„Im Geist der Demuth und mit zerknirschten Hertzen falle ich auf meine Knye, O du gedultiger Creutztragender Jesu, und verehre allhie den ersten schmertzlichen Fall, so du thätest, als du von Pilati Haus hundert und sechs Schritte fort gangen warest, und für grosser Ohnmacht an einem Ecken der Gassen so hart niederfielest, …“
Es beginnt so der erste der „Sieben Fäll“, wie er nach dem Andachtsbuch „Der verbesserte Große Baum-Garten“ gebetet wurde. Dieser geht auf den einst populären Kapuzinerpater Martin von Cochem (1630-1712) zurück. Sieben Stationen, Stillstehungen oder auch Sieben (Fuß)Fälle als älteste Form des Kreuzweges waren ursprünglich üblich, mindestens bis ins 17. Jahrhundert. Und sie sind auch in der oben zitierten, in Würzburg gedruckten, „verbesserten“ Neuausgabe des Großen Baum-Garten von 1750 noch enthalten.
Heutzutage selten
In Eibelstadt hat sich solch ein heutzutage seltener Sieben Fälle-Kreuzweg erhalten. Er ist Denkmal und zugleich nach wie vor in die Kreuzweg-Andacht eingebunden. In der Stadtpfarrkirche St. Nikolaus gibt es nämlich keinen Kreuzweg. Dafür findet sich einer in der Kreuzkapelle, der ebenfalls besonders ist: Es wird das Auffinden des Kreuzes in Jerusalem durch Helena, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, als 15. Station über der Kanzel gezeigt.
Stadtarchivar Dr. Franz Schicklberger hat umfangreich zu den „Sieben Fällen“ geforscht. So sei eine Flurbezeichnung „Am Kreuzlein“ schon für 1411 belegt. Vom Falltor, dem östlichen Stadttor, hinaus in die Weinberge, zunächst zu einem Kreuz, später zum Vorgängerbau der barocken Kreuzkapelle wird „Am Kreuzlein“ von Schicklberger vermutet. Den ältesten Nachweis für den Kreuzweg fand er in einer Flurkarte von 1787, welche die Standorte der Stationen verzeichnet. Inzwischen wurden die Bildhäuschen zumindest teilweise versetzt und reihen sich nun mitten im Neubaugebiet aneinander, die Wilhelm-Doles-Straße entlang. Die heutigen Reliefs in den Bildhäuschen sind farbig gefasste Cementguß-Arbeiten von 1890, denen Schicklberger umfangreich Parallelen zu Johann Peter Wagners Miniaturen für den Kreuzweg zum Würzburger Käppele nachgewiesen hat. Die Sandsteinreliefs, die 1890 ersetzt wurden, befinden sich geschützt unter den Friedhofsarkaden.
Schrittlänge vorgegeben
Präsent sind die „Sieben Fälle“ heute noch bei den Kreuzberg-Wallfahrten der Würzburger Bruderschaft zum Heiligen Kreuz oder der Kreuzbruderschaft Ochsenfurt, die auf den Rückwegen jeweils sieben Impulse beziehungsweise Stationen einlegen. Kurios reglementiert mutet es dagegen an, dass zuweilen die Schritte des Kreuzwegs zur Nachempfindung des Leidenswegs in der Via Dolorosa in Jerusalem sogar explizit in Länge und Anzahl vorgegeben waren. Zehnmal die abgedruckten neun Zentimeter würden einen Schritt ergeben, „darin das ganze bittere Leiden begriffen und alle Schritt Christi gezählet seynd“ – beschreibt ein Goldenes Himmelsschlüssel-Andachtsbuch die Handhabung. Es sei auch von Cochem herausgegeben, sagt Thomas Schenkel. Der Sammler von Gebet- und Andachtsbüchern aus Giebelstadt schätzt das Erscheinungsjahr auf circa 1830. Himmelsschlüssel als Anleitungen für das Seelenheil seien in vielen Auflagen und Ausgaben bis in die 1950er Jahre verbreitet gewesen, so Schenkel.
Befremden und Neugier
Die Passion Jesu in höchster Konzentration, in nur einem Bild, stellt das Kreuz in der Eibelstadter Maingasse dar. Zwischen Befremden, Grusel und Neugier liest man in den Gesichtern, die unvermittelt dieses Arma-Christi-Kreuz entdecken. Es ist ein Passionskreuz, ein Waffen-Christi-Kreuz ohne Korpus Christi. Nur Hände und Füße sind dargestellt. Ein Hahn sitzt obendrauf, ein Kelch, Hammer und Leiter, Zange, Schwert und Speer sind unter anderem an dem etwa fünf Meter hohen Arma-Christi-Kreuz auszumachen. „Es ist vollbracht“, die letzten Worte Jesu vor dem Tode, stehen auf dem Muschelkalk-Sockel, der die Verbindung zu den Bildstöcken schafft, wie sie üblich sind. Denn für Franken ist ein solches Passionskreuz in der Tat eine sehr seltene Darstellung. Arma-Christi-Kreuze sind zwar seit dem Mittelalter bekannt, zunächst aber eher von Fresken oder Bildern. Mehr Verbreitung fanden sie im süddeutschen Raum bis nach Südtirol, wo sie seit Gegenreformation und Barock zunehmend auch in plastischer Darstellung an Kirchen oder in der freien Flur als Andachtsbilder aufgestellt sind.
Mehrere Deutungen
Wer das Eibelstadter Passionskreuz ursprünglich errichtet hatte und aus welchem Grund, ist nicht überliefert. Heimatforscher Schicklberger hält es für möglich, dass nach dem Dreißigjährigen Krieg schon ein Passionskreuz existiert haben könnte, als der Pfarrer dort eine Kreuzkapelle errichten wollte, was aus Platzgründen scheiterte. Wind und Wetter gänzlich ausgesetzt, ist das Eibelstadter Kreuz sicher inzwischen etliche Male erneuert und ergänzt worden. Neu errichtet worden ist es nach Schicklbergers Recherche zuletzt 1996 und 1910. Seine ikonographischen Attribute konnten wechseln. So ist an der aktuellen Version beispielsweise keine Laterne und keine Dornenkrone angebracht, welche zuvor vorhanden waren. Drei Würfel, die sich im Schnittpunkt der Kreuzbalken befanden, fehlen „inzwischen“. Waren die Instrumente des Leidens „bis ins 12./13. Jahrhundert als Waffen des Triumpfes Jesu über Tod und Teufel“ gesehen worden, so Schicklberger, halfen sie ab dem 14. Jahrhundert beim „meditativen Nacherleben des Leidens Jesu (….) und sollen zum Einssein mit dem Leidenden führen“.
Interessanter Aspekt: viele der Attribute des Kreuzes können sich auf verschiedene Bibelstellen beziehen und lassen somit mehrere Deutungen zu. Sie können sowohl auf düstere als auch erhellende Passagen der Bibel verweisen. So steht beispielsweise die Leiter gemeinhin für die Abnahme des verstorbenen Jesus vom Kreuz. Sie könnte aber auch als Himmelsleiter betrachtet werden, wie sie im Alten Testament von Jakob gesehen wurde (Genesis 28,12). Damit belegt sie exemplarisch, wie die Passion für Christen letztlich das Leiden mit der Heilserwartung verbindet.
Antje Roscoe
Quellen: Würzburger Diözesangeschichtsblätter – Die „Sieben Fälle“ auf dem Weg zur Kreuzkapelle in Eibelstadt / „Passionskreuze und deren Symbolik“, Bände 73 und 84