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    Männer ziehen durch das Land

    Wenn die rund 400 Männer mit der Abenddämmerung in die Basilika von Vierzehnheiligen einziehen, werden auch die stärksten Männer weich. Unter dem Beifall von Freunden und dem großen Geläute der Glocken erklimmen sie die letzten Stufen, voran die Standarten und Heiligenbilder. Ein 16-stündiger Fußmarsch und gut 60 Kilometer liegen hinter den Teilnehmern der Bad Königshöfer Männerwallfahrt. Die letzten Schritte sind die schwersten. Noch will sich keiner eine Blöße geben. Wenig später aber rollen die Tränen. Das von tiefen Stimmen gesungene „Brüder singt ein Lied der Freude“, begleitet von den kräftigen Stößen der Blasmusik, geht an keinem spurlos vorüber.
    Von den über 100 Fußwallfahrten, die das ganze Jahr nach Vierzehnheiligen ziehen, ist die Bad Königshöfer Wallfahrt die letzte reine Männerwallfahrt. Obwohl sich in den Wirtschaftswunderjahren nur wenige Dutzend Pilger die Strapaze zumuteten, sind es heute wieder knapp 400 Mannsbilder, die dem verlockenden Ruf des Lächelns am Main folgen, wie die zu Ehren der 14 Nothelfer errichtete Basilika auch genannt wird. Doch es sind nicht nur die mehr als 60 Kilometer, die die Männer an einem Tag von Bad Königshofen bis ins Erzbistum Bamberg zurücklegen, es sind auch die Erinnerungen, die zu Tränen rühren. Von denen, die vor 70 Jahren die Wallfahrt wieder begründet haben, lebt heute zwar keiner mehr. Für viele ist die Wallfahrt jedoch mit dem Eisernen Vorhang verbunden, der seit den 1950er Jahren scheinbar unüberwindlich das fränkische Grabfeld von dem thüringischen getrennt hat.   

    Nicht lange gefackelt

    Es war der 24. Mai 1990, genau vor 25 Jahren, als der in zügigem Tempo unaufhaltsam die Landschaft durchschneidende Pilgerzug abrupt stoppte. Die Pilger hatten erstmals wieder ihren angestammten Weg durch eine ins Fränkische ragende thüringische Gebietszunge gewählt. Damals überwanden die Pilger nicht nur, wie in unzähligen Gebeten zuvor erfleht, sinnbildlich die Grenze. Vielmehr ging dies ganz konkret vor sich. Während bei Rieth das Grenztor an der innerdeutschen Grenze für die Pilger geöffnet wurde, blieb es zwischen Poppenhausen und Gleismuthhausen geschlossen. Angeführt von Otto Heintz, der als Kriegsheimkehrer die Wallfahrt 1946 wieder ins Leben gerufen hatte, fackelten die Männer nicht lange. Sie nahmen ihre Pilgerstöcke, um die Torbolzen aus der Verankerung zu lösen und das Tor soweit zu öffnen, dass die etwa 200 Pilger wieder nach Bayern gelangen konnten. Ein eingerahmter Zeitungsartikel in der Votivkammer in Vierzehnheiligen erinnert an diese wagemutige Aktion.   Dem Vorwurf einiger DDR-Grenzbeamter – offiziell existierte das staatsähnliche Gebilde noch fort – Sachbeschädigung an Staatseigentum begangen zu haben, kommentiert Josef Treutlein, Wallfahrtsseelsorger am Würzburger Käppele, nach 25 Jahren beim Mittagessen in Wasmuthhausen mit den Worten: „Christus hat noch ganz andere Grenzen überwunden!“ Diese Worte waren für den Bildhauer Klaus Metz die Grundlage für die Gestaltung eines weithin sichtbaren Kreuzes, das er für die Jubiläumswallfahrt aus Metall angefertigt und auf einem Betonsockel befestigt hat: Metall und Beton, die Baumaterialien, aus denen Zaun und Mauer gefertigt waren, die Deutschland teilten. Doch wie ein Keil spaltet das Kreuz die Grenze. Heute ist von der Grenze nichts mehr zu sehen. Die Natur hat sich den Grenzstreifen zurückgeholt.   

    Erinnerungen 

    Ansgar Brückner, der um 1985 als junger Mann erstmals dabei war, erinnert sich daran, wie auf der Landstraße zwischen Wasmuthhausen und Eckartshausen, wo der Wallfahrtsweg nur knapp an der früheren Grenze vorbei führt, von Wallfahrtsführer Otto Heintz in Sichtweite der Grenzer für die Brüder und Schwestern jenseits des Zauns gebetet wurde und die Musikkapelle das Lied „Brüder reicht die Hand zum Bunde” spielte. Auch 1990 war er wieder dabei. „Viele Menschen haben am Wegesrand gestanden.“ Noch heute empfangen einige Gemeinden die Pilger mit Glockenläuten.   Ins Leben gerufen wurde die Wallfahrt im Mai 1946, als 120 Kriegsheimkehrer aus Dank für Gottes Hilfe und die Fürbitte der heiligen Nothelfer nach Vierzehnheiligen zogen. Seither brechen die Pilger Jahr für Jahr pünktlich um 4.30 Uhr an der Pfarrkirche in Bad Königshofen auf. Noch immer stoppt der Zug an einem Kreuz im Seßlacher Wald zur Todesstunde Jesu am Kreuz. Hier wird für die Toten gebetet, aber auch für die Kranken, für einen Pilgerbruder, der im 2014 noch dabei war, oder einer schwer erkrankten Hauswirtin in Seßlach, die unzähligen Pilgern auf dem Rückweg Unterkunft geboten hat. Wie lange die Männerwallfahrt schon nach Vierzehnheiligen zieht, ist schwer zu sagen. Aufzeichnungen erwähnen, dass schon in den 1920er Jahren „Krieger“ an den Main pilgerten. Noch 1938, bevor die Wallfahrt von den Nationalsozialisten verboten wurde, zogen 200 Männer feierlich in die Basilika  ein.   

    Unkomplizierte Wesen

    Für Wallfahrtsführer Engelbert Brüger und Pfarrer Josef Treutlein hat die Männerwallfahrt einen ganz eigenen Charme. Sie loben das unkomplizierte Wesen der Männer: Wer sich in der frühen Morgenstunde in der Pfarrkirche in Bad Königshofen einfindet, ist dabei. Auch in der Unterkunft im Wallfahrtsheim in Vierzehnheiligen oder auf dem Rückweg findet sich immer noch ein freier Platz. Spätestens in Seßlach ist die Gemeinschaft so gewachsen, dass im Biergarten holzgezimmerte Krüge die Runde machen, die gleich für den ganzen Tisch bestellt werden: drei Liter Muntermacher, um die „Schmerzen zu betäuben“. Jeder hat seine eigenen Tricks, um die letzten Etappen hinter sich zu bringen. In Wasmuthhausen verteilen Feuerwehrler an die Pilger nicht nur Leberkäse mit Kartoffelsalat, sondern auch Magnesiumtabletten. Ob Letztere helfen? Das weiß keiner. Schaden kann es nicht, ist die einhellige Meinung. Über alles wird gesprochen, den Beruf, die Gesundheit, Probleme mit Frau und Kindern ... Wie viele Kilometer noch zu gehen sind, ist jedoch kein Thema. Dabei sind es gerade die letzten Kilometer, die sich quälend in die Länge ziehen. Spätestens nach der Rast in Altenbanz, dem letzten großen Halt, wollen die übersäuerten Muskeln keinen Schritt mehr weiter. Fuß vor Fuß geht es dennoch voran. Der Körper hatte genug Zeit, zu verstehen, was er zu tun hat: Unwiderstehlich lockt das Lächeln am Main.