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    Aber Förderung um jeden Preis kann auch kontraproduktiv sein

    Kinder wollen sich entwickeln

    Statt Kinder zwanghaft zu fördern, setzt der Autor des Erziehungsklassikers „Babyjahre“ (1993) auf passende Erfahrungen, die das Kind weder über- noch unterfordern. Denn: „Jedes Kind will sich von sich aus entwickeln“, sagt Largo. Kinder hätten einen „inneren Drang zu wachsen und sich Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen“. „Wenn das Kind einen bestimmten Entwicklungsstand erreicht hat, beginnt es von sich aus, nach Gegenständen zu greifen, sich fortzubewegen und sich sprachlich auszudrücken.“ Dieser innere Drang zur Entwicklung sei für die Eltern „Entlastung“ und „Geschenk“, meint der Pädagoge; Eltern müssten sich nicht ständig aktiv um Fortschritte bemühen und das Kind fördern. „Das Kind entwickelt sich aus sich heraus, solange sein körperliches und psychisches Wohlbefinden gewährleistet ist und es entwicklungsspezifische Erfahrungen machen kann.“ Das Geheimnis liegt demnach darin, dem Kind nicht etwas beibringen zu wollen, sondern seine natürliche Neugier zu befriedigen.

    Einheit und Vielfalt

    In den Zürcher Longitudinalstudien mit mehr als 700 Kindern hat Largo einerseits eine große Bandbreite der kindlichen Entwicklung in allen Entwicklungsbereichen festgestellt; das heißt, es kann zum Beispiel durchaus sein, dass ein Kind mit 18 Monaten partout keinen Nachmittagsschlaf mehr braucht, während ein anderes das Nickerchen bis zum dritten Geburtstag benötigt. Zugleich registriert Largo für jeden Entwicklungsschritt einen bestimmten Zeitpunkt, an dem das Kind „innerlich bereit dazu ist“. Demnach gibt es altersspezifische Bedürfnisse mit verschiedenen Entwicklungs-Stadien, die im Wesentlichen bei jedem Kind die gleiche Abfolge aufweisen. Das bedeutet: Jedes Kind erkundet Gegenstände zuerst mit dem Mund, dann mit den Händen und schließlich mit den Augen. Wann welches Stadium dran ist, sei aber von Kind zu Kind unterschiedlich. Daraus folgert Largo: „Die kindliche Entwicklung zeichnet sich gleichermaßen durch Einheit und Vielfalt aus.“

    Wann bei einem Kind das Fenster für das Erlernen einer bestimmten Fähigkeit aufgeht, also eine sensible Phase beginnt, können Eltern am Verhalten des Kindes erkennen.

    Erste Schritte

    Am Laufenlernen lässt sich dies deutlich ablesen. Da die motorische Entwicklung überwiegend ein Reifungsprozess sei, „der nach inneren Gesetzmäßigkeiten abläuft“, könne man den Prozess des Laufenlernens weder beeinflussen noch durch Üben beschleunigen. Das sollten Eltern im Hinterkopf haben, wenn die ersten Schritte des eigenen Kindes mit 18 Monaten noch auf sich warten lassen, während Altersgenossen bereits seit sechs Monaten auf zwei Beinen unterwegs sind. Die meisten Kinder könnten mit 13 bis 15 Monaten laufen, einige starten schon mit acht bis zehn Monaten, andere warten bis sie 18 oder 20 Monate sind. Dies alles sei normal, beruhigt Largo.

    Auch wie ein Kind das Laufen erlernt, ist individuell: Zwar seien die einzelnen Stadien meist recht ähnlich – Kopf heben, strampeln, drehen, krabbeln, sitzen –, dennoch müssen nicht zwangsläufig alle Phasen auftreten. Es gebe durchaus Kinder, die niemals krabbeln und stattdessen lieber sofort aufstehen. Ebensowenig müssten Eltern ihrem Kind das Krabbeln, Sitzen und Laufen beibringen, betont Largo.

    Wichtig sei jedoch: Sobald es losgeht, sollten Eltern passende Betätigungsfelder anbieten, damit sich das Kind seinem Entwicklungsstand entsprechend motorisch erproben und die neue Fähigkeit ausdifferenzieren kann. „Ein Kind, das sich auf Spielplätzen, auf Wiesen und in Wäldern tummeln kann, wird motorisch geschickter werden und eine andere Beziehung zu seinem Körper bekommen, als wenn seine Bewegungsmöglichkeiten auf eine Wohnung beschränkt bleiben“, prophezeit Largo. Schließlich habe die Haltung der Eltern auch einen Einfluss darauf, ob ein Kind ängstlich oder forsch, voller Bewegungsdrang oder eher gemütlich ist. Und er gibt zu bedenken: Dass ein Kind während der Zeit des Laufenlernens nur wenig Interesse für Bilderbücher oder Bauklötze habe, müsse Eltern nicht beunruhigen. Jetzt sei eben das Laufen dran!

    Lernen am Vorbild

    Auch der Zeitpunkt, ab dem ein Kind mit dem Löffel essen kann, variiert stark. Einige Kinder greifen bereits mit zehn Monaten zum Löffel, andere erst im Alter von zwei Jahren, hat Largo in seinen Studien herausgefunden. Erzwinge man den Umgang mit dem Löffel, bevor das Kind dazu bereit ist, könne man es überfordern. Verweigern Eltern das Hantieren mit dem Löffel dagegen, resigniere es und stellt sich darauf ein, sein Leben lang gefüttert zu werden. Den richtigen Zeitpunkt erkennen Eltern, „wenn das Kind Interesse am Löffel zeigt und versucht, den Löffel vom Teller zum Mund zu führen“, schreibt Largo. Dass bei den ersten Versuchen nur wenig Nahrung in Mund und Magen landet, ist völlig normal. Damit das Kind beim Essen sich aber nicht umsonst mit dem Löffel abmüht und satt wird, können Eltern nebenbei aus einem separaten Teller und mit einem zusätzlichen Löffel zufüttern. Auch wenn die ersten Experimente mit viel Kleckerei einhergehen, seien diese Versuche wichtig, da das Kind ja erst einmal lernen müsse, wie es den Löffel belädt und wie dieser zu halten ist, damit das Essen im Mund ankommt. Spaß an der Sache ist auch hier enorm wichtig – zum Beispiel, wenn das Kind zur Abwechslung mal die Eltern füttert. Übrigens: In puncto Tischmanieren ist das Lernen am Vorbild entscheidend. Das heißt: „Tippt der Vater beim Frühstück nebenbei auf seinem Handy herum, versteht das Kind nicht, warum es kein Spielzeug zu Tische nehmen darf.“

    Richtig Fördern – aber wie?

    Für Remo Largo haben Eltern eine eigene Intuition in puncto Erziehung und Förderung. Zugleich fließen in jedes Elternverhalten aber auch eigene Erfahrungen und Ängste, gesellschaftliche Erwartungen und Normvorstellungen ein. Problematisch wird es, wenn Eltern sich von Normen, überlieferten Grundhaltungen und Ratgeberkonzepten verunsichern lassen, meint der Pädagoge.

    Eltern sollten sich stattdessen immer wieder klar machen, dass die kindliche Entwicklung von ungeheurer Vielfalt geprägt ist und es stets um ein Zusammenspiel aus Erbanlagen und Umwelt geht. Ein Kind über sein Begabungspotenzial hinaus zu fördern, ist nach seinen Worten nicht möglich. Versuchen Eltern dies dennoch, überfordern und verunsichern sie es. Um die Folgen zu verdeutlichen, zieht Largo einen simplen Vergleich: So werde ein Kind, das zu wenig Nahrung bekommt, zwar kleiner. Überfüttere man das Kind aber, werde es nicht größer, sondern nur dick. „So ist es auch mit den geistigen Fähigkeiten.”

    Statt in einen übertriebenen Förderwahn zu verfallen, sollten Eltern Vertrauen haben und das Kind so nehmen, wie es ist – mit seiner Art und seinem ganz eigenen Tempo. Der wichtigste Tipp, den Largo zweifelnden Eltern ans Herz legt, ist aber: „Das Kostbarste, was Eltern ihren Kindern geben können, ist Zeit.“     

    Anja Legge

    Zum Weiterlesen:

    Remo H. Largo: „Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren“, Piper Taschenbuch 2019, 16 Euro; ISBN: 978-3492306843.

    Remo H. Largo: „Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung“, Piper 2019, 25 Euro; ISBN: 978-3492059022.

    Remo H. Largo/Monika Czernin: „Jugendjahre. Kinder durch die Pubertät begleiten“, Piper Taschenbuch 2013, 14 Euro; ISBN: 978-3492301923.