"Ich möchte unbedingt die Grotte sehen, wo die Muttergottes erschienen ist.“ Die Zungenspitze ruht konzentriert im Mundwinkel, als Jonas Stenger (9) versucht, die Perlen auf den Faden aufzuziehen. Schwierig, wenn der Zug, in dem man sitzt, 130 Stundenkilometer schnell fährt und ruckelt. Von Anfang an war der Jüngste der Familie Stenger aus Schimborn (Dekanat Alzenau) Feuer und Flamme für die Pilgerfahrt der Diözese Würzburg; neugierig auf die Geschichte der 14-jährigen Bernadette Soubirous und auf die Geschehnissen an der Grotte Massabielle in Lourdes. „Dem Mädchen ist ja ganz oft die Muttergottes dort erschienen. Da möchte ich hin und mir das mal ansehen.“ Mit seinen Eltern Daniela (39) und Alfred (43) Stenger und seinen älteren Brüdern Manuel (14) und Tobias (11) ist er nun auf dem Weg in einen etwas anderen Familienurlaub, denn „Mallorca kannste immer haben. Das hier ist was Besonderes“, sagt Daniela Stenger zwinkernd.
Gemeinschaftlich pilgern
„Wir fahren nur mit, wenn da auch andere Kinder sind, die wir kennen.“ An dieser Bedingung seitens ihrer Kinder Felix (11) und Luisa (14) war nicht zu rütteln, als Rita (36) und Andreas Hornung (39) überlegten, ihren diesjährigen Familienurlaub mit der großen Familienwallfahrt der Diözese Würzburg nach Lourdes zu verbinden. „Das Programm klang abwechslungsreich. Mal eine ganz andere Art, Familienurlaub zu machen“, begründet Rita Hornung die Entscheidung. Auch die Hornungs sind in Schimborn zuhause. Schnell hat es in dem 1300-Seelendorf die Runde gemacht, wer mit nach Lourdes fährt, und die Familien Stenger und Hornung taten sich zusammen. Manuel Stenger war anfangs skeptisch, ob das denn wohl „nicht ein bisschen zuviel Kirche wird, da in Lourdes“. Dann entschied er sich aber doch für die Wallfahrt und gegen die Alternative, an einem Triathlon der Schönstattjugend in Köln teilzunehmen.
Bei strahlendem Sonnenschein und heißen 28 Grad am nächsten Mittag in Lourdes angekommen, geht es nachmittags zunächst zum Eröffnungsgottesdienst in die Rosenkranz-Basilika im Heiligen Bezirk. Bischof Friedhelm hat neugierig auf das Wunder von Lourdes gemacht, indem er den Kindern und Jugendlichen in seiner Predigt erklärt hat, dass an diesem Ort der Himmel die Erde berühre. Der Heilige Geist wehe dort, auch wenn er nicht alle Kranken gesund mache, so gebe er doch seelische Kraft und Freude. Danach verschaffen sich die zwei Familien zunächst beim Rundgang durch die Straßen einen kleinen Überblick.
Inmitten Tausender
Am Morgen des nächsten Tages bekommen die neun Pilger aus Unterfranken einen ersten Eindruck von den riesigen Dimensionen der Stätten im Heiligen Bezirk. In der unterirdischen Basilika St. Pius X. findet gerade ein internationaler Gottesdienst statt – inmitten von rund 20000 Gläubigen nehmen die Stengers und Hornungs daran teil. Ins Auge fällt den neun Pilgern sofort die große Anzahl von Menschen mit Behinderung und von Kranken in Rollstühlen, die von Pflegepersonal und ehrenamtlichen Helfern des Malteser-Ordens über das Gelände geführt oder geschoben werden. „Ein Ort der Gemeinschaft und Nächstenliebe – das spüren auch unsere Kinder. Ich bin stolz, wie gut sich alle fünf untereinander hier verstehen und sich gegenseitig helfen“, sagt Rita Hornung lächelnd.Abwechslung gibt es für die Hornungs und Stengers am Nachmittag. Da heißt es: Kultur tanken mit Bischof Friedhelm, der persönlich in die Rolle des Fremdenführers schlüpft und die Familien selbst durch die Kirche Saint Savin mit ihren dicken romanischen Mauern in der Nähe von Lourdes führt. Geduldig beantwortet er jede Kinderfrage.
Alfred Stenger findet das bemerkenswert. „In unserer Kindheit war der Bischof noch eine Art Institution. Man hatte Ehrfurcht vor ihm, vor dem ,Herrn Bischof‘ eben. Für unsere Kinder ist Bischof Friedhelm auf einer Augenhöhe, schon jetzt ist er der Bischof, mit dem sie im Zugabteil gesessen haben und der mit ihnen eine Kirchenführung gemacht hat. Klasse!“ Als dann beim Badeausflug im Freibad auch noch ein Eis im Namen des Bischofs ausgegeben wird, hat er die Herzen der Kinder und Jugendlichen endgültig erobert. „Ich find ihn prima“, erklärt Jonas Eis schleckend.
Insgesamt sind rund 850 große und kleine, alte und junge Pilger, vorrangig aus der Diözese, mit den zwei Sonderzügen nach Lourdes gekommen. „Die Plätze in beiden Sonderzügen war schon nach wenigen Tagen ausgebucht“, freut sich Bischof Friedhelm über die große Resonanz.
Devotionalienbummel
Beim abendlichen Bummel durch die Straßen der 15000-Einwohner-Stadt wird die Dimension des Pilger-Tourismus sichtbar. Blinkende, neonfarbene Werbeflächen locken ins Innere der mit Devotionalien überfrachteten Ladenlokale. „Hier ist er Gipfel der Geschmacklosigkeit“, sagt Alfred Stenger und schwenkt einen silbernen runden Flaschenöffner. „Schaut mal – da ist das Bild der Grotte drauf – das geht doch wohl gar nicht.“ Kopfschütteln vom Familienvater, aber auch ein Grinsen kann er sich nicht verkneifen. „Tja, die leben halt davon.“ Sein Sohn Jonas füllt unterdessen die Kasse des Devotionalienhändlers: Eine zehn Zentimeter große Madonnenfigur soll es sein, vom Wallfahrtsgeld gekauft, das Opa und Oma spendiert haben. Luisa hält sich zurück beim Einkauf, gerade mal zwei Postkarten nimmt sie mit für die daheim Gebliebenen.
Einbringen und Mitmachen
Am nächsten Tag laufen die Familien zunächst die Orte im Stadtkern von Lourdes ab, an denen Bernadette Soubirous mit ihrer Familie im 19 Jahrhundert gelebt hat. Dann ist ein Schafstall im fünf Kilometer entfernten Örtchen Bartres das Ziel. Dort, wo das junge Mädchen einst Schafe hütete, feiert die Pilgergruppe einen großen Gottesdienst unter freiem Himmel. Wie auch schon in den Gottesdiensten zuvor werden die Kinder in die Messe am Schafstall mit einbezogen. Jonas entschließt sich kurzerhand, vor den vielen im Gras sitzenden Familien eine Fürbitte vorzutragen. „Habe ich schon oft gemacht,“ lautet die Antwort auf die Frage, ob er nicht aufgeregt gewesen sei. Im Anschluss nutzen Mutter und Tochter Hornung noch die Gelegenheit, das Bußsakrament zu empfangen – ein ganz eigenes Erlebnis mitten auf einer Wiese am Waldrand. Daniela Stenger bedauert ein wenig das enge Zeitfenster, das für das Beichten eingeräumt wurde. „In den 30 Minuten möchten so viele beichten, da fühlt man sich gehetzt.“ Ihr Sohn Jonas überlegt nur kurz, ob er auch beichten soll, kommt dann aber zu dem Schluss, dass er erst vor kurzem zur Ersten Heiligen Kommunion seine letzte Beichte hatte. „Ich brauche noch nicht beichten, so viele Sünden tut man ja in den paar Wochen nicht“, stellt er fest.Ein Programmpunkt, der auch bei den Kindern sehr gut ankommt, ist das Beten des großen Kreuzweges. „Diese lebensgroßen Figuren sahen toll aus und das Gebet an jeder Station war schön knackig kurz“, schildert Felix seine Eindrücke. Auch seine Schwester Luisa findet dass „in der Kürze die Würze“ liegt: „Wir haben nicht lange gebetet, sondern auch immer zwischendurch Lieder gesungen, die wir auch kannten.“ Luisa und Felix Hornung sind ebenso wie die drei Jungen der Familie Stenger aktive Ministranten in ihrer Heimatgemeinde St. Jakobus.
Einige freie Stunden am Nachmittag nutzen die Mütter für ein rituelles Bad im Wasser der Grotte Massabielle in Lourdes. „Ein ganz besonderer Moment. Ein wenig befremdlich, aber die Ordensschwestern dort waren so freundlich und lieb, da brauchte man keine Scheu zu haben“, sgat Daniela Stenger und erklärt gleich den Ablauf: Einzeln mussten die Frauen kurz in ein mit kaltem Wasser gefülltes Becken steigen und anschließend eine Figur der Heiligen Bernadette küssen. Warum war es ihnen wichtig, an diesem Ritual teilzunehmen? Rita Hornung überlegt einen Moment. „Weil ich neugierig war.“ Sie lächelt. „Ich dachte, vielleicht geht das ein oder andere Wehwehchen davon weg.“ Daniela Stenger ist sich sicher: Für sie war die Erfahrung etwas ganz Besonderes und gehörte zur Lourdes-Wallfahrt einfach dazu.
Für die zwei Familien war die Pilgerfahrt nach Lourdes ein glaubensintensives und gemeinschaftliches Erlebnis. Daniela Stenger hat die Pilgerfahrt – wie bestimmt auch viele andere – als Bereicherung empfunden: „Jeden Tag konnte man einen Satz, ein Wort mitnehmen und daran festhalten.“ Ihr Mann hat seine anfängliche Skepsis abgelegt: „Ich war positiv überrascht, wie abwechslungsreich das Programm gestaltet war. Und ich hatte eine Gänsehaut bei der Lichterprozession. Das war ein tolles Gefühl, mal auf diese Art aus dem Alltag raus zukommen.“