Evangelium
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.
Johannes 20,1–9
Beim ersten Blick aufs Osterevangelium, welches als erstes in der Leseordnung der Liturgie für den Ostersonntag steht, kann man eigentlich nur enttäuscht sein, weil da nichts von Auferstehung steht. Sieht man aber genauer hin, macht sich auf den Weg, so kommt man durch das „vierfache Sehen“ auch zur tiefen Schau, hinter der der Glauben an die Auferstehung stehen kann.
Hangeln wir uns einfach an den verschiedenen Weisen des Sehens von Maria von Magdala, Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, entlang. Denn diese zwei Jünger und die Jüngerin stehen auch für unsere Wahrnehmungen der Wirklichkeiten unseres Lebens.
Marias erster Blick, frühmorgens am ersten Tag der Woche, gleicht oft meinem Blick am Morgen des Sonntags. Ich sehe, dass nur noch maximal zehn Prozent unserer Christen vor Ort zum Gottesdienst kommen und laufe schnell zu den anderen Verantwortlichen in der Gemeinde, um den Schwund der Kirchgänger zu besprechen: „Man geht nicht mehr so oft und regelmäßig in die Kirche, und wir wissen nicht, was wir dagegen tun sollen!“ ist da die erste Sichtweise. Dann kommt Wallung auf: zwei, drei, ein Gremium macht sich auf den Weg, um das Gesehene zu besprechen. Es werden oft in einem planlosen Wettlauf Strategien entwickelt, die nichts bringen, um dann die Misere von neuem festzustellen. Dann begibt sich manchmal der Gemeindeleiter in die Höhle des Löwen, sieht das, was vorher schon festgestellt wurde, theoretisiert noch ein wenig, ordnet den Status quo – und das war`s dann auch schon wieder.
Alles vordergründige Hinsehen auf die Problematik scheint uns im Augenblick in unserer Kirche nicht weiterzuhelfen. Uns geht es wie den Jüngern am leeren Grab beim ersten Blick.
Und jetzt kommt der andere Jünger, der, den Jesus liebte, und über ihn sagt das Evangelium: „Er sah und glaubte.“ Dieses Sehen des geliebten Jüngers wird zur Schau, zum Durchblicken aufgrund der Liebe, die er von Jesus zu Lebzeiten geschenkt bekommen hat.
Auferweckung spüren die, die tiefgründig mit ihrem „inneren Auge“ schauen lernen. Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar – so beschreibt Antoine de Saint-Exupéry die Wirklichkeit des Schauens tiefgründiger Wahrheiten.
Wenn wir an Ostern wieder neu anfangen, tiefer zu schauen, nicht nur die mit unseren sechs Sinnen wahrnehmbaren Wirklichkeiten für wahr halten, dann können wir zu „Schaumenschen“ werden wie der geliebte Jünger Johannes. Denn wir sind gleichermaßen von Gott geliebt, weil er uns als sein Abbild erschaffen hat und uns durch seinen Sohn Jesus Christus die Wirklichkeit seines Himmels auf unserer Erde vor unsere inneren Augen gestellt hat.
In der Nachfolge Jesu werden wir im Blick auf die Realitäten unseres Lebens, in der Liebe zu unseren Mitmenschen und zu Gott, zur Auferstehung kommen können, die uns verheißen ist, weil Gott seinen Christus auferweckt und ihm neues und ewiges Leben geschenkt hat.
Frohe Ostern heißt für mich deshalb, dass ich, auch, wenn ich wie Johannes vordergründig nichts sehe, mit den Augen des Herzens zur Schau Gottes in meinem Leben kommen kann und somit zum Glauben an die Auferweckung durch Gott.
Der Autor ist Pastoralreferent in der Pfarreiengemeinschaft Oberer Sinngrund und Referent für die Wort-Gottes-Feier.