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    Irena Sendler: „Kinder sind das Wichtigste“

    Besonders in Zeiten politischer Spannungen zwischen Polen und Deutschland ist das Hohenrother Namenspatronat ein Akt der Völkerverständigung. Irena Sendler wird in Deutschland eine Ehre zuteil, die ihr bislang selbst in Polen versagt geblieben ist. Die polnische Regierung hat sie aber vor wenigen Monaten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
    Eineinhalb Jahre sollte es dauern, bis das neue Sonderpädagogische Förderzentrum Hohenroth (Dekanat Bad Neustadt) einen Namen bekam. Im Interesse einer gemeinsamen Identifikation hatte sich die Caritas Schulen gGmbH als Schulträger entschlossen, die Namen der beiden Vorgängerschulen, Maximilian Kolbe und Karl Straub, nicht weiterzuführen. Auf der Namenssuche stieß man auf eine in Deutschland weitgehend unbekannte, aber höchst beeindruckende Person der Zeitgeschichte: die Polin Irena Sendler. Zur feierlichen Namensgebung waren auch Ehrengäste und ein Kamerateam aus Polen angereist.

    Öffentliche Einrichtungen tragen in der Regel nur die Namen verstorbener Personen. Warum bei Irena Sendler eine Ausnahme gemacht wurde, wurde allen schnell klar.

    29 Jahre war sie alt, als die Deutsche Wehrmacht 1939 ihr Heimatland Polen überfiel. Die junge Frau arbeitete zu der Zeit im Warschauer Sozialamt und kümmerte sich um alleinerziehende Mütter und ihre Kinder. Sie merkte bald, was die Deutschen mit ihren jüdischen Mitbürgern vorhatten. Trotz des Risikos der sofortigen Erschießung im Fall einer Entdeckung gründete die resolute Frau eine Untergrundorganisation, um jüdischen Mitbürgern zu helfen.

    Getarnt als Krankenschwester
    Als die Deutschen 1940 das Warschauer Ghetto mit einer halben Million Menschen einschlossen, gab sich Irena Sendler als Krankenschwester für Epidemiekontrolle aus. Dadurch erhielt sie einen Passierschein und täglichen Zugang zum Ghetto. In jeder Straße sah sie Leid und Verzweiflung: bettelnde Kinder, Tote ... „Die Kinder muss ich retten“, ging es ihr immer wieder durch den Kopf. Als 1942 die Deportationen aus dem Ghetto ins Konzentrationslager Treblinka begannen, schmuggelte Irena Sendler unter abenteuerlichen Umständen Kinder in die Freiheit. Durch Kellerschächte und Abwasserkanäle, in Kisten, Säcken, Koffern und Werkzeugtaschen, teilweise betäubt mit Schlafmitteln. Sie nahm alle Behältnisse, in die ein abgemagertes Kind hineinpasste. Tag für Tag, unentdeckt, 2500 mal. Die Namen der Kinder schrieb sie auf, um sie nach dem Krieg wieder ihren Familien zuführen zu können. Die Zettel vergrub sie in Einmachgläsern.

    Mit Hilfe der katholischen Kirche und dank guter Kontakte zu Behörden konnte sie die Kinder mit falschen Papieren ausstatten und in polnischen Familien, Klöstern und Waisenhäusern unterbringen. Bis zum Herbst 1943 ging es gut. Dann wurde sie denunziert und verhaftet. Trotz größter Folterqualen, an denen sie noch heute leidet, verriet sie nichts, gab keinen Namen preis. Mit Hilfe einer Untergrundorganisation entkam sie am Vorabend ihrer Exekution und lebte bis Kriegsende in ständiger Angst vor Entdeckung. Ihre Bemühungen, die Kinder nach dem Krieg wieder mit ihren Eltern zusammenzuführen, scheiterten oft daran, dass diese das Grauen des Ghettos oder die Gaskammern von Treblinka nicht überlebt hatten.

    Das Leben im Glas

    Für Irena Sendler hörte der Leidensweg nach dem Krieg nicht auf. Im stalinistischen Nachkriegspolen wurde sie nicht geehrt, sondern als Judenhelferin drangsaliert. Ihr zweites Kind verlor sie durch Frühgeburt nach einem strengen Verhör. Weder in Polen noch in Deutschland wurden ihre Taten gewürdigt, nur Israel zeichnete sie 1965 als „Gerechte unter den Völkern“ mit höchsten Ehren aus. Dann legte sich der Mantel des Vergessens über die kleine Frau. Das sollte sich erst 1999 ändern, als vier Schülerinnen im amerikanischen Bundesstaat Kansans im Rahmen einer Projektarbeit auf ihre Geschichte stießen. Sie fanden heraus, dass diese unbekannte Frau mehr als doppelt so viele Menschen vor dem Tod gerettet hatte wie Oskar Schindler. Der Einakter „Das Leben im Glas“, das sie als Anspielung auf die vergrabenen Einmachgläser aufführten, erregte erst die Aufmerksamkeit der amerikanischen, später auch der europäischen Medien. Das bewegende Schicksal von Irena Sendler wurde wieder aufgearbeitet. Im April 2003 würdigte Papst Johannes Paul II. ihre „außerordentlich mutigen Taten während der deutschen Besatzung“. Im November des gleichen Jahres verlieh ihr der polnische Staat seine höchste Auszeichnung: den Orden des weißen Adlers. Nach Veröffentlichung des Buches „Die Mutter der Holocaust Kinder. Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem jüdischen Ghetto“ im Jahr 2006 wurde man auch im unterfränkischen Hohenroth auf sie aufmerksam.

    Videobotschaft

    Auf Suche nach einem geeigneten Namenspatron nahm Konrektorin Dietlinde Brüggemann Kontakt zu der heute 97-jährigen Frau in einem Warschauer Altenheim auf. Tief bewegt war die alte Dame, als sie vom Anliegen der deutschen Schule hörte. Ihre Teilnahme musste sie aus gesundheitlichen Gründen ablehnen, doch ihre Tochter Janina Zgrzembska kam in Begleitung der polnischen Generalkonsulin Dr. Grazyna Strzelecka aus München und des polnischen Fernsehens. Und sie hatten eine Videobotschaft der alten Frau mit Film-Einspielungen aus dem Ghetto dabei. Sie habe nur ihre Pflicht getan und keine Heldentat begangen. Sie habe damals schnell gemerkt, dass man Kinder leichter töten könne als Erwachsene. „Aber Kinder sind das Wichtigste überhaupt“. Daher habe sie geholfen und hätte es auch getan, wenn es deutsche Kinder gewesen wären, so ihre bescheidene Botschaft.

    Sich für Junge einsetzen
    Jeder Programmpunkt der Feier in Hohenroth war eindrucksvoll: die Musik- oder Tanzeinlagen der Schüler, „Das Leben im Glas“, aufgeführt von Siebtklässlern der Irena-Sendler Schule, oder die Grußworte der deutschen oder polnischen Gäste aus Politik und Caritas. „Wir hätten keine bessere Namenspatronin finden können“, sagte Rektorin  Renate Mock. „In der Tradition Irena Sendlers ist es die Aufgabe aller Mitarbeiter des Sonderpädagogischen Förderzentrums, sich für benachteiligte Kinder und Jugendliche einzusetzen und ihnen durch intensive pädagogische Förderung Chancen für die Zukunft zu eröffnen“.
    Besonders in Zeiten politischer Spannungen zwischen Polen und Deutschland ist das Hohenrother  Namenspatronat ein Akt der Völkerverständigung. Irena Sendler wird in Deutschland eine Ehre zuteil, die ihr bislang selbst in Polen versagt geblieben ist. Die polnische Regierung hat sie aber vor wenigen Monaten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.