Die Mitregentin der Donaumonarchie verlieh der Kurstadt an der Fränkischen Saale Glanz und beflügelte deren Aufstieg zum Weltbad; Welterbestatus attestierte die Unesco schließlich im Juli 2021. Sisi war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein europäischer Superstar. Der Mythos lebt bis heute fort. Es ist Kult, dass an Weihnachten die Spielfilme aus den 1950er-Jahren mit Romy Schneider in der Hauptrolle im Fernsehen laufen, kürzlich wurde eine Neuinszenierung eines Privatsenders ausgestrahlt. Der historische Stoff zieht ebenso Kunden eines amerikanischen Streamingdienstes in seinen Bann; die entsprechende deutsche Produktion, zum Großteil auf dem Schönborn-Schloss Weißenstein in Pommersfelden gedreht, wurde kürzlich als beste Dramaserie mit einem internationalen Emmy ausgezeichnet.
Getragen von dieser Welle der Begeisterung erweist sich das Sisi-Thema auch an der Oberen Saline als Magnet. Seit Eröffnung der Ausstellung Mitte Oktober verzeichnen die Verantwortlichen einen deutlichen Anstieg der Besucherzahlen. Das Museum befindet sich stadtauswärts in Richtung des Ortsteils Hausen.
Politischer Schauplatz
Alleine 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind dem deutschen Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck gewidmet, der dort während seiner 14 Kuren zwischen 1876 und 1893 gewohnt hatte. Für diese Zeit verlagerte er seinen Regierungssitz in die Rhön. Der österreichische Kaiser Franz Joseph besuchte seine Frau an ihrem Kurort dreimal – der Politik wegen. Insbesondere 1864 ging in die lokalen Annalen als das Jahr der Hohen Kur oder der Kaiserkur ein. Nur Sisi hatte Behandlungen. Franz Joseph war mit brisanten Angelegenheiten beschäftigt. Vor allem wollte er Zar Alexander II. treffen; das seit dem Krimkrieg von 1853 bis 1856 stark strapazierte Verhältnis zu Russland blieb jedoch weiterhin sehr schlecht. Der jugendliche König Ludwig II. von Bayern (1845-1886), der erst drei Monate zuvor den Thron bestiegen hatte, reiste an, um die anderen gekrönten Häupter in seinem Land willkommen zu heißen; er konnte den 1866 folgenden deutschen Bruderkrieg mit Preußen nicht verhindern.
Ohne Hofzeremoniell
Das österreichische Kaiserpaar ist auf der damaligen Kurliste unter der fortlaufenden Nummer 1415 als Herr Graf und Frau Gräfin zu Hohenembs vermerkt. Protokollarische Zwänge habe man damit umgehen und gewisse Abläufe abkürzen wollen, erläutert Museumsleiterin Annette Späth. Scheinbar widersprüchlich ist die Sonderausstellung folglich betitelt: „Kaiserlich & inkognito. Sisi in Bad Kissingen.“ Das Kaiserpaar logierte über die Jahre in wechselnden Palais – zuletzt im Königlichen Kurhaus am Kurgarten, dem heutigen Grand Hotel Kaiserhof Victoria. Als Sisi 1862 das erste Mal kam, um sich zu erholen, war sie von Schicksalsschlägen gezeichnet. Als „blutarm, menschenscheu und gemütskrank“ wurde sie nach ärztlicher Begutachtung beschrieben. Das „Korsett der gesellschaftlichen Verpflichtungen“ schnürte sie ein, Depressionen und Unrast trieben sie um. Eine Frau Oelwein berichtete am 20. Juli 1865 in der Gemeinde-Zeitung in Wien: „Ihre Majestät die Kaiserin, welche im Anfang der Kur durch drei Tage ihre Gemächer nicht verließ, erscheint jetzt regelmäßig am Brunnen. Nachmittags fährt Ihre Majestät in die Umgebung spazieren und berührt zumeist den Claushof, ein eine Stunde von Kissingen in reizender Waldesumgebung gelegenes Forsthaus.“
Fasten und Körperkult
Auch von einer Wasser- und Magersucht der berühmten Patientin war die Rede. Verdauungsprobleme aufgrund ständigen Fastens und übertriebenen Körperkults bestätigt Annette Späth anhand der Aufzeichnungen des Medicinalraths Dr. Alfred Sortier (1833-1902), dessen Nachlass eine Nachfahrin dem Stadtarchiv vermachte. Sisi habe sich wie im Wahn dagegen gewehrt, an Gewicht zuzulegen und zu altern. Irgendwann habe sie sich nicht mehr fotografieren lassen. Überliefert sind unter anderem Sortier’sche Rezepte für Bittertropfen. Der Patientin wurden das streng schmeckende Rakoczy-Wasser bis Korfu und Pillen bis Budapest nachgeschickt. Aus San Remo fragte am 23. Januar 1898 Kammerfrau Marianne von Meissl bei Dr. Sortier an, ob es in Bad Kissingen eine „Anstalt für Mechanotherapie“ oder eine „Anstalt für schwedische Heilgimnastik“ gebe. Der Kaiserin seien zur Anregung der Verdauung „Apparate für Erschütterungsbewegungen (im Reitsitz)“ empfohlen worden. Überliefert ist, dass die Kaiserin viel und schnell zu Fuß unterwegs gewesen war. Eines der bevorzugten Ziele war der 284 Meter hohe Altenberg. Deshalb hat die Staatsbad GmbH die frühere Altenbergrunde mit neuen Wegweisern markieren lassen und sie zur Sisi-Tour umbenannt. Dort hat auch der „Paparazzo“ Johann Kolb 1898 das letzte gemeinsame Foto von Sisi und ihrem Franzl geschossen. Am 10. September desselben Jahres durchbohrte der italienische Monarchiehasser Luigi Lucheni am Ufer des Genfer Sees mit einer messerscharf geschliffenen Dreikantfeile Sisis linken Lungenflügel und die linke Herzkammer. Eine Stunde später erlag das Opfer dem Attentat. „Was ist denn eigentlich geschehen?“, sollen Sisis letzte Worte gewesen sein. – In der Sonderausstellung in der Oberen Saline sind auch dazu Details zu entdecken.
Bernhard Schneider
Sisi-Tour
Die Bad Kissinger Sisi-Tour hoch auf den Altenberg erstreckt sich über knapp dreieinhalb Kilometer. Der Rundweg startet am Arkadensteg im Luitpoldpark. An sogenannten Erlebnispunkten erhält man vielfältige Informationen. Mit Kindern ist eine Art „Schnitzeljagd“ möglich. Auf dem Altenberg selbst, wo sich laut Bayerischem Denkmalatlas vermutlich eine keltische Ringwallanlage befand, errichteten die Bad Kissinger 1906 eine Gedenkstätte für ihren vielleicht schillerndsten Gast. Selbst in der kalten Jahreszeit legen dort Verehrer frische Blumen ab.
Ausstellung
Die Sonderausstellung „Kaiserlich & inkognito. Sisi in Bad Kissingen“ ist bis zum 28. April, jeweils von Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr, im Museum Obere Saline in Bad Kissingen zu sehen. Am 21. Januar um 15 Uhr führt Museumsleiterin Annette Späth durch die Ausstellung und geht auf neue Erkenntnisse ein.