Die Faszination, die der Jakobsweg auf die Menschen ausübt, scheint von Jahr zu Jahr zuzunehmen. Waren es in den 70er Jahren jährlich noch zwischen 100 und 400 Pilger, die sich auf den Weg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela machten, wurden 2018 über 300000 Pilger registriert. Darunter sind immer wieder auch Prominente, die hinterher ein Buch darüber schreiben – etwa Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ – oder Filmemacher, die einen Film drehen. Kinder allerdings trifft man auf dem Camino selten bis überhaupt nicht. Eva Forst ließ sich davon aber nicht beirren und war mit Sohn Alexander im September zweieinhalb Wochen auf dem Jakobsweg unterwegs.
Zunächst war das so gar nicht geplant. Als sie im Januar mit ihrem Sohn auf dem Weg zum Schwimmkurs an einem Plakat mit Werbung für einen Bildervortrag über den Jakobsweg vorbeikam, sagte Alexander: „Mama, das müssen wir auch machen“. Die wiegelte aber zunächst ab: „Das machen wir, wenn du mal ein bisschen größer bist“. Dann wurde sie aber kurz darauf im Kindergarten von einer Erzieherin mit den Worten begrüßt: „Wir haben gehört, dass sie mit dem Alexander den Jakobsweg laufen.“
Der Druck auf sie wuchs. Und als Alexander ihr dann während eines Kurzurlaubs bewies, dass er ordentlich laufen kann, entschied sie, es doch mal zu versuchen. Allerdings, so erzählt Alexander, hätten sie dann doch noch ein bisschen üben müssen: „Wir sind ein paar bergige Strecken gelaufen.” Zum Glück sei ja der Spessart nicht weit, meint seine Mutter.
Gestartet sind die beiden dann in der Stadt Porto in Portugal auf dem sogenannten „kleinen Camino“. Der Weg verläuft dort relativ eben und ist deshalb für einen Vierjährigen ganz gut zu bewältigen. Zehn bis zwölf Kilometer waren sie täglich auf Schusters Rappen unterwegs, auch wenn das Gespann zwischendurch die eine oder andere Pause einlegen musste. So waren sie immer ganz gemütliche fünf bis sechs Stunden unterwegs. Nach der Ankunft am Etappenziel verblieb dann auch immer noch genügend Zeit, sich den jeweiligen Ort anzusehen oder am Strand zu spielen. „Am ersten Tag im Meer baden“, sagt Alexander auch ohne zu überlegen, wenn man ihn fragt, was denn am schönsten war. Er habe tapfer durchgehalten und nie Blasen an den Füßen gehabt, berichtet er stolz. Aber er gibt schon zu, dass er manchmal ein bisschen gejammert habe. Dann war als letztes Mittel die Bitte an die Mama: „Ich möchte auf den Arm.” Auf die Frage, was man denn so alles mitnehmen müsse, sagt er: „Einen Rucksack und ganz viel zu trinken, aber mehr braucht man eigentlich nicht.” Das reicht aber nur, wenn man eine Mama dabei hat, die in ihrem Rucksack die Kleider, den Proviant und was man sonst noch so braucht, gepackt hat und die einen zur Not auch mal ein Stückchen trägt.
Unterwegs haben die beiden Pilger dann jede Menge Leute kennengelernt. Weil man Kindern auf dem Jakobsweg so gut wie nie begegnet, wurden sie oft von Neugierigen angesprochen. Eva Forst erinnert sich noch immer begeistert an eine Begegnung in einer Seilbahngondel. Da wollte Alexander wissen, wie denn diese Bahn funktioniere und zufällig war ein Schweizer mit in der Kabine, der ihm dann ausführlich alles erklärt hat. Überhaupt seien sie nie wirklich allein gewesen: „Jeden Abend sind wir mit jemand anderem Essen gewesen oder haben in der Unterkunft zusammen gekocht“, erzählt Eva Forst. So entstanden oft internationale Gemeinschaften, wenn beispielsweise Deutsche, Brasilianer und Portugiesen miteinander am Tisch saßen und einen schönen Abend miteinander verlebten.
Das Essen in Portugal hat Alexander allerdings nicht immer geschmeckt, wie er zugibt. Besonders die „viel zu fettigen Pommes“ wird er in schlechter Erinnerung behalten. Dafür hat er unterwegs „Suppe essen“ für sich entdeckt. „Als wir zurück waren, hat er sich zwei Wochen lang nur Suppe gewünscht“, erzählt seine Mama. Nach rund 140 Kilometern kamen die beiden Wanderer dann in dem von ihnen vorher festgelegten Zielort Valença an der Grenze zu Spanien an. Dort konnten sie drei Tage ausruhen, bevor sie die Heimreise antraten.
Natürlich war Eva Forst vor Reiseantritt etwas aufgeregt, schließlich geht man nicht immer mit einem Vierjährigen auf Wanderschaft. Klappt alles? Wie ist es mit der Versorgung? Bleibt Alexander gesund? Solche Fragen beschäftigten sie im Vorfeld. Jetzt, nach der langen Reise, kann sie sagen, dass alles großartig geklappt hat. „Wir haben von Tag zu Tag immer mehr gemerkt: Dass macht Spaß.” Für sie waren die zweieinhalb Wochen eine sehr intensive Zeit, in der sie gut entschleunigen und den Alltag hinter sich lassen konnten. Außerdem bewertet sie die Tour auch als wertvoll für die Mutter-Kind-Beziehung. „Wir sind als Team noch stärker zusammengewachsen“, stellt sie fest. Deswegen sei für sie jetzt schon klar, dass sie im Herbst nächsten Jahres den zweiten Teil der Strecke bis nach Santiago gehen.
Burkard Vogt