Im Advent schweben die Worte aus dem Alten Testament wieder in der Luft, erinnern uns an die uralte Sehnsucht der Menschen nach der Geburt des Erlösers. Doch vor allem erinnern sie uns daran, dass wir Heutigen offensichtlich gar keine tiefere Sehnsucht mehr kennen, vielmehr zufrieden sind mit Glühwein und Spekulatius. Was dem Jesaja, träte er heute wieder einmal auf, mehr als bekannt wäre. Der Kampf gegen die Satten, Gleichgültigen, Reichen war der Kampf seines Lebens, und er kämpfte ihn mit teils ungewöhnlichen Waffen. Seinen taktierenden und paktierenden König Ahas versuchte er mit der Verheißung der Geburt des Immanuel daran zu erinnern, dass seine wie die Zukunft seines Volkes nicht von der politischen Geschicklichkeit des Königs abhänge, sondern vom Vertrauen des Königs auf den rettenden Gott Jahwe. Als Zeichen des göttlichen Heilswillens bot der Prophet dem König die Geburt des Immanuel, des „Gott-mit-uns“, an. Doch der lehnte mit der so windigen wie überheblichen Ausrede ab, er wolle seinen Gott nicht versuchen. Das von Ahas abgelehnte Zeichen gewann daraufhin Bedeutung für die gesamte Menschheit.
Hochmütige Töchter Zions
Doch der Streit mit dem König reichte ihm nicht. Das ganze Volk nahm sich Jesaja zur Brust: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht“, stellte er fest, um dann detailliert die Missstände anzuprangern: „Die Widder, die ihr als Opfer verbrennt, und das Fett eurer Rinder habe ich satt; ... wer hat von euch verlangt, meine Vorhöfe zu zertrampeln? ... Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut“ ... Weil die Töchter Zions hochmütig sind, ihre Hälse recken und mit verführerischen Blicken daherkommen, immerzu trippelnd daherstolzieren und mit ihren Fußspangen klirren, darum wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions mit Schorf bedecken und ihre Schläfen kahl werden lassen“.
Jesaja schonte weder König, noch Volk, noch seine Familie, noch sich selbst. Einen seiner Söhne nannte er „Schear Jaschub – ein Rest kehrt um“. Der Junge musste durch seine Existenz die Leute täglich daran erinnern, dass nur ein kleiner Teil des Volkes sich wieder auf die Gebote Gottes besinnen werde. Der andere Sohn hieß „Maher-Schatal-Hasch-Bas – Schnelle Beute, rascher Raub“. Sein Name wies auf die bevorstehende militärische Niederlage und die damit verbundenen Plünderungen durch die Sieger hin, wenn die Predigt des Vaters nicht befolgt werde.
Jesaja selbst lief drei Jahre lang nackt durch Jerusalem, als optisch unübersehbare Warnung an die politische Führung, sich auf kein Bündnis mit Ägypten gegen den König von Assur einzulassen: „So werden die gefangenen Ägypter und die aus ihrer Heimat vertriebenen Kuschiter, jung und alt, vom König von Assur weggeführt – mit entblößtem Gesäß, zur Schande Ägyptens“. Eine unerhört deftige Predigt, besonders auf dem Hintergrund, dass im alten Israel ein entblößter Mann weitaus mehr Anstoß erregte als eine vergleichbar auftretende Dame.
Die Mutlosen aufrichten
Jesaja muss entsprechend gelitten haben. Seine intimsten Bereiche, seine Nacktheit wie die programmatische Namensgebung seiner Söhne, stellte Jesaja in den Dienst seines Glaubens an seinen Gott Jahwe, und das war gleich bedeutend mit der Umsetzung des Glaubens in Politik. Für uns heute lebenden Europäer klingt das sehr archaisch, überholt. Wir trennen streng zwischen Religion und Politik. Jesaja kannte diese Differenzierung nicht. Das religiöse Urerlebnis Israels war ein politischer Akt: Die Befreiung aus Ägyptens Sklaverei. Von daher musste sich der Glaube immer auch politisch auswirken, er konnte nicht eingesperrt werden in Tempel oder Sakristei. Anlass zu politischem Zwist gab es aber ständig, denn Israels Staatsgebiet in Palästina lag zwischen den beiden Machtblöcken Ägypten und dem Zweistromland an Euphrat und Tigris. Für Propheten gab es somit immer eine Menge zu tun: Um zu Zeiten des Wohlstands den Übermut zu dämpfen. Um die Mutlosen aufzurichten, wenn die fremden Völker die Israeliten wieder einmal unterdrückten.
In diesem Szenario beherrschte Jesaja die ganze Bandbreite der Sprache. Er drohte, schmeichelte, streichelte, schlug zu. Und er schrieb Sätze, deren Kraft, Schönheit und Hoffnung über die Jahrtausende hin tragen: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht ... Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg.“ Diese Sätze Jesajas kriegt die Welt nicht mehr aus den Ohren, niemals.