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      Der frühere Domorganist Paul Damjakob hat als Rentner eine zweite Karriere im Internet gestartet

      Mit Orgelklängen zum heimlichen YouTube-„Star“

      Paul Damjakob ist ein heimlicher YouTube-Star. Wenn man auf dem Videoportal durch den Kanal des 82-jährigen ehemaligen Domorganisten am Würzburger Kiliansdom hindurchscrollt, wird man immer fassungsloser: Sage und schreibe 164 Videos sind es, die der enorm rüstige Rentner hier momentan anbietet. Und die werden auch angenommen: Sie haben teilweise vier- bis fünstellige Abrufzahlen. Das sei noch lange nicht das Ende der Fahnenstange, versichert er munter.

      Zu beinahe jedem seiner Videos hat der Musiker eine Geschichte zu erzählen – wie zum Beispiel diese: „Die Geigerin Ella Bulatova sollte zu einer Hochzeit in Neumünster das Ave Maria, das ich komponiert hatte, auf der Geige spielen. Wir haben also geprobt, und dann sagte sie mir: ‚Ja, ist wunderschöne Stück – aber ist zu kurz!‘ Und als ich es dann das nächste Mal gemacht habe, mit einem Bariton, habe ich kurzerhand einen Teil mit einem Wiederholungszeichen versehen – und so ist es nun länger!“

      Von Schallplatte über CD zu YouTube

      Paul Damjakob, Domorganist von 1962 bis 2004, lacht herzlich bei dieser Erinnerung, und klickt sich auf dem riesigen Bildschirm, der die Wand seines Orgelzimmers ziert, durch die Videos auf seinem YouTube-Kanal, bis er zum entsprechenden Titel vorgedrungen ist: Sein Ave Maria, hier gespielt von ihm auf der Orgel, und gesungen von seiner 2008 verstorbenen Gattin, der Sopranistin und Pianistin Ros­witha Damjakob-Albert.

      „Mit Schallplatten fing ich an“, erinnert er sich. Anschließend seien die CDs aufgekommen. „Da war ich zuerst enttäuscht, weil ich dachte, naja, so ein kleines Ding, wenn man das Weihnachten in der Hand hat, das ist wie eine Tafel Schokolade!“ Doch es half ja nichts: Auch er musste umsatteln.

      Inzwischen ist auch die CD vom Aussterben bedroht. „Mein Tontechniker, der hat mir erklärt, die Leute machen heute alles mit dem Handy, und deshalb muss das auf YouTube.“ Und da der Unruheständler Damjakob schon immer spontan war, eröffnete er an seinem 73. Geburtstag seinen eigenen YouTube-Kanal. Das war im Dezember 2012 . „Jetzt kann man die Sachen ins Netz stellen, keiner braucht mehr zur Post zu gehen, Adresse schreiben, einpacken …“, schwärmt er.

      Musik mit Geschichten

      Auf der Musikplattform findet man einen doch recht umfassenden Überblick über Damjakobs musikalisches und persönliches Leben: Unzählige Begleitungen zu oder Improvisationen über Kirchenlieder, Fugen und Präludien, Oden, Hymnen, Märsche, Fanfaren, frisch improvisiert oder auch schon notiert, und schließlich auch Literatur, etwa von Bach, Reger oder Dupre.

      Oder die Aufnahmen seiner Orgelkünste, die Damjakob aus den Tonbändern der deutschen Synode, die in den 1970er Jahren im Würzburger Dom stattfand, geschnitten hat, und zu denen er ebenfalls Geschichten liefert: „Im Dom saß auch Herr Scheele, damals Weihbischof in Paderborn – und langweilte sich“, berichtet er. „Und sein Freund, ein Pallotiner, erzählte mir: Der Bischof Scheele habe ihm gesagt, diese Synode sei furchtbar, da müsse man den ganzen Tag sitzen und Vorträge anhören. Das Einzige, was ihm die Fahrt nach Würzburg erträglich mache, sei der Organist dort. – Da freute ich mich!“ Weder er noch Scheele hätten damals ahnen können, dass letzterer ein Jahr später Bischof von Würzburg werden würde. „Solche Geschichten – ist das nicht herrlich?“

      Kardinal Döpfner und Co.

      Und dann die Erinnerungen an Kardinal Döpfner, den Damjakob aus seiner Zeit in Berlin kannte, bevor Döpfner nach München kam — und zur Synode nach Würzburg. Man kann da nun Damjakobs Ouvertüre C-Dur hören, und auch die An- und Absage Döpfners dazu, sowie dessen Applaus; alles mit aufgenommen.

      Natürlich handelt es sich bei den Stücken nicht per se um Videos; zu solchen werden sie erst, wenn wechselnde Bilder über die Musik gelegt werden. Und da ist Damjakob sehr kreativ: Bilder aus seinem Leben, an diversen Orgeln – allen voran seiner geliebten Domorgel, an deren Konzeption er maßgeblich mitgewirkt hatte –, aber auch an seiner Hausorgel. An der auch immer wieder Gäste abgelichtet wurden, von Kultusminister Hans Maier über den Organisten Jean Langlais, bis hin zu diversen Würzburger Bischöfen. Auch Briefe oder E-Mails zeigt er, etwa das Schreiben, in dem sich der emeritierte Papst Benedikt für eine CD bedankte – und das immer auf der Hausorgel thront; dazu Zeitungsartikel, Plattencover et cetera. Was man in den Videos sieht, ist also mehr als Dekoration; es ist das Zeugnis eines erfüllten Musikerlebens.

      Mit etwas Hilfe und Teamviewer

      Beim Hochladen sei er allerdings auf Hilfe angewiesen, gesteht der gebürtige Niederländer. „Ich kann am Computer E-Mails schreiben, auch Noten setzen, aber sonst nicht so viel.“ Zuerst unterstützte ihn Johannes Martin, Tontechniker des CD-Labels Conventus Musicus Münsterschwarzach. Inzwischen hat dessen Bruder Christoph übernommen.

      Damjakob sucht die Stücke von Schallplatten und CDs aus, dazu Fotos, die Martin dann über die Musik legt. „Wir machen das mit Teamviewer und am Telefon. Und dann plaudern wir, er schiebt die Bilder hin und her, und ich sage nein, ein bisschen mehr links, oder genau auf den Takt oder so“, berichtet er.

      Teamviewer sei freilich eine kostspielige App, und auch Christoph Martin müsse ja bezahlt werden, – „Ich habe gerade schon wieder Schulden bei ihm!“, fällt ihm spontan ein. „Aber ich bin ja allein, ich habe keine Frau mehr, keine Kinder. Und es ist was Gescheites, es bleibt Musik, die sonst verschwinden würde!“

      Ein Verlustgeschäft

      Immerhin: Ab und an bekäme er kleinere Summen von der GEMA, wenn genügend Leute die Videos angesehen hätten. Trotzdem bleibt es für ihn ein Verlustgeschäft. „Ich investiere meine Rente in YouTube!“, stöhnt er, wenngleich schmunzelnd.

      Aber neben der Erhaltung seiner Musik für die Nachwelt hat das YouTuben auch einen sozialen Aspekt: „Es ist inzwischen eine Art der Kommunikation, denn ich kann ja den Leuten, die da Kommentare schreiben, antworten. Und dann antworten die wieder…“ Auch alte Bekannte habe er so wieder getroffen. „Und da waren auch so fünf oder sechs Meckerer, geradezu unverschämt, die haben mir Daumen nach unten gegeben“, empört er sich. „Aber das habe ich stehen lassen, denn das mit dem Löschen, das kann ich nicht …“ Grinsend fügt er hinzu: „Und wenn da hundert positive Kommentare stünden, dürfen auch mal zehn negative bleiben.“

      Inzwischen kommuniziere er fast mehr über YouTube als über Telefon oder persönlich. Gefragt, wie viel Zeit er denn in diese Aktivitäten investiere, muss er nicht lange überlegen: „Na, mein ganzes Leben jetzt! Ich habe ja sonst nur mal gelegentlich in der Marienkapelle zu spielen. Aber bei den Videos kann man ständig etwas verbessern, zum Beispiel bei den Kommentaren.“ Da stehen die Geschichten – die allerdings noch besser wirken, wenn Damjakob sie selbst erzählt.

      „Du meine Seele singe“ – online

      Etwa so: „Da hatte der Bund Deutscher Orgelbaumeister 100-jähriges Jubiläum, und das war vom Schicksal mal wieder so ein Blumenstrauß, der mir da auf den Schoß geknallt wurde.“ So koloriert er etwa das Video „Du meine Seele singe“. Da habe er im Gottesdienst drei Strophen zu spielen gehabt. „Ich dachte also, ich spiele Präludium, Trio, und dann haue ich noch eine Fuge hinterher. Und bei der Fuge kam mir: Mensch, du hast die Vox coelestis noch gar nicht benutzt! Die musste dann also auch noch rein!“ Zwischendurch aber natürlich die Strophen, die von den Orgelbauern gesungen wurden. „Und dann jede Strophe etwas anders, zum Beispiel in der zweiten das Wort ‚Ungetrübt‘: Da habe ich vorher einen Moll-Akkord, bei ‚Ungetrübt‘ dann Dur – und so war der Schlussakkord dann ungetrübt!“, freut er sich, und führt das Video gleich vor.

      Beim YouTuben ist Paul Damjakob kaum zu bremsen. – Ob es ihm irgendwann mal reichen werde? Die Frage befindet er einer Antwort gar nicht für wert. Stattdessen begeistert er sich für die nächsten Projekte: „Meinen Abschied als Domorganist, den habe ich auf einem Stick, sonst würde das der Computer nicht fassen, da hat Weihbischof Helmut Bauer wirklich rhe­torisch alles rausgelassen, in seiner Laudatio! Und ich muss einmal mit Herrn Martin reden, wie wir das machen, denn das ist so lang. Aber vielleicht geht es in mehreren Teilen …“

      Andrea Braun