehen die ersten 2000 Bände von insgesamt rund 6000 Matrikeln aus über 500 Pfarreien online bereit. Alle Nutzer haben kostenfreien Zugang über das Onlineportal data.matricula-online.eu/de/deutschland/wuerzburg. Derzeit stehen nur Kirchenbücher aus Gemeinden mit den Anfangsbuchstaben A wie Aidhausen bis G wie Großwenkheim sowie Schweinfurt und Würzburg online. Die weiteren Daten sollen bis Ende 2026 schrittweise und in alphabetischer Reihung folgen.
„Wir wollen den Nutzern den Zugang erleichtern, weil sie nicht alle aus Unterfranken kommen. Es gibt relativ viele Anfragen von Familienforschern aus Übersee, vor allem aus den USA, wohin im 19. Jahrhundert viele ausgewandert sind“, erklärt Christiane Landois von Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg. Sie ist für die Pflege der Pfarrarchive zuständig und vermittelt Grundkenntnisse über Familienforschung.
Wobei Pfarrmatrikeln nicht bloß für Familienforscher interessant sind. Wissenschaftler können mit Hilfe der Daten zum Beispiel Migrationsbewegungen oder Krankheitswellen nachgehen, erläutert Landois. Auch das durchschnittliche Heiratsalter oder die Kindersterblichkeit in einem bestimmten Zeitraum lassen sich so abschätzen.
Bewusst bringt das Team von Archiv und Bibliothek die Pfarrmatrikeln über die Plattform Matricula ins Internet. 18 katholische (Erz-)Bistümer nutzen das Portal, das seine Dienste kostenfrei anbietet. Klaus Göbel in Werneck kommt das zugute. Er will nach eigener Aussage weiter in alten Dokumenten nach Schicksalen fahnden. Dafür muss er kein Polizeibeamter sein.
Ulrich Bausewein
Matrikelrecherchen vor Ort sind weiterhin möglich in Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg, Domerschulstraße 17, 97070 Würzburg; Telefon: 0931 386-67100,E-Mail: abbw@bistum-wuerzburg.de.
Kirchliche Archive schützen persönliche Daten
Wo Menschen Daten verarbeiten, gelten Regeln für den Datenschutz. Daran sind auch die Archive der katholischen Kirche in Deutschland gebunden. Sie halten sich an Leitlinien, die von der Deutschen Bischofskonferenz vorgegeben sind. Demnach sind Taufeinträge in den Pfarrmatrikeln 120 Jahre lang geschützt. Bei Trauungen und Sterbefällen liegt die Frist bei jeweils 100 Jahren. Die Matrikeln des Bistums Würzburg, die über das Online-Portal Matricula abrufbar sind (siehe Artikel), müssen daher mindestens ein Jahrhundert alt sein. „Wir haben jedes digitalisierte Dokument angeschaut und auf die aktuellen Schutzfristen hin überprüft“, versichert Christiane Landois von Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg.
Neben den chronologisch geführten Matrikelbüchern haben manche Pfarrer Familien- oder Häuserbücher angelegt. In diesen Nachschlagewerken können Forscher gezielt nach Angehörigen einer Familie oder Bewohnern eines bestimmten Hauses suchen und ihre Daten finden. Das Problem: Reichen diese Nachschlagewerke bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, greifen die Schutzfristen und die Bände werden komplett gesperrt. Ähnlich verhält es sich mit alphabetisch geführten Namensverzeichnissen, die manche Matrikeln ergänzen. „Im Ernstfall kann ein solches Register von 1750 bis 1950 laufen“, erklärt Landois. Bei Familienforschern könne es Verdruss geben, wenn sie wegen der Schutzfristen an hilfreiche Dokumente nicht herankommen. Allerdings sei das nicht allein im Bistum Würzburg so. „Alle katholischen Archive sind an diese gesetzlichen Schutzfristen gebunden“, bekräftigt Landois.
Ulrich Bausewein