17 Jahre lang, seit seinem ersten Urlaub in Kanada, spukte Thomas Bathelt die Idee „Auswandern“ im Kopf herum. Seit September lebt er mit Ehefrau Martina in Kanada. Vorangegangen waren viele Kanada-Reisen, der Besuch einer Job-Börse in Leipzig sowie einige Gespräche mit Martina Blomberger, die in Würzburg für das Raphaelswerk Auswanderungswillige berät. Über vier Monate hinweg hat sie die Familie aus Zell begleitet und unterstützt.
„Die Familie Bathelt ist natürlich fast ein Idealfall“, findet Martina Blomberger, denn alle Familienmitglieder kannten das Land, in das sie auswandern wollten, und haben auch ausreichende Sprachkenntnisse – beides nicht ganz unwesentliche Faktoren für den Erfolg einer Auswanderung, aber dennoch nicht selbstverständlich: „Es kommt immer wieder vor, dass Menschen auswandern möchten und das entsprechende Land noch nie vorher gesehen haben – und dabei leben wir heute ja nicht mehr in Zeiten, in der eine Reise nach Übersee Monate dauert und Leib und Leben gefährdet.“
Nach wie vor sind meist die „klassischen“ Einwanderungsländer, etwa die USA und Kanada, das Ziel der Auswanderungswilligen, in Europa stehen Spanien und die Schweiz ganz oben auf der Wunschliste. Zu Martina Blomberger kommen die Menschen, wenn die Idee „Auswandern“ sich zu konkretisieren beginnt und man Informationen braucht: Wie sehen die Visa-Vorschriften aus? Gibt es eine staatliche Krankenversicherung? Welche Auswirkungen gibt es auf meine Rente? Wie ist das Schulsystem? Und wird meine Ausbildung überhaupt anerkannt? Martina Blomberger hilft aber auch, diejenigen Fragen aufzuzeigen, die der Betroffene selbst noch gar nicht stellen kann. Und das können auch durchaus einmal Fragen sein, die nicht das Organisatorische betreffen, sondern die emotionale Komponente. Wie wird es sich zum Beispiel anfühlen, an irgendeinem Mittwochabend nach Hause zu kommen und sich zu denken: Wäre ich in Deutschland, würde ich jetzt zu meinem Stammtisch gehen? Auch wenn es auf solche Fragen im Vorfeld keine Antwort gibt und geben kann, sollte man zumindest wissen, dass sie existieren und dass man damit konfrontiert sein wird. Deswegen gibt sie auch öfter den Hinweis auf die erste Krise, die sich bei Auswanderern sechs bis neun Monate nach der Ankunft einstellen kann. Denn dann ist die erste Euphorie verflogen, die Eindrücke haben sich „gesetzt“ und das Vermissen und Vergleichen beginnt. „Wer weiß, dass das ein völlig normaler Teil des Einwanderungsprozesses ist, steht diese Krise vielleicht eher durch und gibt sich selbst die nötige Zeit“, glaubt die Beraterin.
Höhere Lebensqualität
Was bewegt die Menschen überhaupt, ihr gesamtes bisheriges Leben aufzugeben und anderswo noch einmal neu anzufangen? Da gibt es immer mehrere Gründe, weiß Martina Blomberger, und nicht immer seien einem alle Gründe bewusst. Bei Familie Bathelt spielte der Komplex „Lebensqualität“ eine große Rolle – und da insbesondere Natur und Freizeitmöglichkeiten. Die Städte übervölkert, an den Baggerseen Verbotsschilder, Zäune und Schlösser, so empfinden sie Deutschland, während in Kanada Natur vorhanden und zugänglich ist und man „seine Freizeit auch noch richtig genießen kann“. „Manchmal spielt auch Abenteuerlust eine Rolle“, erzählt die Beraterin, „und manchmal wollen die Menschen einfach etwas Neues kennen lernen und sich selbst erproben.“ Zukunftsängste
Allerdings: Seit Hartz IV stelle sie auch fest, dass mehr Menschen aus der Grundsicherung heraus auswandern wollen, weil sie in Deutschland keine Perspektive für sich sehen. Einige haben auch Angst um den Arbeitsplatz oder die berufliche Zukunft ihrer Kinder. Tatsächlich kann, wer in Deutschland als „zu alt“ für den Arbeitsmarkt gilt, in Kanada durchaus noch gute Chancen haben. Wer aus solchen Gründen geht, sollte jedoch wissen: „Es gibt kein Paradies“, wie Martina Blomberger es formuliert. Sicherlich könne es in einem anderen Land, objektiv betrachtet, in mancherlei Hinsicht besser oder leichter sein. Wer jedoch dazu neigt, sich ganz grundsätzlich vom Leben betrogen zu fühlen und zu glauben, er bekomme nie, was ihm eigentlich zusteht, der kann dieses Gefühl auch in einem anderen Land entwickeln, gibt die Beraterin zu bedenken, denn in diesem Fall ist Unzufriedenheit nicht nur in äußeren Umständen, sondern auch in der Persönlichkeitsstruktur begründet. Deswegen seien, neben vorangegangenen Reisen und guten Sprachkenntnissen, auch Offenheit und die Bereitschaft, sich auf etwas Neues wirklich einzulassen, wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Auswanderung. Das Raphaels-Werk
Das Raphales-Werk e. V. ist ein Fachverband des Deutschen Caritasverbandes und berät Auswanderer, Auslandstätige, Flüchtlinge, binationale Paare und Rückkehrer. In Würzburg befindet sich die diözesane Beratungsstelle in der Franziskanergasse 3. Telefonische Terminvereinbarung Mo (15-17 Uhr), Di und Do (9-12 Uhr), Mi (15-18 Uhr): 09 31/3 86-66 782.Zentrale Onlineberatung unter: „www.raphaels-werk.de“.