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    Frauen mit Flucht- und/oder Migrationshintergrund lernen das Radfahren

    Integration auf dem Drahtesel

    Es wurde ihnen etwas geschenkt, das sie bis dahin nicht kannten. Frauen, die in ihrem bisherigen Leben noch nie die Chance hatten, auf einem Fahrrad zu sitzen, haben sich diesen Wunsch endlich erfüllen können. Speziell auf Frauen mit Flucht- und/oder Migrationshintergrund abgestimmte Fahrradkurse hatte das Sozialreferat der Stadt Würzburg in Kooperation mit „Integration durch Sport“ angeboten – und fand regen Zulauf.

    Sie alle kommen aus Herkunftsländern, in denen das Radfahren – zumindest für Frauen – nicht an der Tagesordnung ist; mal ist es gesellschaftlich nicht gern gesehen, mal sind die Möglichkeiten in der Umgebung nicht gegeben oder es ist sogar per Gesetz untersagt, dass sich eine Frau auf ein Fahrrad setzt. 2016 hatte überdies der oberste Führer des Iran, Ali Chamenei, eine Fatwa, ein Rechtsgutachten, gegen Fahrrad fahrende Frauen erlassen.

    Unter sich sein ist wichtig

    Und so ist Jiara Shaden froh, dass in Deutschland gänzlich andere Gesetze herrschen und sie endlich Fahrrad fahren lernen konnte. Die 40-jährige aus Jordanien lebt mit ihrer Familie in Würzburg und hat bereits im Frühjahr 2019 einen Kurs absolviert. Die damaligen Lockerungen in der Pandemie ließen es zu, dass insgesamt sechs Frauen das Radeln ausprobieren und üben konnten. Doch – sie benötigten dafür einen geschützten Raum. Denn zu groß ist bei vielen Frauen aus fremden Kulturkreisen die Scham, etwas zu tun, das ihnen bisher streng untersagt war. Zeynep Sen, Bildungskoordinatorin für Neuzugewanderte im Sozialreferat der Stadt Würzburg, konnte ihnen ihre Sorgen nehmen und die Hemmschwelle senken: „Ich habe ihnen Mut gemacht, dass sie das Radfahren in der Halle auf dem Gelände des Reuterhauses lernen können. In dem geschützten Raum hat sich dann schnell gezeigt: sich einmal ausprobieren zu dürfen, ist ein völlig neues Gefühl für die Teilnehmerinnen, und sie hatten viel Spaß.“

    Das ehemalige Kreiswehrersatzamt am Ortseingang von Heidingsfeld wurde 2016 nach einem Umbau wieder eröffnet und bietet als städtische Flüchtlingsunterkunft aktuell rund 80 Menschen eine dauerhafte neue Heimat. Um sie zu unterstützen, werden den Bewohnern unterschiedliche Angebote gemacht; so steht ihnen bei Bedarf zum Beispiel ein Behörden- oder Gesundheitscoach zur Seite. Das Ziel diverser weiterer Angebote sei es, möglichst viele Felder abzudecken und auf diesem Weg gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, sagt der Fachbereichsleiter Integration, Inklusion und Senioren, Thomas Stolzenberg.

    Viel mehr als nur Sport

    Bereits im September 2018 wurde das Projekt Fahrradfahren für Frauen gestartet.Über 20 Frauen aus Syrien, Somalia, Afghanistan, dem Jemen, Peru und Äthiopien sowie dem Iran haben bisher daran teilgenommen. „Radfahren ist ja viel mehr für diese Frauen“, erläutert Zeynep Sen, „es ist eine Art kultureller Emanzipation. Es schickt sich in den meisten Herkunftsländern einfach nicht, dass Frauen Sport treiben.“ Für diese Frauen sei das hierzulande für viele in der Bevölkerung selbstverständliche Radfahren nun eben auch eine Form gesellschaftlicher Teilhabe.

    Jiara Shaden freut sich sehr, dass auch ihr Mann es begrüßt, dass sie nun schon einigermaßen fest im Sattel sitzt. „Er hat es von Anfang an unterstützt, dass ich das lerne. Und man lernt die Stadt ganz anders kennen, wenn man Rad fährt. Und die Kinder freuen sich, weil wir jetzt gemeinsam fahren können.“ In der alten Werkshalle auf dem Gelände des Reuterhauses habe sie sich sicher vor Blicken gefühlt, denn zu Beginn sei es schon ein komisches Gefühl gewesen, auf dem Sattel zu sitzen. „Aber wir haben soviel zusammen gelacht und es immer wieder probiert. Das hat großen Spaß gemacht.“ Zeynep Sen hatte sich zunächst selbst weiter gebildet, wie man Radfahren am besten vermittelt. Dabei half ihr das Programm „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbundes, das sich vor allem auf die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund konzentriert. Mit Hilfe von Leihfahrrädern mit niedrigem Einstieg sowie gestellten Fahrradhelmen konnte es dann losgehen.

    Es dauerte einige Zeit, erinnert sich Zeynep Sen, und immer wieder hieß es: wieder rauf aufs Rad und mit den Beinen paddeln – „und ganz wichtig: nicht das Gesäß anspannen!“ Zeynep Sen lacht. „Es war nicht einfach, das zu vermitteln. Aber wir waren ja unter uns, da trauten sich die Frauen, es auszuprobieren.“ Rund sieben bis neun Übungsstunden brauchen die Radneulinge in der Regel, um sicher eine kleine Radtour mit ihren Kindern unternehmen zu können. „Da standen wir vor dem nächsten Problem – sie haben keine eigenen Fahrräder.“ Zeynep Sen organsierte die Zusammenarbeit mit der Fahrradwerkstatt des Würzburger Vereins Perspektive e.V.. Dort werden gebrauchte Räder repariert und wieder verkehrstauglich gemacht. Zu einem günstigen Preis können die Frauen nun eines erwerben, wenn der Kurs beendet ist.

    Schönes Miteinander

    Zeynep Sen hat sich über die überwiegend positiven Rückmeldungen sehr gefreut. „Es ist neben der kulturellen Emanzipation gesund und kostengünstig, die Frauen können an Ausflügen teilhaben, sie können selbstständig mit ihren Kindern unterwegs sein und lernen ihre neue Umgebung völlig anders kennen. Das sind so viele positive Aspekte, die sie anspornen.“ Eine Herzensangelegenheit für die dunkelhaarige Frau mit dem gewinnenden Lächeln. Es spornte die Teilnehmerinnen an; nicht zuletzt regelten sie miteinander die benötigte Kinderbetreuung ihrer Kleinkinder während des Radelns in der Halle. „Es ist ein schönes Miteinander entstanden“, resümiert Zeynep Sen. Zusammenhalt, Gemeinschaftssinn – und die Freude an dem neuen Sport. Für den Anfang sei das ein ziemlich gutes Ergebnis. Wenn die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen es wieder zulassen, wird sicher auch das Projekt Radfahren wieder Fahrt aufnehmen.     

    Judith Bornemann