Kein Mensch ist perfekt
„Gemeinsam mit Grenzen leben“ – so das Motto der diesjährigen Aktion, die vom 25. April bis zum 2. Mai stattfindet. Nach dem zentralen Eröffnungsgottesdienst in Lüneburg folgen bundesweit eine Woche lang zahlreiche Veranstaltungen vor Ort. Eingebettet ist das Ganze in das Leitthema „Gesund oder krank – von Gott geliebt“, an dem sich die „Woche für das Leben“ von 2008 bis 2010 ausrichtet. Was Menschen, die mit größeren gesundheitlichen Einschränkungen leben müssen, besonders brauchen – Erzbischof Zollitsch fasst es prägnant zusammen: „Wertschätzung und Zuwendung, Nähe und Begegnung auf Augenhöhe“. Vorbildhaft seien hier jene biblischen Texte, die Begegnungen von Jesus mit Kranken schilderten. „So wie Jesus sich verhält, sollten auch wir uns verhalten. Nicht diejenigen, die am größten und stärksten sind, sollen zuerst beachtet werden, sondern – symbolisch gesprochen – die Kleinen, die Bedürftigen“, appelliert der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Kirche verleugne ihr Selbstverständnis, wenn sie zulasse, dass Menschen ausgeschlossen und ausgrenzt würden. Beispiel
Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Huber, rief die Gemeinden auf, mit gutem Beispiel voranzugehen: Behinderte sollten genauso selbstverständlich wie andere auch am Konfirmanden- und Kommunionunterricht teilnehmen, zur Gruppenstunde gehen, am Altar dienen. Bereits in den Kindergärten müsse Integration ein Thema sein, das Miteinander von Behinderten und Nicht-Behinderten. Das Netzwerk der Kirchen mit integrativen Kindergärten und Schulen, Krankenhäusern und Pflege-Einrichtungen ist in dieser Hinsicht bereits vielfältig. Für Erzbischof Zollitsch kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen: „Wir haben uns vorgenommen, das menschliche Miteinander darüber hinaus zu organisieren und zu fördern.“ An die eigenen Grenzen stoßen – das bleibt keinem erspart. Ob durch Alter oder Krankheit, mitunter kann es ganz schnell gehen. Auch dafür will die Themenwoche sensibilisieren. „Die Erfahrung einer Krankheit oder die Begegnung mit Pflegebedürftigen machen uns unsere eigenen Grenzen oft schneller klar, als wir sie im Alltag wahrhaben wollen und als es uns viele Hochglanzmagazine und Casting-Shows vorgaukeln“, mahnt Zollitsch. Doch der Erzbischof betont zugleich: „Der Mensch kann und darf in seinen Grenzen leben, weil sie keine Grenzen für die Liebe Gottes sind, die alle Grenzen überwindet und zuverlässig treu ist.“ Und Bischof Huber ergänzt: „Es ist Hochmut, wenn wir glauben, unser Leben nach den eigenen Wünschen gestalten zu können. Es ist Arroganz, wenn wir übersehen, welche Anstrengungen diese Ideologie denen abverlangt, die ihre Grenzen sehr früh erfahren haben.“ Etwa all jene, die mit einer schweren Behinderung auf die Welt kamen. Das Thema hat freilich auch eine politische Dimension. So appellierte Bischof Huber eindringlich an den Bundestag, sich endlich in der Spätabtreibungsfrage auf eine Neuregelung zu einigen. Auch Ungeborene mit Behinderungen hätten ein Recht auf Leben. Der EKD-Ratsvorsitzende rief dazu auf, das gesellschaftliche Bild von „Normalität“ zu verändern: „Normal muss sein, dass wir sagen: Jeder Mensch gilt.“ Das jüdisch-christliche Menschenbild verpflichte dazu, so Erzbischof Zollitsch, dort die Stimme zu erheben, „wo grundsätzlich die Begrenztheit menschlichen Lebens nicht mehr akzeptiert wird, wo die berechtigte Sorge um Gesundheit das Maß verliert und sich in einem medizinisch-biotechnischen Machbarkeitswahn steigert“. Gesundheitssystem
Huber mahnte zudem, dass Sparmaßnahmen im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht die Mobilität und ärztliche Versorgung behinderter Menschen einschränken. Nach Einschätzung von Zollitsch ist das Gesundheitssystem zwar institutionell gut ausgestattet, genügt aber immer weniger den Ansprüchen: „Es braucht eine ausgewogene Balance zwischen der technisch versierten und qualifizierten Fachkraft und dem menschlich-verständnisvollen Pflegepersonal.“ Die Kirchenvertreter rühren damit nicht zuletzt an Themen, die im Bundestagswahlkampf und zu Beginn der nächsten Legislaturperiode als erneuter Streit um die Gesundheitsreform wieder auf die politische Agenda kommen.