In jener Zeit versammelten sich die Apostel, die Jesus ausgesandt hatte, wieder bei ihm und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.
Markus 6,30–34
Der Traum aller Prediger: Die Menschen kommen in Scharen und wollen nichts als zuhören ...! Die Menschen im heutigen Evangelium laufen diesem Jesus in die Einsamkeit nach, nur um seine Lehre zu hören. Das, was Jesus zu den Menschen gesprochen hat, muss ihnen so zu Herzen gegangen sein, dass sie daraus neue Kraft schöpfen konnten.
Ich stelle mir vor, dass diese Menschen damals ganz ähnlich auf der Suche waren wie wir heute: In einer Welt (damals wie heute), die immer unsicherer zu werden scheint, in der alte Werte sich wandeln und neue erst entstehen müssen, suchen wir nach Wegweisung, nach Hilfe bei Entscheidungen, was richtig oder falsch ist. Ich denke da an die vielen Diskussionen um soziale Gerechtigkeit und medizinische Ethik, aber auch an die vielen Freiheiten, die wir heute haben, was den Lebensstil angeht. Zwar gibt es heute so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, sich über alle Themen und zu allen Fragen zu informieren, doch macht das die Suche nach richtigen Antworten oft noch schwerer. Ich fühle mich manchmal regelrecht überschwemmt von der Nachrichtenflut und den Problemen der Welt, die ich ja doch nicht lösen kann. Der Schritt in die Resignation ist nicht mehr weit: Wozu sich mit sozialen und ethischen Problemen herumschlagen, wenn doch der eigene Alltag anstrengend genug ist. Wozu nach dem Lebenssinn fragen, wenn heute Nachmittag noch zwei Termine anstehen und noch fünf wichtige Dinge erledigt werden müssen ...
Im Gegensatz dazu imponieren mir die vielen Menschen, die Jesus so weit nachlaufen, ganz schön. Sie haben ihre Suche noch nicht aufgegeben, sie wollen noch etwas mitnehmen für sich – und werden von Jesus darin bestärkt, denn er gibt ihrem Drängen nach, obwohl er doch eigentlich ausruhen wollte. Diese Menschen haben sich trotz all ihrer Arbeit (die sie ja sicher am nächsten Tag nachholen mussten) auf den Weg gemacht, um sich Antworten zu holen. Wie Schafe ohne Hirte – ? Ja, aber solche, die nicht nur darauf warten, zu den nächsten Weideplätzen weitergetrieben zu werden, sondern sich selbst auf die Suche nach Stärkung machen.
Was wird Jesus diesen Menschen mitgegeben haben? Zwar steht das an dieser Stelle bei Markus nicht, doch wissen wir aus den Evangelien von der Lehre Jesu: Er erzählte den Menschen in verschiedenen Bildern und Geschichten von einem liebenden Gott, der die Menschen annimmt, so wie sie sind. Vielleicht sprach er bei dieser Gelegenheit auch von Gott, der für die Menschen da ist wie ein guter Hirte. „Der Herr ist mein Hirte...“ heißt es im Psalm 23, der den Zuhörern Jesu sicher bekannt war – so wie dieses Bildwort auch uns heute vertraut ist: „Mein Hirt ist Gott der Herr, er will mich immer weiden.“ Im Johannes-Evangelium schließlich bezeichnet sich Jesus selbst als den guten Hirten, der für seine Herde da ist. Das ist für mich ein sehr tröstliches Bild. Es gibt mir die Hoffnung und Zuversicht, dass es da jemanden gibt, dem ich mein Leben anvertrauen kann, der mich führen wird, wenn ich nicht mehr weiter weiß.
Der ganz normale Alltags-Stress wird dadurch nicht kleiner, und nach wie vor fallen die Antworten auf die vielen Lebensfragen nicht vom Himmel. Aber die Gewissheit, dass Gott bei mir ist und mich behütet, macht es mir zum Beispiel leichter, die Unsicherheit zu ertragen, ob eine getroffene Entscheidung auch die richtige war.
Und sicher gilt das Bild vom guten Hirten doch erst recht im Bezug auf unsere Kirche: Auch wenn immer mehr Gemeinden ohne Priester auskommen müssen, sind sie doch nicht ohne Hirte, denn Jesus selbst will ja unser Hirte sein. Mag sein, dass sich die „Herde“ erst zusammenraufen muss, um Gottes Führung als Gemeinschaft erleben zu können, aber vielleicht ist das ja gerade der Sinn dabei: Dass wir uns wie die Menschen damals, die Jesus folgten, auch heute noch und immer wieder neu von Jesus lehren und leiten lassen.
Die Autorin ist Pastoralreferentin und arbeitet als Familienseelsorgerin im Dekanat Würzburg rechts des Mains.