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      Das Rothenburger Grafikmuseum leitet ein Grafiker, Friedensaktivist und Klimaschützer

      Kunst leben

      Am Anfang war die Neugier. Man kennt das „Dürer-Haus“ in Nürnberg. Dass es in Rothenburg ein sogenanntes „Dürerhaus“ gibt, erfahren wir im Internet. Darin lebt und arbeitet der Künstler Ingo Domdey. Darin ist seine Werkstatt. Und in seiner Werkstatt ist sein Grafikmuseum untergebracht – ein Juwel.

      Wir sind verabredet. Ich klingele. Der Künstler erscheint. Großgewachsen, auch im Alter noch jungenhaft schlaksig öffnet er die Tür und bittet mich herein auf eine Tasse Tee. Wie es zum Museum kam, frage ich und Domdey erzählt: Längere Zeit habe er sich auf einem Bauernhof bei Ulm – neben der Kunst – der Schaf- und Pferdezucht gewidmet, schließlich brauchte er Veränderung. Zufällig war das Haus in der Georgengasse 15 zu verkaufen und es schien wie geschaffen für Arbeiten und Wohnen. Im ersten Stock wohnt Domdey mit seiner Frau Margit, im zweiten lagern Rahmen, Leinwände, Druckplatten, Farben, das Dachgeschoss nutzt Tochter Thea.

      Erst nachdem er die Werkstatt im Erdgeschoss eingerichtet hatte, fiel Domdey auf, dass die leeren Wände sich wunderbar als Ausstellungsfläche für seine bereits in jungen Jahren begonnene Sammlung von Radierungen eigneten. Prägend war, dass Professor Peter Ackermann einst Gefallen an Domdeys Radierungen gefunden und den Kunststudenten zum Tauschen aufgefordert hatte. „Ich nehme zwei Radierungen von dir, du bekommst zwei Blätter von mir.“ Auch zu weiteren Sammelstücken gelangte Domdey durch Tausch. Manches erwarb er auf Flohmärkten oder in Paris bei den Bouquinisten. Anderes bekam er geschenkt, wie eine farbenfrohe Radierung von Ernst Fuchs, die ihm der Kunsthändler Martin Sinn überließ.

      Seltenes Original

      In der Werkstatt dominiert ein riesiger Arbeitstisch, auf dem eine japanische Druckerpresse thront. Hier erproben Kursteilnehmer die Entstehung der Radierung. Wer mag, kann einen eigenen Druck von einer Originalplatte aus dem Barock erstellen und das Blatt mit dem Titel „Zwei streitende Hunde“ erwerben.

      2016 hat Domdey auf einem Trödelmarkt diese Druckplatte von 1661 erstanden. Sie stammt von einem jungen Künstler namens Johann Martin Gogel aus Frankfurt. Da Druckplatten normalerweise vernichtet werden, wenn die festgelegte Anzahl an Drucken gefertigt ist, ist die Platte eine Rarität. Offenbar hatte der sechzehnjährige Künstler nur wenige Abzüge gemacht. Denn sie ist sehr gut erhalten. Bei seinen eigenen Arbeiten hält Domdey 20 bis 50 Drucke für sinnvoll. Durch die limitierte Auflage bleibe das Einzigartige des Kunstdrucks erhalten.

      Dürer, Rembrandt, Goya

      Domdeys Sammlung legt den Schwerpunkt auf Gegenwartskunst, wartet aber auch bei früheren Epochen mit großen Namen auf: Es gibt Dürer, Rembrandt, Goya zu sehen, die Impressionisten Renoir, Slevogt und Liebermann, den Expressionisten Munch, dann Hrdlicka und Janssen, auch Grass. Wyss, Koblischek, Walter Herzog und Ola Eibl zählen dazu; aber auch zeitgenössische Computergrafik von Guthörl. Der gebürtige Dresdner Walter Herzog, der von der DDR-Regierung zunächst an seiner Entwicklung zum Künstler gehindert wurde, zeigt in seinen Grafiken oft weniger die platte äußere Realität, als vielmehr Metaphern von Vergänglichkeit und Tod – etwa in der Radierung „Vanitas“. Er wird als Künstler eines „poetisch verdichteten romantisch-sensualistischen Realismus“ bezeichnet.

      Nicht nur diese Bandbreite macht den Charme des Museums aus, sondern auch der vor Ideen sprudelnde Gastgeber. Mitunter schleicht sich humorvolles Augenzwinkern in die Schau: Unter die gerahmte und präzise Darstellung eines rotweiß karierten Geschirrtuchs von Karin Kneffel hängt Domdey ein echtes Geschirrtuch.

      Kunstwerk und Betrachter

      Die Radierung bevorzugt Domdey übrigens deshalb, weil sie klare Kontraste, feinere Nuancierungen bei Linien und Punkten sowie zahlreiche Abstufungen von Grautönen erlaubt, wohingegen die Zeichnung weichere Übergänge beim Abtönen zulässt. Das Material hat ebenfalls noch ein Wörtchen mitzureden – sowohl die Körnung des Papiers und die Üppigkeit des Farbauftrags als auch die Härte der Druckplatte. Eisen etwa ist einerseits sehr korrosionsanfällig, lässt aber andererseits Farbe kräftig leuchten. Zum Verständnis von Kunst hat der 77-Jährige eine klare Antwort parat: Kunst muss „reizvoll“ sein. Sie muss einen Reiz haben, der über das Dekorative hinausgeht, so dass ­das Kunstwerk den Betrachter dauerhaft berührt.

      Das Elitäre darf nie ganz verloren gehen, weshalb man Kunst nicht beim Discounter verscherbeln darf. Dennoch sollte man sie möglichst vielen zugänglich machen. Dies geschieht über den „Freundeskreis Grafikmuseum“: Mitglieder erhalten für ihren Jahresbeitrag stets eine Originalradierung.

      Charakteristisch für Domdeys eigene Radierungen ist der zarte Strich, meist in Schwarz, Grau oder Sepia, mit dem er oft rätselhaft verstörende Motive umsetzt: Mann und Frau in Abendgarderobe Rücken an Rücken, Unterleibe und Köpfe abgeschnitten, sind neben einem umgestürzten weiblichen Torso aus der Antike platziert. Nun liegt es am Betrachter, beide Bildteile zu verknüpfen.

      Krieg ist immer grausam

      Domdey sucht das Gespräch und er betätigt sich politisch. Bei seinen Schätzen verweist er auf ihre gesellschaftspolitische Tragweite. Sein ganzer Stolz ist Dürers Kupferstich „Tanzendes Bauernpaar“ von 1514. Anders als der Mann hat die Frau das Gesicht dem Betrachter zugewandt. Mit der linken Hand führt sie beim Tanz; die rechte Hand ruht auf den Schlüsseln und auf dem Geldbeutel. Dies steht in krassem Gegensatz zu den damaligen Geschlechterrollen und mag als geradezu sensationell moderne Aufforderung gelten, Frauen mehr zu achten.

      Ebenso beeindruckend ist die Aquatinta-Radierung „Desastres de la guerra, Nr. 33“ von Francisco de Goya. Sie ist Teil einer Serie – deutsch „Schrecken des Krieges“ genannt – und umfasst 82 Grafiken. Entstanden von 1810 bis 1814, zeigt sie die Gräueltaten der Napoleonischen Soldaten im Kampf mit der aufständischen spanischen Bevölkerung. Auf Nr. 33 foltern drei Soldaten einen Feind. Sie tragen Fantasieuniformen, man weiß also nicht, ob nun drei Franzosen einen Spanier quälen oder drei Spanier einen Franzosen. Die Aussage: Der Krieg ist für alle gleich grausam.

      Die Sprengkraft von Kunst liegt darin, dass sie – laut Domdey – Kommunikation und Politik zugleich ist. Die Stahlskulptur „Torgauer Doppelkopf“, die er 1997 mit Georg Schmidt geschaffen hat, erinnert als Mahnmal gegen den Krieg an den Jahrestag der amerikanisch-russischen Begegnung am Elbufer bei Torgau am 27. April 1945 – unweit eines Leichenfeldes ziviler Opfer. Parallelen zum Angriffskrieg Russlands drängen sich auf.

      Gleichberechtigung und Demokratie

      Domdey versucht nicht, einem vermeintlichen Kundengeschmack nachzueifern, sondern macht, was ihm wichtig ist – in der Hoffnung, dass es Liebhaber findet. Die Aussage nimmt über ein Bildmotiv und ein geeignetes Verfahren Gestalt an. So bahnt sie sich ihren Weg von innen nach außen, etwa bei dem dreiteiligen Gemälde „24.02.2022“: An dem Tag, als Russland in die Ukraine einmarschierte, griff Domdey zum Pinsel. Das flächig aufgetragene, schlammige Braun-Grün mit Stacheldraht in der rechten unteren Ecke wirkt beklemmend.

      Domdey ist nicht nur tagespolitisch interessiert. Der aggressive Adler, der immer häufiger auf Deutschlandfahnen zu sehen ist, sie manchmal sogar ganz ersetzt, ist ihm ein Dorn im Auge. Bei seiner Direktkunst-Aktion „FahnenWechsel“ erinnerte er 2021 mit großen Fahnen aus Stoff sowie kleinen Deutschlandflaggen aus Papier an die historische Bedeutung unserer Nationalfahne: Sie stand – erstmals beim Hambacher Fest 1832 – für Vereinigung, Gleichberechtigung, Pressefreiheit und Demokratie. Nationalstaatliches Denken sollte überwunden werden. Deshalb regt der Künstler eine Veränderung des Motivs in der Mitte an. Statt des martialischen Adlers schlägt er als Symbol für Begegnung, Frieden und Toleranz zwei sich begrüßende Hände vor.

      Kunst und Politik

      Die Idee hat was! Das Statement lautet: „Kunst ist Politik. Und Politik verändert Gesellschaft, weist einen Weg fort vom Leid und hin zum friedlichen Miteinander.“ Ein Behälter mit Papierfahnen steht am Eingang: Domdey ist nicht nur Friedensaktivist, sondern auch Klimaschützer. Als solcher lädt er zum gemeinsamen Backen von Brotbolzen aus Sauerteig ein. Dazu gibt es Informationen über Industrie-Brot: unangenehme Wahrheiten über Herbizide, die heimische Vogelarten dezimieren, und über zweifelhafte Zutaten in Teigrohlingen aus China. Pessimistisch wirkt er trotz alledem nicht. Dazu ist Domdey viel zu aktiv. Den Fortschritt soll man nicht verdammen, sagt er. Aber seine negativen Seiten zähmen. Anstrengung sei die Grundlage von Freude und Kunst ein Mittel zur Seelenhygiene.

      Martina Herda

      Das Grafikmuseum hat täglich von 14 bis 20 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung geöffnet (Montag und Dienstag geschlossen). Der Eintritt kostet 2,50 Euro (Kinder bis zehn Jahre frei).